Spukschloss â Ein Fragment von Petra Brandenburg
"Mysteriös ist es schon..."
"Schatz, es ist seit Jahren ein gut florierendes Ferienhotel. Was soll daran mysteriös sein?"
"Du hast mir gar nicht zugehört, Simon! Ich sage nur, dass da eine riesige LĂŒcke klafft, zwischen den Jahren 1950 und 1997. In diesem Buch ĂŒber die Schlösser dieses Landstrichs, sind sĂ€mtliche Historien lĂŒckenlos aufgefĂŒhrt. Nur was mit diesem Schloss passiert ist, nachdem es aus dem Familienbesitz ging, scheint keiner zu wissen. Das ist doch komisch!"
"Warum denn komisch?" Simon klang genervt. "Wahrscheinlich stand es schlicht und ergreifend leer, weil es keinen KĂ€ufer gab."
Mara blickte ihm wĂŒtend ins Gesicht, aber Simon konzentrierte sich weiterhin auf Lenkrad und StraĂe.
"Und WARUM stand es leer? Weil die Vorbesitzer seit Generationen samt und sonders auf ungeklĂ€rte Weise zu Tode gekommen sind!" Triumphierend lehnte sie sich im Beifahrersitz zurĂŒck.
Simon lachte auf. "Das nennst du ungeklÀrt? Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir was von Herzanfall, Herzinfarkt, UnfÀllen im Haus und so fort, erzÀhlt. Das sind doch ganz normale Todesursachen. Und Anfang des Jahrhunderts ist man an diesen Herzgeschichten ja auch noch viel schneller gestorben als heutzutage dank des Medizinfortschritts!"
Mara schlug die Augen nach oben, trotz des Wissens das Simon das nicht sehen konnte.
"Ich gebâs auf. Ich FINDE es mysteriös. Basta. Alle waren noch zu jung zum Sterben und am Ende war gar die ganze Familie ausgerottet, die Jahrhunderte zuvor dieses gigantische Schloss in Scharen bewohnt hat.
In dem SchlossfĂŒhrer steht auĂerdem schwarz auf weiĂ, dass sich danach kein KĂ€ufer fand, weil es in dem Schloss spukt."
"Spukte, mein Schatz, nicht spukt." Simon lĂ€chelte nachsichtig. "AuĂerdem sind das doch alles nur die ĂŒblichen Schauergeschichtchen, die sich um solch leerstehende GemĂ€uer ranken. Und, ich geb' ja zu, Ă€uĂerlich ist es wirklich ein Spukschloss wie gemalt."
Beide schwiegen.
Mara lehnte den Kopf zurĂŒck und dachte an das Gelesene. Es war ja auch wirklich nicht wichtig, warum das Schloss solange leergestanden hatte. Nachdem der letzte des alteingesessenen Geschlechts der von Rothensteins gestorben war, hatte es mehrere Kaufinteressenten gegeben, die allerdings alle abgesprungen waren ohne dafĂŒr konkrete GrĂŒnde nennen zu wollen. Seitdem rankte sich um das Schloss die Legende, dass dort dunkle MĂ€chte am Werk waren.
Mara schloss die Augen. Ja, Simon hatte wohl recht. Eigentlich war es ja schon ein Klischee, dass so ein leerstehendes GemĂ€uer natĂŒrlich ein Spukschloss sein musste.
Es war ĂŒberhaupt nicht wichtig. Sie wollte sich dort erholen, nichts weiter. Zusammen mit Simon eine Auszeit nehmen, einen Tapetenwechsel um Abstand zu gewinnen von den traurigen Erlebnissen der letzten Wochen.
Sie dachte zurĂŒck an ihre erste Schwangerschaft, von der sie vor einem halben Jahr erfahren hatte und die so traumatisch nach vielen Komplikationen in einer spĂ€ten Fehlgeburt geendet war. Mara und Simon hatten ihren kleinen Jungen, der in der 22. Woche geboren war, noch im Arm halten dĂŒrfen, wo er dann nach einer Viertelstunde, ohne den Hauch einer Chance, verstarb.
Das Ganze war erst ein paar Wochen her, aber ihre Umwelt schien zu erwarten, dass sie bereits wieder wie die alte Mara funktionierte. Dabei fĂŒhlte sich Mara völlig gefangen in ihrer Trauer und Simon hatte in seiner Hilflosigkeit ihr zur helfen und aus seiner eigenen Trauer heraus, diese Reise geplant.
Das Schloss lag nur eine vierstĂŒndige Autoreise entfernt, aber Mara genĂŒgte das. Auf Palmen und Strand hĂ€tte sie sich gar nicht einlassen können.
In dem Schlosshotel wurde ein umfangreiches Wellness-Programm angeboten, mit Massagen, Sauna etc. und das war genau das was Mara sich jetzt wĂŒnschte â ihren Gedanken nachhĂ€ngen und nichts tun mĂŒssen.
Das Schloss prĂ€sentierte sich Ă€uĂerlich klassisch, aber im Inneren fiel es schwer sich zu gruseln. Alles war modern restauriert und die ĂŒberwiegend weiblichen Mitarbeiter liefen geschĂ€ftig in klinisch weiĂen Kitteln durch die RĂ€ume. An den WĂ€nden hingen zahlreiche Poster mit aktueller Werbung fĂŒr Kosmetikfirmen und Fitnessprodukte.
Nachdem sie ausgepackt hatten, begab sich Simon gleich in den Saunabereich und Mara lieà sich von der Kosmetikern verwöhnen. Seit langer Zeit gelang es ihr sich wieder völlig zu entspannen als die Frau ihr sanft massierend eine krÀuterduftende Gesichtsmaske auftrug.
Maras Gedanken gingen endlich mal nicht zwanghaft zu ihrem kleinen toten Jungen Jonas, sondern wohltuend in das Nichts belangloser, unzusammenhÀngender Kleinigkeiten.
Sie wĂŒrde gleich einschlafen.
"Eine schwere Zeit fĂŒr sie...", riss die Stimme der Kosmetikerin Mara aus dem Dösen.
Sie erschrak und spĂŒrte einen Schmerz, der wie ein Messer in ihr Herz stach.
Was meinte die Frau? Sie konnte doch nicht.....
"In welcher Woche waren sie als ihr Sohn starb?" fragte die Frau, ohne ihre sanft massierenden Bewegungen zu unterbrechen.
Mara setzte sich ruckartig auf und starrte ihr GegenĂŒber fassungslos an.
"Woher wissen sie? Wer hat...."
Die WeiĂbekittelte lĂ€chelte nachsichtig.
"Die Frauen glauben alle, sie seien ganz zufÀllig hier hergekommen. Sie stehen nicht alleine da."
"Was meinem sie damit, um Himmels Willen? NatĂŒrlich sind wir nicht zufĂ€llig hier, sondern um ein paar Tage Urlaub zu machen.", stammelte Mara.
"Das glauben sie nur, schauen sie sich mal in Ruhe hier um! Nehmen sie sich viel Zeit und sehen sie den GĂ€sten hier in die Augen. Erst seit einigen Jahren verkehren hier wieder Menschen. Vorher stand das Schloss Jahrzehnte leer..."
"Ich weiĂ.", fiel Mara ihr ins Wort. "Aber was hat das mit mir zu tun?"
"Sie sind eine weise Frau, das erkenne ich. In Frauen, die ihr Kind verloren haben, wird immer diese Weisheit wach. Aber die Wahrheit mĂŒssen sie selbst herausfinden, die darf ich ihnen nicht verraten. Versuchen sie herauszufinden, warum hier wieder Menschen leben können und seien sie nicht erschreckt. In der Erkenntnis liegt der Keim fĂŒr die Zukunft, fĂŒr ihre und die aller anderen hier. Gehen Sie nun!"
Mara wurde mit sanftem Druck von der Liege befördert und die Kosmetikerin entfernte sich gerÀuschlos.
Mara ging wie in Trance durch die GĂ€nge und fĂŒhlte sich merkwĂŒrdig gefangen. Ihr erster Impuls war die Flucht zu ergreifen. Simon finden und nur weg von hier! Etwas ging nicht mir rechten Dingen zu und Mara war auch so schon zu dĂŒnnhĂ€utig, als dass sie jetzt noch irgendwelchen Schrecken hĂ€tte ertragen können.
Aber etwas hielt sie hier und als sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, wusste sie was es war. Wie sollte sie fort gehen können, wenn doch hinter dem geheimnisvollen Reden der Frau ein Wissen stehen musste? Ein Wissen um den Tod ihres Kindes. Irgendetwas, das Mara vielleicht weiterhelfen konnte.
Sie blickte die Menschen an, die ihr vereinzelt entgegenkamen. Es waren nur Frauen, die sich hier in dem Trakt aufhielten, der den kosmetischen Anwendungen vorbehalten war.
Mara spĂŒrte keinerlei Scheu vor diesen Frauen. Sie blickte in Augen, die genauso glanzlos blickten wie ihre eigenen... VerblĂŒfft setzte sie sich auf eine Bank an der Wand und dachte nach. Wie oft war sie in den letzten Wochen auf ihren traurigen Blick angesprochen worden, so als hĂ€tte sie kein Recht so zu schauen. Sie dachte mit Entsetzen an ihre eigene Mutter, die vor wenigen Tagen noch meinte, es mĂŒsse jetzt Schluss sein mit der Trauer. Jede dritte Frau wĂŒrde in ihrem Leben eine Fehlgeburt erleiden, beim nĂ€chsten Mal wĂŒrde es schon gutgehen.
Mara seufzte. Toll, von seiner Mutter zu einem Teil der Statistik degradiert zu werden....
"Mara!" Simon kam den Gang entlanggeeilt. "Ich suche Dich schon!"
Mara stand auf. "Hier hast Du mich ja."
Simon sah verstört aus. "Mara, vielleicht ist das nicht das Richtige fĂŒr uns hier. Vielleicht sollten wir wieder fahren."
"Wieso das denn?", Mara wurde zu ihrer eigenen Ăberraschung flau bei dem Gedanken wieder fort von hier zu mĂŒssen.
"Schatz regâ Dich nicht auf! In der Sauna hat mir ein Mann von der Geschichte des Schlosses hier erzĂ€hlt und ich glaube nicht, dass es das richtige Ambiente ist in unserer Situation..."
"ErzÀhl`nur..."
Sie gingen langsam weiter.
"Vielleicht hattest Du recht mit Deinen Vermutungen..."
Mara unterbrach ihn.
"Aber es war etwas anderes, nicht die HerzanfÀlle, nicht die UnfÀlle...". Mara wusste nicht, woher sie die Gewissheit nahm.
Simon fuhr fort mit seiner ErzÀhlung
"Nein, es sind immer wieder Kinder gestorben. Noch in der Schwangerschaft oder in der frĂŒhen Kindheit. So wurde das Geschlecht der von Rothenburg immer Ă€rmer an Nachkommen. Die Frau des letzten Rothenburgs nahm sich das Leben nachdem sie ihr letztes Kind verloren hatte und das trieb ihren armen Mann in den Wahnsinn, sagt man.
Mara, all dieses Unheil trug sich in diesen Hause zu. Nicht, dass ich an schlechte Omen glaube, aber möchtest Du hier bleiben? Wir sollten uns besser etwas anderes suchen."
Mara fröstelte. Sie schlang die Arme um sich. "ErzÀhl mir den Rest!", forderte sie leise.
"Mara, lass uns einfach fahren!"
"ErzÀhl es mir!"
"Schatz...es heiĂt, der letzte von Rothenburg hat vor seinem Tod geschworen, jeden Menschen hier zu vertreiben, der nicht das gleiche Schicksal erlitten hatte, wie seine Frau und er selbst. Aber Mara, ich GLAUBE nicht an Gespenster. Es ist nur, dass ich nicht glaube, das diese Geschichten zu Deiner Erholung beitragen. Ich denke, wir sollten fahren."
"Nein!", flĂŒsterte sie.
Eine Frau kam vorbei. Mara stellte sich ihr in den Weg.
"Haben sie ihr Kind verloren? Bitte, sagen sie mir..."
"Ja. Es ist schon gut, sie können ruhig fragen. Alle hier haben ihr Kind verloren. Eines oder mehrere. Sie kommen alle irgendwann hier her. Es gibt kein Entkommen. Es ist der Grund, warum dieses Schlosshotel immer gut besucht ist. Und da drauĂen weiĂ niemand die Wahrheit."
"Aber, in Gottes Namen, WARUM NICHT?" polterte Simon los.
"Weil sie dann niemals ein lebendes Kind bekommen werden. NIEMALS. Verstehen sie?"
Mara erstarrte. Was sollte das alles bedeuten? Sie unterdrĂŒckte den Drang einfach loszuschreien und hielt sich an Simon fest.
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