Frank Wedekind: Frühlings Erwachen, eine Kindertragödie (1891)
Mutig, sich mit seinem Erstlingswerk derart in die Nesseln zu setzen, dass es aufgrund seiner vermeintlichen Obszönität und seiner sicherlich sadomasochistischen Züge entweder komplett verboten oder nur zensiert aufgeführt werden darf – zumindest zur Zeit seiner Entstehung.
Heutzutage gehört Frank Wedekinds Drama nicht nur zum Spielplan zahlloser Theater, sondern vielerorts ebenfalls zur Schullektüre.
Warum?
Vordergründig gibt das Stück handwerklich nicht viel her. Ein Drama eben in nahezu klassischer Aufbereitung, doch dadurch vielleicht prädestiniert dazu, unerfahrene, aber potentielle Theatergänger und Dramenleser in das Format einzuweihen und sie mit diesem zeitlosen, gerade für einen jugendlichen Adressatenkreis interessantem Thema, das hier gleichzeitig als historisches Faktum dasteht, hinter dem Ofen hervorzulocken.
Wedekind beschreibt die erwachende Sexualität seiner drei Hauptakteure, der Schulkameraden Wendla, Melchior und Moritz, und thematisiert exemplarisch daran Freud und Leid der Pubertät im Bürgertum des Kaiserreiches.
Eigentlich jedoch dann eher das Leid, denn zwei der Kinder gehen an den Folgen der Tabuisierung der Sexualität zugrunde. Im „Erwachen ihres Frühlings“ und mit ihren jugendlichen Problemen von den Erwachsenen „bewusst“ und dem guten Ton der Zeit entsprechend allein gelassen, versuchen sie sich ihren eigenen Reim auf die Welt zu machen, handeln, wie ihre Unerfahrenheit, ihre Impulse und gefühlten Notwendigkeiten es fordern. Ein daseinstechnischer Balanceakt zwischen Kind und noch nicht erwachsen, eine tödliche Mixtur – zumindest für Wendla und Moritz. Während Erstere nach einer „unbewussten sexuellen Zusammenkunft“ und der dadurch in den Augen der Mutter notwendig gewordenen, aber leider missglückenden Abtreibung das Leben lässt, entscheidet sich Zweiter bewusst dazu, sich das Leben zu nehmen, da er sitzen geblieben ist. Schuld daran? Nicht der in der Zeit vorherrschende, verdrängende Umgang mit Sexualität und die mangelhafte Aufklärung der Kinder durch die Eltern, sondern stattdessen wohl Melchior, denn dieser hat nicht nur Wendlas Sexualität „wachgeküsst“ und somit ihren Tod „verschuldet“, sondern ebenfalls Moritz mit eindeutigen Zeichnungen aufklärerischer Art in Verwirrung gestürzt. Der sich doppelt schuldig fühlende Junge wird in eine Korrekturanstalt verbracht, doch auch dort findet er von Erwachsenenseite keine Hilfe. So entscheidet er zu fliehen und Wendla und Moritz in den Tod nachzufolgen. Als er jedoch, an Selbstmord denkend an seiner beiden Freunde Gräber steht, siegt das Leben in Form eines „vermummten Mannes“, der Melchior überzeugt, mit ihm - ins Leben - zu gehen.
Seinerzeit thematisch ein Eklat, heutzutage vielleicht ein ausgesprochenes Jugendthema, doch auch für heutige Erwachsene mag das Stück nicht uninteressant sein, wenn man sich – mit etwas Zeit und Muße – auf die Suche nach den humoristischen Zügen dieser Kindertragödie macht.
Frank Wedekind: Frühlings Erwachen, eine Kindertragödie (1891).
Hamburger Lesehefte, 2007.
72 Seiten, Taschenbuch, 1,30 Euro.