Das mit 328 Seiten dickste Buch unseres Verlagsprogramms ist die Vampiranthologie "Ganz schön bissig ..." - die 33 besten Geschichten aus 540 Einsendungen.
Raimund Gregorius, genannt Mundus, ist Ende 50 und Lehrer für Altphilologie an einem Gymnasium in Bern. Eine sehr durchschnittliche Existenz, ein Mann, dessen Leben in eingefahrenen Bahnen verläuft. Doch dann weckt die zufällige Begegnung mit einer ihm unbekannten Portugiesin in ihm alte Sehnsüchte. Portugal lässt ihn nicht mehr los: In einem Buchladen findet er ein Buch, in dem der Lissabonner Arzt Amadeu de Prado über existentielle Themen des menschlichen Daseins philosophiert: Religion, Leben und Tod, Liebe und Vergänglichkeit. Mundus verlässt noch am selben Tag seine Schule und fährt mit dem Nachtzug nach Lissabon. Er folgt den Spuren Amadeus durch alte Häuser und Straßen und erfährt, dass jener bereits tot ist. Er befragt Freunde und Verwandte und lässt sich immer mehr gefangen nehmen von diesem charismatischen, aber auch in sich gespaltenen Menschen, mit dem ihn eine Seelenverwandtschaft zu verbinden scheint. Dies sind die bewegendsten Passagen des Romans, wenn sich der Schwerpunkt zum Leben Prados hin verlagert und sich dessen Persönlichkeit mit all ihren Brüchen spiegelt. Immer wieder tauchen neue Aufzeichnungen auf, und aus den Begegnungen mit Amadeus Weggefährten erfährt man von dessen unheilbarer Gehirnkrankheit, seinem rebellischen Geist, der politischen Arbeit im Untergrund und seiner verzweifelten Liebe zu einer Widerstandskämpferin.
Auch wenn Amadeus Reflexionen durchaus interessant zu lesen sind und zum Nachdenken anregen, wirkt der Roman manchmal zu überladen mit philosophischem Tiefsinn. Schön zeichnet der Autor dagegen die Atmosphäre der Stadt. Wer Lissabon und das leicht morbide Flair seiner alten Viertel kennt, wird sich gut auf dieses Buch einlassen können. Es ist voller „Saudade“, jenem Lebensgefühl aus Sehnsucht und bisweilen auch Pathos. Leider bleiben am Ende zu viele Dinge offen, für die man sich einen „runderen“ Schluss gewünscht hätte.
Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon.
btb Verlag, München, Mai 2006.
496 Seiten, Taschenbuch.