Mit seiner 1988 erschienenen DebĂŒterzĂ€hlung âEinerâ legt der tiroler Autor Norbert Gstrein den verbalen Zeigefinger in die klaffende Wunde der Sprach- und Selbstaufgabe, die der alles dominierende Wintertourismus den Bewohnern eines kleinen westösterreichischen Schiorts alljĂ€hrlich hinterlĂ€sst.
âJetzt kommen sie und holen Jakob.â Jakob, das ist âEinerâ, der es nicht geschafft hat, der durch die OberflĂ€che der touristischen Lustbarkeiten gebrochen ist und in einer gleichsam frustrierten wie angepasst opportunistischen Dorfgemeinschaft keinen Halt findet, wodurch er unweigerlich in Sprach- und nicht zuletzt Hilflosigkeit gerĂ€t. Daran schlieĂlich zerbricht Jakob ebenso wie die leeren Weinflaschen aus seinen HĂ€nden, und die, die ihn holen, verstehen die Geschichte nicht, die Jakobs BrĂŒder und seine Mutter zwischen âfĂŒnf nach elfâ und âacht nach einsâ im elterlichen Dorfgasthaus den Vertretern des Gesetzes offenlegen.
Der Autor lĂ€sst in diesen zwei Stunden einen Ă€lteren Bruder in wechselndem Tempus die zunehmende Verstörung Jakobs reflektieren, die der dörflichen Monotonie montageartig gegenĂŒbergestellt wird. Als stĂ€ndig prĂ€senter Hintergrund blickt dabei die latente Ăberheblichkeit der AnsĂ€ssigen durch die nach auĂen getragene ĂŒberlebenssichernde Gastfreundschaft gegenĂŒber den Geldgebern aus dem Norden. Die Technik, gleiche oder Ă€hnliche Situationen jeweils mit geringfĂŒgig anderen Worten zu schildern, unterstreicht den saisonal bedingten, wechselhaft gleich bleibenden Lebenszyklus der Betroffenen. Denn betroffen sind sie alle, nicht zuletzt durch und ĂŒber das, was Jakob schlieĂlich angestellt hat, worĂŒber der Leser allerdings nur noch mutmaĂen kann. Ăber dem Versuch, in Jakobs unbeschreibliche Welt einzudringen, versagt die Sprache gĂ€nzlich; was bleibt, ist eine den Protagonisten ĂŒbersteigende Verstörung, aus der ein Ausbrechen unmöglich scheint. âEr hatte den Sinn fĂŒr die Wirklichkeit verloren â und nichts dazugewonnen.â
Zwei Jahre vor Erscheinen des ersten Teils von Felix Mitterers âPiefke-Sagaâ nimmt Gstrein in seiner ErzĂ€hlung die AuswĂŒchse des modernen Tourismus vorweg, nicht ohne durch die Fokussierung auf eine gescheiterte Existenz die Ebene der banalen Sozialkritik zu verlassen.
Norbert Gstrein: Einer (1988).
Suhrkamp.
118 Seiten, Taschenbuch, ab 1 Euro.