Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespĂĽrt.
"Du hast wohl’n Knall!" Rolli tippte sich mit dem schwarzgerandeten, viel
zu langen Fingernagel gegen die Schläfe und spuckte sein Kaugummi aus. "Das
glaube ich dir nie im Leben! Das wäre doch viel zu aufwendig für die. Nee,
das kannste deiner Großmutter erzählen ..."
Berti riss die BlĂĽte einer Narzisse ab, warf sie in die Luft und trat gegen
sie, als sei sie ein Ball. Im flachen Bogen schoss sie ĂĽber den Rasen,
tickte einmal kurz auf, kullerte ein StĂĽck weiter und trudelte am FuĂźe einer
der mächtigen Ahornbäume aus.
"Tzz - dann lass es." Er zuckte verächtlich mit den Schultern. "Aber
beschwer dich nachher nicht, wenn deine Haut zu dĂĽnn geworden ist. Ich hab
dich gewarnt, Alter, und ich sehe jetzt zu, dass ich mich hier
verziehe ..."
Lässig vergrub er die Hände in den Hosentaschen, drehte mit einem Hüpfer ab
und machte sich auf den Weg.
Rolli schnellte von der Parkbank hoch, schnappte seine PlastiktĂĽte und
beeilte sich, ihm zu folgen.
"Hey Berti! Halt mal! Ey, nun warte doch ...!"
Berti schlenderte unbeeindruckt weiter ĂĽber den geschotterten Parkweg und
konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Die hastigen Schritte hinter ihm
bewiesen eindeutig: Der hatte gesessen!
Keuchend erreichte Rolli ihn. Die Flaschen in seiner TĂĽte klirrten heftig an
einander. Eigentlich schade, wenn sie kaputt gingen. Sie hatten sie doch
gerade erst ...
"Du meinst, das machen die wirklich? In welcher Zeitung hat das gestanden –
sagst du?"
"In der WAZ. Heute Morgen vor Peters Kiosk im Zeitungsständer hab ich’s
gelesen. Stand dick als Schlagzeile da. Mann, ich saug mir so was doch nicht
aus den Fingern! Was denkst du denn von mir? ..."
Rolli sah sich hektisch um. "Hast du schon einen von denen gesehen? Ich
meine – denkst du, sie sind schon unterwegs?"
"Klar. Vielleicht haben sie am anderen Ende des Parks angefangen. Irgendwann
sind sie aber auch hier, da kannste Gift drauf nehmen!"
"Und ..., und wo soll ich jetzt hin? Wohin gehst du?"
"Ich? Zu meiner Schwester vielleicht. Die hat noch ne Wohnung – drüben in
Bochum-Mitte. Aber da kann ich dich nicht einfach mit hin nehmen. Das hat
sie nicht so gern." Er grinste wieder, blieb stehen, beugte sich so weit
vor, dass sein Atem Rollis schmutzige Wangen streifte. "Sie mag keine
Penner, Baby. Jedenfalls keine fremden ... Hast du keine Verwandten, keine
Freunde, die ihren Hintern noch irgendwo trocken ablegen können und eine
Badewanne haben?"
Rolli biss sich auf die Unterlippe, ließ die kleinen, geröteten Augen
kreisen und trat unruhig von einem Bein aufs andere. "Nee, nicht dass ich
wĂĽsste ..."
"Na dann ..." Berti ließ wieder kurz die Schultern in die Höhe zucken.
Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er deutete hinter Rolli auf
einen älteren Herrn, der sich ihnen – auf einen Gehstock gestützt – langsam
näherte. "Da! Sieh nur! Da ist schon einer von denen. Man erkennt sie am
Krückstock - stand da. Eingebaute Betäubungsspritze, damit sie dich besser
einfangen können ... Die sind alle auf alt und ungefährlich getrimmt. Graue
Perücke, Hut und so ... Tarnung, weißt du? Täuschung. Damit wasserscheues
Gesindel mit Duschtrauma - wie du - nicht laufen geht. Ist doch mal was
anderes – diese Einseif-Aktion für Parkbewohner. Nettes Frühlingsgeschenk
vom Ordnungsamt, findest du nicht? Das machen die jetzt immer am 1. April
... stand in der Zeitung ... UNSERE STADT SOLL SAUBER WERDEN! Ganz groĂź stand das da ...", und bei den letzten Worten breitete er die Arme aus, als
falte er zwischen den Händen ein imaginäres Plakat auseinander.
Dann sprang er glucksend zur Seite und beeilte sich, dem Schlag mit Rollis TĂĽte auszuweichen.
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