Peter Bichsel: Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennen lernen, 21 Geschichten (1964)
Bichsels Schreiben zeichnen sich vor allem durch eines aus: durch seine „Wenigkeit“.
Seine einzelnen Geschichten füllen nur wenige Seiten, seine Figuren handeln wenig, sprechen wenig, stellen wenig Charakter zur Schau – da haben wir Frau Blum, die ihren Milchmann nicht kennt, einen Mann, der seinen neuen Füllfederhalter ausprobiert und Monikas Eltern, die zuhause sitzen, während ihre Tochter zum Arbeiten in die Stadt pendelt.
Wünsche gibt es viele.
Frau Blum möchte den Milchmann kennen lernen und ihrem Leben dadurch neue Impulse geben, dass sie einfach mal etwas Anderes, Neues macht. Der namenlose Familienvater mit der Schreibfeder möchte seinem Leben eine neue Richtung geben und der Kommunikationslosigkeit und Kälte seines Zuhauses entfliehen. Monikas Eltern möchten ihre Beziehungslosigkeit beenden und sich - sowohl in Bezug auf die Tochter als auch untereinander - wirklich austauschen.
Doch Bichsels Figuren tun es nicht.
Keine Aktion, keine Kommunikation, gefangen in der Unfähigkeit, die vielen Gedanken in funktionierenden Beziehungen zu kommunizieren, unfähig, der Verhaftung in der alltäglichen Tristesse zu entfliehen und die vielen Wünsche zu leben, die das Leben lebenswert machen würden.
Bichsel ist ein Großer. Bereits eben dieser, sein erster veröffentlichter Geschichtenband katapultierte ihn in die Klassiker-Riege. Seine Geschichten sind sprachlich wie inhaltlich minimalistisch – kurz und prägnant, voller Lücken, die der Leser ausfüllen muss, die den Leser sich unweigerlich fragen lassen: Bin ich so farblos wie Frau Blum? Ist mir genauso kalt wie dem namenlosen Schreibfeder-Mann? Rede (und denke) ich nur Alltägliches daher wie die Eltern Monikas oder sage ich auch wirklich etwas? Lebe ich, gestalte mein Leben oder versinke ich in Paralyse und Phlegma?
Einem Autor, der dies schafft, kann daher natürlich in keinem Falle
„Wenig-keit“ vorgeworfen werden.
Bichsel – einer der wenigen wahrhaftig echten Kurzgeschichtenschreiber.
Peter Bichsel: Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennen lernen, 21 Geschichten (1964).
Suhrkamp, 2007.
73 Seiten, Taschenbuch.