"Maaaaaatiiiin!"
Dennis` ängstlicher Ruf erzeugte ein kleines Echo, das von den riesig wirkenden Gemäuern widerhallte, und ihn noch mehr erschaudern ließ.
Dennis tastete sich vorsichtig weiter durch die dunklen Gänge, die nur durch den Schein der künstlichen Kerzen ein wenig erhellt wurden und alles um ihn in einem schummrigen Licht erkennen ließen.
"Hier bin ich! Hier!" rief Martin und sein Gesicht tauchte fast unvermittelt vor Dennis auf.
"Martin; bitte halte meine Hand! Bitte Hand halten," jammerte Dennis und hoffte, die feucht – kühlen Mauern nicht mehr berühren zu müssen.
Sie fühlten sich so glitschig an und erzeugten in ihm ein Ekelgefühl.
"Komm, Dennis, wir müssen da lang gehen!" wies Martin ihn an und packte seine Hand.
"D-da wird es d-dunkel..." stotterte Dennis und starrte angsterfüllt auf den schmäler werdenden Gang vor ihnen, der noch unheimlicher wirkte, als alles was schon hinter ihnen lag.
Dankbar, wenigstens Martins Hand halten zu dürfen, stolperte er hinter seinem Bruder her und wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich wieder nach Hause zu dürfen.
Aber der Gang durch das Spukschloß, mit seinen Gewölben und finsteren Winkeln, schien kein Ende zu nehmen.
Dennis riß seine Augen weit auf, aber so sehr er sich auch bemühte- man konnte nun nicht einmal mehr die Hand vor Augen erkennen.
Es war stockdunkel geworden; und je tiefer sie in das Gewölbe eindrangen, desto kälter wurde es.
Plötzlich fühlte er, wie etwas Weiches, Haariges seinen schweißnassen Nacken berührte und er schrie auf.
Taumelnd fiel er gegen Martin, den er beinahe zu Fall gebracht hätte.
Doch noch bevor er sich einigermaßen von dem Schreck erholen konnte, blitzte ein grelles Licht vor ihnen auf. Dennis rang verzweifelt nach Luft. Ein Schrei blieb tief in seiner Kehle stecken, als sich ein Skelett in dem Lichtschein auf sie zuzubewegen schien.
Doch so plötzlich wie es gekommen war, verschwand es auch wieder und zurück blieb nur die Finsternis.
Dennis schlug wimmernd die Hand vor sein Gesicht. "Es ist nicht mehr weit. Ganz bestimmt nicht," hörte er Martins Stimme neben sich.
Aber als der Kleine den unsicheren Tonfall in der Stimme seines großen Bruders vernahm, wurde er noch ängstlicher.
Martin hatte nie Angst, das wusste er. Sogar als ihn ein paar Jungs aus der Oberstufe verhauen wollten, hatte er sich ihnen tapfer entgegengestellt, um Dennis zu schützen. Aber jetzt hörte er ganz deutlich die Besorgnis aus Martins Stimme und das ließ ihn panisch werden.
"Ich hab Angst, Martin! Ich mag da nicht weitergehen!" schluchzte er und wischte sich über das tränennasse Gesicht.
"Nun komm schon!" rief Martin und zog ihn einfach mit sich.
Langsam und vorsichtig tasteten sie sich an den Wänden des Gewölbes entlang; während Dennis dabei immer darauf bedacht war, sich an Martin zu orientieren, um bloß nicht die feuchten Gemäuer berühren zu müssen.
Unweigerlich musste er dabei an das Märchen von Hänsel und Gretel denken, dass seine Mutter ihm vor einiger Zeit vorgelesen hatte.
Ob die Kinder sich damals im dunklen Wald, auch so gefürchtet hatten, wie er jetzt?
Während Dennis krampfhaft versuchte, sich an das Ende der Geschichte zu erinnern, wurde ihm plötzlich bewusst, dass es totenstill geworden war.
Noch vor einigen Minuten hatte ein ständiger flüsternder Laut sie begleitet, aber jetzt waren nur noch ihre schlurfenden Schritte und Martins Keuchen zu hören.
"Nun komm schon, Dennis! Laß dich nicht so ziehen," mahnte Martin.
Aber Dennis war aprupt stehen geblieben und starrte mit weit aufgerissenem Mund auf den hellen Lichtschein, der sich vor ihnen wie aus dem Nichts ausbreitete.
Eine riesige dunkle Gestalt, die in einen schwarzen Umhang gehüllt war, entblößte seine Zähne zu einem hämischen Grinsen.
"Komm zu mir," flüsterte sie lockend und das nachfolgende Kichern hallte gespenstisch durch die Gänge.
Schreckerstarrt standen die beiden Jungs davor und blickten wie gebannt auf die weit ausgebreiteten Arme des Ungeheuers.
Dennis begann auf einmal zu zittern und umklammerte Martins Hand mit aller Kraft.
Er drohte beinahe ohnmächtig zu werden, so sehr fürchtete er sich vor dem, was sich vor seinen Augen abspielte.
Ein lautes Getöse erfüllte die Luft und kurz darauf ein klapperndes Geräusch.
Wie von Geisterhand wurde der große Samtvorhang gelüftet und ein freundlich aussehendes Gespenst, das ganz und gar menschlich aussah, lächelte die beiden Kinder an.
"Na, hat es euch gefallen? – Nach rechts geht’s zum Ausgang, meine Herrschaften."
Erst blickten die beiden den so ungeisterhaft wirkenden Mann ungläubig an; aber dann reagierte Martin und schleifte Dennis so schnell er nur konnte zum Ausgang des Spukschlosses.
Dennis war noch völlig verwirrt und blinzelte mit verkniffenem Gesicht, als die Sonnenstrahlen ihn unvermittelten blendeten, nachdem sie wieder im Freien standen.
"Da seid ihr ja!" –
"Meine Güte, wir haben euch schon gesucht....."
Erleichtert registrierte Dennis, dass die vertrauten Stimmen zu seinen Eltern gehörten, die ihn aufatmend in die Arme schlossen.
"Mama!" rief er überglücklich und strahlte über das ganze Gesicht.
Nur Martin stand etwas zerknirscht neben ihm, als sein Vater sich mit drohender Miene herunterbeugte.
"So, Freundchen! Der Rummelplatz ist für dich in der nächsten Zeit ganz bestimmt gestrichen. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, deinen kleinen Bruder in das Gruselkabinett mitzunehmen?"
Jetzt, wo der ganze Spuk vorbei war, kehrte auch wieder Dennis` Mut zurück und er fühlte sich sogleich für die Verteidigung seines Bruders zuständig.
"Aber das war gar nicht gruselig, Papa. Und Martin hat alle Geister von mir weg vertrieben!" rief er stolz; wohl auch, weil er an der ganzen Geschichte auch nicht unschuldig war.
Immerhin hatte ER Martin so lange beschwatzt, bis dieser sich zu dem Abenteuer erweichen hatte lassen.
Der ärgerliche Gesichtsausdruck seines Vaters wurde schließlich etwas versöhnlicher und er bedachte die beiden mit einem schiefen Grinsen, als er meinte: "Na dann werde ich mal Gnade vor Recht ergehen lassen und das versprochene Eis noch spendieren....."
Die beiden Jungs grinsten sich schelmisch an.
Auf dem Weg zum Eisstand, wagte Dennis noch einmal einen Blick zurück zum "Spukschloß" und drückte dabei unwillkürlich die Hand seiner Mutter etwas fester.
Das war ganz schön unheimlich gewesen......!
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