„Kriegsgeschichten. Kaum verlässt man für einen Augenblick die Deckung, fallen sie über einen her, eine nach der anderen…“
In „Mann im Dunkel“ sind mehrere Geschichten ineinander verwoben, was das Gefühl erzeugt, dass es eine starke Verantwortung oder wenigstens eine Verbindung zwischen allen Menschen gibt. Alle Geschichten gehen aus von dem 72- jährigen Literaturkritiker August Brill, der allein in seinem dunklen Schlafzimmer liegt und sich, damit er einschlafen kann, Geschichten ausdenkt. Er ist gezeichnet von grausamen Erfahrungen seines eigenen Lebens, die ihn über Krieg und Tod reflektieren lassen. Seine Frau ist an Krebs gestorben, seine Tochter, die im selben Haus wohnt, wurde von ihrem Mann verlassen, der Mann seiner Enkeltochter wurde im Irak ermordet und er selbst ist mit seinen Kräften nach einem schweren Autounfall am Ende. Mit seiner Enkeltochter schaut Brill sich Filme an, die sie einfühlsam an den Empfindungen anderer Menschen teilhaben lassen.
Nun denkt er sich die Geschichte von Owen Brick, aus, der eines Tages in einem dunklen Loch aufwacht und mitten in einem Krieg ist, von dem er nicht weiß, dass es ihn gibt. Er befindet sich in einer anderen Welt, in einem Amerika, in dem Bush nicht wieder gewählt wurde, in dem es keinen Irakkrieg und keinen elften September gibt. In einem Amerika, in dem Bürgerkrieg herrscht und in dem die Menschen kaum genug zu Essen haben. Owen Brick wird auserwählt den Krieg zu beenden und gerät in eine Geschichte, die wie ein Albtraum zu sein scheint. Er versteht sozusagen die Welt nicht mehr, in die er plötzlich geworfen wurde, um sie vom Krieg zu befreien. Seine Aufgabe ist es den zu töten, der sich diesen Krieg Tag für Tag ausdenkt, August Brill. Brick steht vor der Frage, ob er fähig ist einen Menschen umzubringen, der für den Krieg verantwortlich ist. Auch wenn es vielleicht so scheint, ist seine Antwort darauf alles andere als unkompliziert. Gut endet die Geschichte nicht. Wie sollte sie das schließlich auch?
Es ist eine Geschichte, die sich in einer Welt ereignet, die vom Schicksal bestimmt ist und in der ein „ Happy End“ unmöglich ist. Sie ist einerseits niederschmetternd realistisch, andererseits so voller Wärme, dass der Leser nicht erfrieren muss in den Erinnerungen, an Menschen, denen Schreckliches widerfahren ist, die Brill nach und nach erzählt. Vielleicht fragt man sich beim Lesen, ob das Leben, wenn es so voller Schmerz ist, überhaupt lebenswert ist. Aber auch die Liebe, die einerseits im Kontrast zu Krieg und Zerstörung steht, andererseits aber auch selbst eine leidvolle Erfahrung sein kann, wird auf vielfältige Art thematisiert und beantwortet diese Frage, wenn auch nicht eindeutig. Es scheint fast, als sei der Roman eine unverzichtbare Frage nach dem Grund der unfassbaren Geschehnisse auf dieser Welt. Auch politisch völlig Uninteressierte, die die Welt staunend betrachten und Vieles nicht zu verstehen glauben, erreicht dieser Roman- oder vielleicht gerade sie. Denn „Die wunderliche Welt dreht sich weiter.“ Egal, ob wir sie verstehen oder nicht.
Ganz offensichtlich wird die amerikanische Politik unter George W. Bush kritisiert, aber auch der Krieg und die Grausamkeit, zu der Menschen aus verschiedenen Gründen fähig sind wird dem Leser schonungslos vor Augen geführt. Dabei ist es wichtig nicht abzustumpfen, sondern das Schicksal jedes Einzelnen nachzuempfinden. Denn zweifelsohne spielt auch die Verantwortung der Gesellschaft, sowie jedem Einzelnen gegenüber eine große Rolle. Um zu verdeutlichen, wie diese Welt ist und was jetzt unfassbar ist, ist es nötig eine Parallelwelt zu kreieren, die uns unsere Eigene erst zeigen kann. „… denn er muss seine Geschichte weitererzählen, die Geschichte des Krieges in jener anderen Welt, die auch diese Welt ist, und er darf nicht zulassen, dass irgendjemand oder irgendetwas ihn davon abhält.“
Paul Auster: Mann im Dunkel.
Rowohlt, Oktober 2008.
224 Seiten, Hardcover, 17,90 Euro.