Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespĂŒrt.
Als die Ich-ErzĂ€hlerin Edna Mauskopf dem gutaussehenden Samuel zum ersten Mal bei einer Vorlesung an der Amsterdamer UniversitĂ€t begegnet, hat sie spontan das GefĂŒhl einer tiefen Seelenverwandtschaft. Doch die angebliche Liebe auf dem ersten Blick erweist sich zunĂ€chst als emotionale EinbahnstraĂe. WĂ€hrend sie stĂ€ndig in ihren Gedanken und Handeln um ihn kreist, entzieht er sich ihr immer wieder. SchlieĂlich beendet sie die unbefriedigende Beziehung, sucht andere Kontakte. Erst spĂ€ter, als sie bereits als Journalistin arbeitet, begegnet sie Samuel wieder. Die beiden fallen sich erneut in die Arme und ziehen zusammen.
Dies klingt erst mal nach x-beliebiger, wenig origineller Beziehungsgeschichte und seichtem Frauenroman. Doch schon auf der elften Seite zerstört die Autorin derartige Erwartungen: Samuel ist bereits tot, als sie die Geschichte dieser Beziehung und die ihrer Familien erzĂ€hlt. Der ungewöhnliche Hintergrund: Beide VĂ€ter sind Juden und Ăberlebende von Auschwitz, und beide haben dieses Trauma verdrĂ€ngt. Die Kinder sind jedoch mehr in die Vergangenheit der Eltern verstrickt, als ihnen zunĂ€chst bewuĂt ist. Da sind Ednas kindliche EĂstörungen, da sind Samuels VersagensĂ€ngste, die ihn schlieĂlich zu jenem wagemutigen Einsatz treiben, der ihn das Leben kostet. Es ist, als laste ein schlechtes Gewissen auf den Nachgeborenen, das sie daran hindert, sich von den Eltern und ihren Anforderungen zu lösen. Auch die immer wieder beschworene tiefe Verbindung zwischen Edna und Samuel ist eher in der Vergangenheit als in der Gegenwart begrĂŒndet. Gemeinsam versuchen sie, ihre Familiengeschichte aufzuarbeiten, dies bindet sie aneinander. Doch schon bald wird klar, wie wenig sie wirklich fĂŒreinander geschaffen sind: Sie, die Risikofreudige und Lebenshungrige, er, der ewige GrĂŒbler. SchlieĂlich nimmt Edna einen Job in Frankreich an und geht dort ein VerhĂ€ltnis mit einem Bekannten ein, von dem sie schwanger wird. Der andere Mann- ein optimistischer Erfolgstyp- bietet ihr die Möglichkeit, ein neues Leben anzufangen, doch noch kann sie sich nicht von Samuel lösen...
âDas Gewissenâ ist der DebĂŒtroman der 1961 geborenen NiederlĂ€nderin. Sie schreibt aus eigener Betroffenheit, aber keine âBetroffenheitsliteraturâ. Durch ihren lockeren ErzĂ€hlstil gelingt ihr die Gratwanderung zwischen Tragik und Komik. Nichts Menschliches ist ihr fremd, und bisweilen tun sich AbgrĂŒnde auf, ĂŒber die sie ihre Protagonistin hinwegbalancieren lĂ€Ăt. Die âgroĂe Liebeâ zwischen Edna und Samuel wirkt etwas konstruiert und dient mehr als âAufhĂ€ngerâ fĂŒr das Thema. Dagegen stehen viele aus dem Leben gegriffene Szenen- Liebe, Sex, Studentenleben, Freundschaft und RivalitĂ€t unter Frauen, GefĂŒhlsverwirrungen und die Suche einer Frau nach dem Leben. Sie wagt am Ende einen Sprung nach vorne, aber ein letzter Rest Zweifel, eben das âGewissenâ, bleiben.
Jessica Durlacher: Das Gewissen.
Diogenes Verlag, ZĂŒrich, September 2001.
368 Seiten, kartoniert.