Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Joanne K. Rowling: Die Märchen von Beedle dem Barden
Mit dem letzten Band der Harry-Potter-Abenteuer schienen sich für Millionen von Fans die Türen zu einer großartigen Welt zu schließen. Als würde ein eigener Teil sterben. Mit dem Buch „Die Märchen von Beedle dem Barden“ zieht uns Joanne K. Rowling für kurze Zeit zurück in ihren bezaubernden Kosmos.
Dieser Band enthält fünf Märchen, die schon unzählige Jungzauberer in den Schlaf begleitet haben sollen. Mit eingeschlossen ist dabei auch „Das Märchen von den drei Brüdern“, welches im Potter-Finale zu Muggel-Popularität kam.
Da springt einem eingebildeten Zauberer ein Topf hinterher, Hexen begeben sich auf die Suche nach ihrem persönlichen Glück und ein König wird an der Nase herumgeführt. Obwohl diese Märchen wirklich niedlich sind, so sind doch viel interessanter die Erläuterungen, die hinter jedem Text zu finden sind. Und wer sollte dieser besser verfassen können als Albus Dumbledore?
Erst in seinen Überlegungen machen sich weitere Dimensionen der Erzählungen deutlich. Die moralische Funktion der Märchen hinterleuchtet der Professor ebenso wie ihre Bedeutung für die Zauberschaft. Denn ebenso wie sich die Muggel-Märchen der Meister Anderson oder Grimm um Themen wie Unsterblichkeit und Unbesiegbarkeit drehen, beschäftigt Beedle den Barden, ob die Auferstehung vom Tode oder die Erlangung des unendlichen Glücks durch Zauberei möglich sind. Ein reges Interesse wird in den Märchen auch an der Beziehung zwischen Zauberern und Nicht-Zauberern gezeigt. Wie es sich für Märchen also gehört, lassen sich auch hier Wertvorstellungen und Verhaltensnormen finden. Auch an der Grausamkeit, die sich in manchen Märchen finden lässt, büßen die von Beedle dem Barden nichts ein. Schließlich sind verbrennende Hexen, erblindende Prinzen, oder aufgeschnittene Wölfe keine verschönernden Kunstgriffe der Grimm-Brüder. Wenn sich ein Zauberer etwa sein Herz entreißt, um mächtiger zu werden, scheint dies selbst in der Zaubererwelt radikal. Ein vielleicht angenehmer Unterschied zwischen den Märchen aus der zauberhaften und denen aus der realen Welt ist, dass die Zaubermärchen mit weniger Klischees und noch weniger Schwarz-Weiß-Zeichnung arbeiten. Natürlich wird auch hier der machtgierige Zauberer bestraft und am Ende ist der Betrüger der Verlierer. Allerdings existieren keine wirklichen Bösewichte, wie die böse Fee aus Dornröschen. Nicht vorwiegend die Entstellten sind die Boshaften, wie uns buckelige Hexen aus den uns vertrauten Erzählungen weis machen. Vielleicht ist diese Eigenschaft an die Selbstempfindung der Zauberer gebunden, die sich mit Hexen identifizieren.
Leider liegen in diesem Sammelband nur fünf und dabei auch noch von Joanne K. Rowling fünf ungewohnt kurze Märchen vor. Die Freude daran, dass sich die Potter-Welt doch noch einmal öffnet ist demnach nur von flüchtiger Dauer. Und dies ist besonders schade, da die Märchen von rührendem Charakter sind.
Ein weiterer Aspekt, der die „Dünne“ von „Die Märchen von Beedle dem Barden“ (die Seitenzahl übersteigt knapp die Hundert-Grenze) so tragisch macht, ist seine Bedeutung in Bezug auf die Welt Harry Potters. Denn das, was uns an der Welt des ungewöhnlichen Zauberlehrlings so gefesselt hat, wird hier mit eingewebt. Wieder erscheint uns diese Parallelwelt authentisch, als müssten wir bei jedem Nachbarn eine Eule suchen, oder aufpassen, dass sie nicht durch ihren Kamin verschwinden. Dadurch dass auch die Zauberwelt Märchen kennt, die dazu auch noch auf die individuellen Wünsche und Sehnsüchte einer Zaubererschaft abgestimmt sind, wirkt die Welt, die Rowling um Harry strickte, noch viel realer – zumal sich dieser Band eigentlich von Harry selbst löst. Er vermittelt eine Überdimensionalität, eine Realität in unserer Wirklichkeit. Und damit trifft Rowling wohl nicht zum ersten Mal in die Mitte des Herzens ihrer Leser. Denn wer, der Hogwarts kennt, wünscht sich nicht, einmal die bewegenden Treppen hinaufzulaufen, sprechende Bilder zu grüßen und Quidditch zu spielen. Wer „Die Märchen von Beedle dem Barden“ liest, hat das Gefühl Teil dieser unglaublichen Welt zu sein. In mir haben sie jedenfalls dieses Kribbeln ausgelöst, dass ich bereits von der Genialität der Potter-Geschichten kenne. Rowling ist einfach eine Meisterin ihres Faches, eine Illusionistin, die uns alle in ihren Bann zieht.
Ein weiterer Ansporn „Die Märchen von Beedle dem Barden“ zu kaufen ist, dass der Erlös aus dem Verkauf der „Children´s High Level Group“ zu Gute kommt. Diese 2005 gegründete Wohltätigkeitsorganisation, schenkt Kindern, die in Heimen leben, ihr besonderes Interesse.
Der kleine Band steckt nicht nur voller Zärtlichkeit und Wärme, sondern überträgt diese auch in die unsere Welt.
„Die Märchen von Beedle dem Barden“ sind nicht nur ein herrliches Buch für Potter-Fanatiker ab neun Jahren (bis ins hohe Alter hinein) sondern auch ein besonders schönes Vorleseerlebnis, sollte Grimms und Ko mal die Puste ausgehen.
Joanne K. Rowling: Die Märchen von Beedle dem Barden.
Carlsen, Dezember 2008.
128 Seiten, Hardcover, 12,90 Euro.