Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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April 2001
Gruft!
von Andreas Schröter

Die schwere gusseiserne Platte gab ein kreischendes Geräusch von sich, als ich sie mühevoll in die Höhe hievte. Die Scharniere schienen seit Jahrhunderten nicht bewegt worden zu sein. Ein wenig Öl hätte ihnen gut getan.
Dass ich in diesem Augenblick an solche Lappalien denken konnte - schließlich war es der Moment, auf den ich seit mindestens 20 Jahren gewartet hatte. Endlich - ja, endlich - wusste ich, wo sich die Kreatur verborgen hielt. Wahrscheinlich verließ und betrat sie die Gruft durch einen zweiten verborgenen Eingang - andernfalls wären die Scharniere sicher leichtgängiger gewesen. Wer wusste schon, welche düsteren Abzweigungen es im Kanalnetz unter der Stadt gab?
Ich leuchtete mit der Taschenlampe noch einmal in den mich umgebenden Raum. Wegen des dämmrigen Lichts war die Szenerie im Innern der verlassenen Friedhofskapelle so gut wie gar nicht zu erkennen. Ein paar umgekippte und zerstörte Kirchenbänke, Staub, Dreck - wahrscheinlich von den Ratten - und Spinnweben überall. Kaum zu glauben, dass hier einmal Gottesdienste stattgefunden hatten. Wie lange mochte das her sein? Und warum wurde die Kapelle nie abgerissen? Ein mittlerweile unheiliger Ort, der geradezu ideal schien für den Zweck, dem er jetzt diente.
Ich widmete mich dem, dessentwegen ich gekommen war: dem Eingang zur Gruft des Vampirs. Die Taschenlampe war eindeutig zu schwach. Ihr Lichtschein reichte vielleicht ein, zwei Meter in die Tiefe. Dahinter ergoss sich eine Dunkelheit, wie sie vollkommener nicht hätte sein können. Ich fror ein wenig. Noch hätte ich umkehren können. Aber hätte ich diese Niederlage vor mir selbst ertragen? Morgen? Übermorgen und in den nächsten 20 Jahren? Durch den Tipp des Antiquitätenhändlers Wolfenstein war ich endlich so nah am Ziel. Da konnte ich nicht aufgeben.
"Ich würde es ja selbst machen", hatte der bucklige alte Mann gesagt. "Aber die Gicht, wissen Sie - in der Gruft ist es glitschig und feucht."
"Woher wissen Sie, wie es in der Gruft dieses Monsters aussieht?"
Der Antiquitätenhändler sah mich einen Moment verdattert an. Dann erwiderte er, begleitet von einer fahrigen Handbewegung: "Ohh, ich kenne sie von meiner Jugend her - nur dass damals noch nicht solche ..."
"Woher wissen Sie überhaupt von der Sache?", unterbrach ich ihn.
"Sie meinen, dass dort ein ..."
"Ja."
Wolfenstein grinste. Doch seine Miene verschloss sich sogleich wieder. "Ich weiß vieles... Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich kann die Kundschaft nicht länger warten lassen." Es war niemand sonst nur von wenigen Kerzen erhellten Keller-Laden.
Ich hatte damals trotz intensiver Bemühungen nichts weiter aus dem Mann herausbekommen. Nur dass es offenbar im Sommerhalbjahr ungefährlich sei, sich dem Vampir zu nähern. Dann falle zuviel Licht auf die Erde, das die Kreatur in eine totenähnliche Starre versetze, aus der sie auch nachts nicht erwache. So hatte es mir der bucklige Antqitätenhändler Wolfenstein erklärt. Nun, wir hatten den 1. April - den Beginn des Sommerhalbjahres.
Ich klappte die Platte ganz herum und betrat die erste der ausgetretenen, leicht moosig wirkenden Stufen in die Tiefe. Die Luft, die mir entgegenschlug, war miserabel, roch nach Tod und Vergänglichkeit. An diesem Ort, der das Licht so scheute wie das Feuer das Wasser, hätte einmal ordentlich durchgelüftet werden müssen - im wahren wie im übertragenen Sinne. Etwas, das ich durch meine mutige Tat nun erledigen würde.
Manchmal war mir, als würden Schatten die Wand entlanghuschen. Waren das die Ratten? Auch drang mir einmal ein besonders widerwärtiger, fauliger Geruch in die Nase. Als ich die Lampe etwas tiefer hielt, sah ich, woher er kam. Neben mir befand sich ein Loch in der Wand, durch das ein Mann gepasst hätte. Dahinter schwappte brakiges, pechschwarzes Wasser. Meine Theorie mit den unterirdischen Eingängen schien zu stimmen.
Ich musste aufpassen, dass ich nicht ausrutschte. Wolfenstein hatte recht gehabt. Für einen alten Mann wäre das nicht die geeignete Umgebung gewesen.
Ich hatte bereits jegliches Gefühl für die Entfernung verloren, als ich an eine schwere Eichentür kam. Mein Herz schlug schneller. War ich am Ziel? Für einen Moment packte mich Angst davor, die Tür könne verschlossen sein. Sie wirkte so massiv, dass ich sie unmöglich hätte aufbrechen können. Doch als ich dagegen tippte - ich brauchte nicht einmal die Klinke nach unten drückten - schwang die Tür wunderbar leicht nach innen. Fast schien es, als bitte sie mich herein.
Vor mir tat sich ein runder, gewölbter Raum auf, in dem ein diffuses, kaltes Licht herrschte. Ich schaute mich um - auf der Suche nach der Lichtquelle, konnte jedoch keine ausmachen. Der Raum schien von innen heraus zu leuchten. Mir war alles andere als behaglich in dieser Umgebung. Und das lag vorwiegend an dem, was sich mir in der Mitte des Gewölbes zeigte: ein Podest mit einem schwarzen Sarg darauf - die unselige Zufluchtsstätte des Vampirs. Der Antiquitätenhändler hatte recht gehabt. Hier und jetzt würde sich das Schicksal des dunklen Gesellen erfüllen. Er würde die Stadt nicht länger unsicher machen mit seinen blutigen Taten. Ich würde dafür sorgen. Ich griff nach dem Zubehör, das an meinem Gürtel befestigt war: ein Hammer und ein zugespitzter Holzpflock. Es konnte beginnen.
Beherzt überwand ich die Distanz zum Sarg mit zwei langen Schritten, griff - bevor ich es mir anders überlegen konnte - nach dem Deckel und schleuderte ihn vom Sarg, so dass er mit lautem Geschepper in die Ecke des Raumes flog.
Einmal in Fahrt sprang ich sogleich auf das Podest und beugte mich über das Totenbehältnis. Was ich sah, waren ...
... die geöffneten Augen des Antquitätenhändlers Wolfenstein.
Was ich nicht sah, war seinen linken Arm, der mir Hammer und Holzpflock aus der Hand schlug und mich sogleich mit der Kraft eines Schraubstocks am Handgelenk festhielt.
Ich geriet in Panik, versuchte mich mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft loszumachen. Vergebens. Wolfenstein schien überirdische Kräfte zu besitzen. "Sie hatten doch gesagt...", stammelte ich sinnlos.
Wolfensteins Lippen verzogen sich zu einem bösen Grinsen, wobei spitze Eckzähne zum Vorschein traten. Dann begann er Worte zu formen, die zunächst wie ein Hauch, dann immer lauter aus seinem hässlichen Mund drangen: "Aaaaapriiiiilll, Aaaapriiiil, Aapriil, April, April ..."
Während das Echo in dieser Gruft die Worte tausendfach wiedergab, vergruben sich seine Zähne in meinem Hals.

Der Antiquitätenhändler Wolfenstein hat mich später als Gehilfen in seinem Laden eingestellt. Kaufen Sie doch mal bei uns ein! Wir haben auch nachts geöffnet.

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