Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
Einer der beiden Helden von Tilman Rammstedts Roman „Der Kaiser von China“ ist schon tot bevor die Handlung beginnt, der andere kauert in einem Versteck.
Der neue Roman des frisch gekürten Ingeborg-Bachmann-Preisträgers ist vielleicht das fantasievollste Buch des Jahres – eine zusammengeflunkerte, höchst surreale Geschichte über eine Reise nach China, die schon im Westerwald endet, dafür aber eine große Fantasiereise ist.
Alles was folgt, ist erfunden. Der Großvater, dem die vier Enkel zum 80. Geburtstag eine Reise geschenkt haben, die er nie antreten wird, und Lieblingsenkel Keith reisen in dem ebenso phantastisch wie humorvoll geschriebenen Buch quer durch China. Eine märchenhafte, ganz eigene Welt zeigt der 33-jährige Autor da den Lesern. Und verschachtelt die Reiseerlebnisse, die in Briefform an die Verwandten geschickt werden, wie russische Matrjoschka-Puppen mit Geschichten auf anderen Erzählebenen.
Im toller treibt es Rammstedt in seinem raffinierten, total verrückten Buch. Dass der Enkel die Geliebte des Großvaters heiraten will, liest man mit Schmunzeln. Auch, wie er das Geld, das für die Reise des Großvaters gedacht war, verspielt. Überraschender ist die Begegnung des Großvaters mit der chinesischen Schwergewichtsakrobatin Lian, die – wie fast alles in diesem Buch – in einer Tragödie endet.
Am Schluss haben alle Figuren alles verloren. Aber Nähe zueinander und eine Liebe mit einem eigenartigen Ton haben sie gefunden. Was Traum und Realität, was Wunsch und Wirklichkeit ist, erfährt man nie so ganz. Diese Ebenen vermischen sich wie die Erzählebenen, die ineinander fließen. Es bleibt die Fantasie, und die weist Rammstedt im „Kaiser von China“ als einen König der Erzählkunst aus.
Tilman Rammstedt: Der Kaiser von China.
Dumont, Oktober 2008.
160 Seiten, Hardcover, 17,90 Euro.