In „Schöne Neue Welt“ kritisiert Aldous Huxley, auf faszinierende, zynische und zugleich abschreckende Art, eine vom Nationalismus und von der industriellen Revolution geprägte Gesellschaft. Seine Kritik projiziert er auf eine futuristische Welt, in der das Schicksal der Menschen festgelegt wird, indem sie in Reagenzgläsern hergestellt, und je nachdem, ob sie zu den Alphas, Betas, Gammas, Deltas oder Epsilons gehören sollen, mehr oder weniger Alkohol dazu beiträgt, dass sie werden, wie sie sind- perfekt, aber nicht individuell.
Das Erschaffen menschlichen Lebens als Massenproduktion, trägt dazu bei, dass es gesellschaftliche Stabilität gibt. Jeder arbeitet zum Wohle der Gesellschaft, jeder ist Teil eines Ganzen, und, was besonders wichtig ist, jeder ist glücklich an seinem Platz in der Gesellschaft, die für jeden eine Aufgabe hat. Leider nur für jeden, der richtig konditioniert wurde und an das glaubt, was ihm der Staat von klein auf durch endlose Wiederholungen im Schlaf vermittelt hat. Allerdings gibt es auch die Außenseiter, um die sich letztlich die Geschichte dreht, wie den überdurchschnittlich intelligenten Schriftsteller Helmholtz Watson und den, seinem Dasein als „Beta“ vom Äußeren nicht entsprechenden, Bernhard Marx. Mustapha Mond, einer der sieben Weltherrscher, ist sich seiner Andersartigkeit und Überlegenheit sehr wohl bewusst und nutzt sie, um das System zu kontrollieren und Vorschriften zu machen. Er steht mit an der Spitze des Ganzen und gibt acht, dass die Gesellschaft stabil bleibt, indem sie den Menschen, die sich in einem permanenten Konsum- und Unterhaltungsrausch befinden Sicherheit und Zufriedenheit geben. Wenn das nicht durch Konditionierung und durch die schamlose Auslebung aller sexuellen Triebe geschieht, dann gibt es immer noch „Soma“, den perfekten Glücklichmacher. Fehlt es dann doch noch an etwas Abwechslung und bleibt trotz der endlosen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten doch noch der letzte Kick aus, dann gibt es das „Violent Passion Surrogate“, das wirkt, wie ein Adrenalin Ausstoß ohne Stress. Für den abenteuerlustigen Menschen mindestens so gut, wie „Soma“ für die, die gelegentlich anfangen nach einem Sinn im Leben außerhalb von Spaß zu suchen. Denn schließlich ist auch die Religion, jedenfalls das, was wir darunter verstehen, schädlich für jedes vollkommene menschliche Glück. Schuldgefühle, Scham oder Moral stünden dem höchsten Ziel, dem Spaß, nur unnötig im Wege. „Soma“ ist das Christentum ohne Tränen.
Kein Wunder, dass John, der aus den „Reservation Camps“ stammende junge Mann, dank seiner übersteigerten Schuldgefühle, die ein Ergebnis seiner Shakespearelektüre und seiner tiefen Religiosität sind, verrückt wird, wenn er in diese Welt gelangt. Für ihn spielen, im Gegensatz zu seiner Mutter Linda, die in der „Schönen Neuen Welt“ aufgewachsen ist, Werte, wie Familie, Liebe und Religion eine wichtige Rolle. Dadurch, dass Huxley eine andere Welt beschreibt, in der es zwar Individualität, Liebe und Religion gibt, aber auch Krankheiten, Krieg, Hass und Leid, stellt er uns vor die Frage, was eigentlich unsere Utopie ist. Was sie nicht ist, beschreibt er eindrucksvoll, jedoch ohne sich darauf zu beschränken nur den Kommunismus oder eine Klassengesellschaft zu kritisieren. Im Gedächtnis bleibt, dass weder das eine, noch das andere Extrem wünschenswert ist. Weder ein Verfall der Werte in einer Spaßgesellschaft, noch Krieg, Zerstörung und Krankheit.
Was sich anhört, wie ein Wink mit dem moralischen Zaunpfahl, ist tatsächlich ein leicht zu lesender, ironisch witziger Roman, dem es gelingt sowohl existenzielle Fragen aufzuwerfen, als auch zu unterhalten. So wird jeder bei den häufig verwendeten Slogans wie „Ending is better than mending.“, „civilization is sterilization“ oder „Thank Ford!“ (Ford wird mit Gott gleichgesetzt und die Zeitrechnung setzt da ein, wo das „Modell T“ in Massenfabrikation mit Hilfe des Fließbandes hergestellt wurde), schmunzeln. Der Roman hat weder an Unterhaltungswert, noch an gesellschaftskritischer Relevanz verloren, wenn man an die Globalisierung und den damit verbundenen Verlust an Individualität, den medizinischen Fortschritt, sowie nicht zuletzt an die Veränderungen in Bezug auf feste Beziehungen und die Ausprägung einer bequemen Spaßgesellschaft denkt.
Aldous Huxley: Schöne Neue Welt (1932).
Fischer Tb..
252 Seiten, Taschenbuch, 7,95.