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Mai 2001
Ãœberall
von Reinhard Mermi

Blackmoore-Castle, morgen 24:00 Uhr

Irgendwo in der trüben Raum-Zeit-Suppe trafen sich die Kleinkünstler Nirgendwo und Überall. Beide umkreisten sich freundlich im Nirwana.
Es waren zwei lustige Gesellen, die zumeist mit schwarzen Glupschaugen und schelmisch grinsenden Mündern daher kamen. Sie bestanden aus nichts anderem als Astral-Energie. Gedanken nur, zu Kugeln verdichtet, die in einem flammenähnlichen Schweif ständig Energiepartikel verloren. Als Formwandler konnten sie jede erdenkliche Form annehmen, was ihrem Schauspieltalent und ihrem Hang zum Schabernack sehr entgegenkam. Besonderes Vergnügen bereitete ihnen auch, normale Sterbliche als schleimgrüne Monster zu Tode zu erschrecken.
"Hallo Nirgendwo, schön dich zu treffen! – Wo steckst du denn die ganze Zeit. Bist praktisch nirgendwo und zugleich überall!"
"Mensch Überall! – Gut, dass ich dich gefunden habe. Wir beide sind über die Künstler-Agentur gebucht worden. Keine große Sache. Also - wir beide werden morgen um 24:00 Uhr im Blackmoore-Castle für eine Stunde vor einer japanischen Reisegruppe auftreten. Da ist der Kontrakt!"
"Du Nirgendwo, da steht auch was von durchsichtigen Klamotten. Na ja, lieber hätt’ ich ja meinen Part in der Ritterrüstung gespielt.– Hey, da steht auch nichts von meinem Generator für dunkle Energien! – Kann ich den nicht ins Programm einbauen? – Das kommt bei jüngeren Leuten immer gut an!"
"Och nööh – is’ nicht so toll! – Die Japse sind alle älter als fünfzig und für den neuen Kram nicht mehr zu begeistern! " Er umkreiste dabei Überall wie ein Wirbelwind, dem davon im Kugelkopf ganz schwindelig wurde.
"Ach Nirgendwo, jetzt bleib’ doch endlich mal stehn und mach’ nicht soviel Wind. Hier zieht’s ja wie Hechtsuppe! Hol’ mir ja den Tod!"
Nirgendwo ließ sich rücklings fallen. "Ha ha ha – Tod! – Hab’ selten so gelacht, lieber Überall! – Ich glaub’ mir fallen gleich die Ohren ab!"
"Mensch, Nirgendwo, altes Haus!" prustete Überall, "welche Ohren meinst du denn? – Du hast doch seit 342 Jahren gar keine mehr! Und übrigens, an der Stelle, wo du gerade die Plasma-Ohren hingezaubert hast, da gehören die gar nicht hin."
Überall war plötzlich nachdenklich geworden und sauste in der Raum-Zeit-Suppe hin und her. Eigentlich würde er sich jetzt an der Schläfe kratzen. Ab und zu hatte er noch so menschliche Anwandlungen. Aber zu welchem Zweck sollte er das tun, da er praktisch nur noch aus reiner Astral-Energie bestand?
"Du Nirgendwo, meinst du nicht, wir sollten ein paar neue Gags in unser Programm einbauen?"
"Haste was bestimmtes im Auge?" Beide blieben in der Raum-Zeit-Suppe stehen.
"Hey, Nirgendwo, wie wär’s denn, wenn ich den Ritt auf einer Kanonenkugel vorführe?"
Nirgendwo winkte enttäuscht ab.
"Ach Überall, diese olle Kamelle hat doch der alte Münchhausen schon abgezogen! Und übrigens, du mit dem fast hundertpro Muskelschwund, wie willst du `ne Kanonenkugel schleppen!– Hm – nein, es muss was Neues her!"
Bei den letzten Worten hatte sich Nirgendwo auf den Kugelkopf gestellt, weil er seiner Meinung nach dabei besser grübeln konnte. Seinen lodernden Energieschweif schlenkerte er dabei nachdenklich hin und her.
"Ich hab’s, Nirgendwo. Ich könnte doch selbst als Kugel – besser noch als Kugelblitz – in den Schornstein einfahren. Das gäbe einen Höllenspektakel!"
Nirgendwo winkte abermals ab.
"Och nööh, Überall, das ist auch nichts. Dieser Gag ging doch schon mal in die Hose. Weißt du nicht mehr, wie du bei diesem Stunt anstatt im offenen Kamin im Zentralheizungskessel rauskamst?"
Auch Überall begab sich nun in die Kugelkopfstellung und überlegte. Schaden konnte es ja nicht. Er ließ sich kurzerhand ein Ärmchen wachsen und deutete ganz aufgeregt nach unten.
"He, schau doch mal die zwei da unten an! – Also, also - solche Ferkeleien haben wir früher nicht getrieben. Da muss man erst mal drauf kommen! - Ich hab’s. Könnten wir nicht etwas Erotik in unsere Show einbauen, damit das ganze peppiger wird?"
"Och nööh, das geht auch nicht. In unserem Kontrakt steht, dass wir eine jugendfreie Show abliefern müssen!"
Ãœberall war jetzt beleidigt.
"Du immer mit deinem, Och nööh. Mehr kannste wohl nicht beisteuern – Hohlkopf!"
"Selbst Hohlkopf!"
Jeder verzog sich schmollend in die Weiten der trüben Raum-Zeit-Suppe.
Einige Minuten später. "He Nirgendwo, biste noch da?"
Ãœberall blickte suchend umher.
Irgendwo aus der Nebelbrühe kam ein ärgerliches "Jaa!"
"He Nirgendwo, alter Schwede, komm doch wieder her! Ich glaub, ich hab’ da `ne tolle Idee! – Kann ich dir aber nur im Vertrauen sagen, du weißt schon, wegen des Copyrights."
Langsam kam Nirgendwo wieder angeschwebt.
Ãœberall redete einige Minuten auf Nirgendwo ein, der schlussendlich zustimmend mit seinem Kugelkopf hin und her wackelte.
"Also Nirgendwo, so machen wir’s!"
"Ist gebongt, Überall! Und Tschüss! Ich muss gleich weiter. Will heute noch ein paar Geisterbahnen besuchen – Liebespaare erschrecken!"

Am nächsten Tag, kurz vor Mitternacht

Die japanische Reisegruppe hatte sich vollständig im Rittersaal von Blackmoore-Castle versammelt. Man konnte förmlich das Zähneklappern und Schlottern der Knie zum Takt der tickenden Kaminuhr hören. Fünf bange Minuten noch.
Für das irdische Auge unsichtbar, zogen zu dieser Zeit Überall und Nirgendwo über dem Schloss ihre Warteschleifen.
"He, Nirgendwo! Alles roger bei dir?"
"He, Ãœberall! Alles roger and out!"
Vom Kirchturm her waren nunmehr zwölf Glockenschläge zu hören. Kaum war der letzte Ton verhallt, da ging das Spektakel los.
"Attackeeeeee!" rief Überall und ging gleichzeitig mit seinem Flügelmann Nirgendwo in den Sturzflug über.
Ihr Crash im Dachstuhl des Schlosses und das anschließende Gepolter waren phänomenal! Überall und Nirgendwo juchzten dabei voller Freude.
"Und jetzt den neuen Gag!", schrie Ãœberall aufgeregt. "Uuund Action!"
Im selben Moment bimmelten, bammelten und dudelten alle Handys in den diversen Hand- und Jackentaschen der Japaner. Aber auch die zurück gelassenen Handys auf den Zimmern steuerten zum Geräuschpegel bei. Das war ein akustisches Durcheinander und ein Höllenlärm! Viele ließen vor Schreck ihre Mobiles einfach fallen.
"Hey, Überall! – Mensch is’ das’n verschärfter Spaß! Die schmeissen jetzt sogar mit ihren Handys."
Und tatsächlich, einige Japaner sahen keinen anderen Ausweg mehr, als ihre Handys einfach aus den Fenstern zu werfen. Draußen ging das Gebimmel, Gebammel und Gedudel der verwaisten Mobiles weiter, was allerdings nicht ohne Folgen blieb.
Vom unbekannten Lärm wurden jetzt die Tiere des Schlossguthofs aufgeweckt. Da bellten die Hofhunde, schnatterten die Gänse, blökten die Schafe und muhten die Kühe. Es war zwischenzeitlich ein Schreckens-Szenario, das für die Einwohner des naheliegenden Dorfes nicht unbemerkt blieb.
"Schau doch, Überall! Da drüben läuft ein Kollege in die Kirche!"
"Ach Nirgendwo, was erzählste da wieder, das ist doch der Küster im weißen Nachtkittel. Der will sicherlich die Glocken läuten."
Einige Augenblicke später erbebte der Kirchturm, als der Küster alle Kirchenglocken zum Feueralarm ertönen ließ. Der Dorfgendarm zwängte sich, so schnell er konnte, in seine Uniform, schwang sich auf sein Fahrrad und düste Richtung Schloss. Der örtliche Feuerwehr-Kommandant, der gerne mal mit dem Feuer spielte, musste sich von seiner neuen Flamme verabschieden, und rannte zu seinen Feuerwehrmannen ins Spritzenhaus.
"Jetzt kommt Stufe zwo der Handy-Nummer, Nirgendwo! Uuund Action!"
Das Bimmeln, Bammeln und Dudeln der Handys hatte von einer Sekunde zur anderen aufgehört. Dafür hörten die Japaner Nirgendwos furchterregende Geisterstimme über die Handys. Da war ein Jammern, Stöhnen, Wehklagen, Wimmern und grausiges Röhren zu vernehmen, dass einem schier das Blut in den Adern gefror. Kein Laut kam den Reisegästen mehr über die Lippen. Alle standen wie angewurzelt da und hörten zu. Und manches Höschen war inzwischen nass geworden.
Nirgendwo musste sich bei seiner Nummer echt zusammen reissen, damit er ernst blieb und nicht zu lachen begann! Zu komisch war für ihn das ganze.
"Klasse Nirgendwo! Toll gemacht – und jetzt ziehen wir unsere Nummer mit den Moorhühnern ab! Uuund Action!"
Überall und Nirgendwo verwandelten sich nun in grüne schleimige Monster, so dass sie nunmehr für die Irdischen sichtbar wurden.
In Panik stoben die Japaner in alle Richtungen auseinander. Jeder versuchte verzweifelt zu entfliehen oder sich hinter seinem Partner, unter Tischen, hinter Vorhängen, umgestürzten Stühlen und selbst unter Teppichen zu verstecken. Für Überall und Nirgendwo ging der Spaß jetzt so richtig los. Der ganze Rittersaal war jetzt voll von gackernden schottischen Hochland-Moorhühnern. Sie saßen auf den Vorhangstangen, in den Kronleuchtern, auf den Ritterrüstungen, hingen in den Wandteppichen oder flogen einzeln oder in Gruppen durch den Saal.
Nirgendwo und Überall standen nunmehr Rücken an Rücken mitten im Rittersaal und ballerten mit ihren Maschinenpistolen auf die Moorhühner.
"Hey, Überall! Ich hab schon wieder drei Moorhühner erledigt. Wieviel Punkte hab ich jetzt?"
"Halt die Schnauze, Nirgendwo, und mach deinen Job! Ich hab nicht mitgezählt."
Die Japaner wurden durch die Ballerei nicht verletzt. Es gab nur eine furchtbare Sauerei, da jedes Geister-Moorhuhn ebenfalls aus grünem Schleim bestand. Wurde ein Huhn von den beiden Schützen getroffen, dann spritzte der grüne Schleim in alle Richtungen. In kurzer Zeit war der ganze Rittersaal, einschließlich Einrichtung und Japanern, mit glitschigem Schleim eingesoßt.
"Hey Überall, die Moorhühner sind alle! Was machen wir nu’?" rief Nirgendwo, den nunmehr das Jagdfieber vollends erwischt hatte.
"Jetzt schleimen wir die Japse ein Nirgendwo. Änderung des Drehbuchs! Uuund Action!"
Jetzt begann die fröhliche Jagd auf die japanischen Schlossgäste. Alle wurden von Überall und Nirgendwo mit ihren Maschinenpistolen aufs Korn genommen und von unten bis oben mit grünem Schleim bespritzt.
Überall und Nirgendwo hatten ihren Spaß. Und wenn sie wieder einen Schlossgast mit grünem Schleim abgeschossen hatten, konnte man Bemerkungen hören wie:
"Mensch, haste gesehn, dem habe ich jetzt eine vor den Latz geballert!", oder "Dem hab ich’s aber gegeben!"
Die armen Japaner schlidderten über den Fußboden des Rittersaals und die Treppe hinunter, bis sie draußen vor dem Eingangsportal zu liegen kamen. Überall und Nirgendwo stellten das Feuer erst ein, als alle Gäste aus dem Schloss gespritzt waren.
Draussen erwartete die bedauernswerten Japaner der Dorfgendarm und eine reinigende Dusche mit dem Feuerwehrschlauch. Der Feuerwehr-Kommandant und seine Mannen nahmen ihre Aufgabe sehr ernst und weichten die Ärmsten ordentlich von oben bis unten ein.
"Du Nirgendwo, alle Japse sind jetzt nach draussen befördert. Das war ein Riesenspaß!"
"Ja, wir haben’s geschafft Überall! Just in time!"
Die Kirchturm-Uhr schlug die erste Stunde und der Spuk war vorbei. Überall und Nirgendwo düsten zurück in die trübe Raum-Zeit-Suppe.
"Mach’s gut, Überall!"
"Jo, du auch – und halt die Ohren steif Nirgendwo. Man sieht sich wieder!", klang es aus der Ferne.

Wenige Tage später

In der trüben Raum-Zeit-Suppe schossen mit schier unvorstellbarer Geschwindigkeit zwei Energiekugeln aufeinander zu. Im Moment des Zusammenpralls erhellte ein greller Blitz die Suppe und wo vorher noch die Energiekugeln waren, da zerstob jetzt eine Wolke aus astralen Energieteilchen in alle Richtungen. Doch der Vorgang war zum Glück umkehrbar.
"Aua!"
"Mensch, aua! – bist du das Überall?"
Langsam formten sich aus den Energieteilchen wieder zwei Energiekugeln. Überall und Nirgendwo hatten den Zusammenprall bestens überstanden, da sie praktisch "unkaputtbar" waren.
"Nirgendwo, du alte Rennsemmel, kannste nicht aufpassen! Musste immer mit so `nem Affenzahn durch die Suppe flitzen?"
"Du musst dich gerade beschweren," brummte Nirgendwo. "Wer von uns hat den schon drei Strafmandate wegen Ãœberschreitung der Lichtgeschwindigkeit, he?"
"Na ja, Schwamm drüber, alter Schwede. Ist ja weiter nichts passiert."
"Hast du schon die Kritik in den Blackmoore-News über unseren Auftritt gelesen?" Nirgendwo winkte dabei mit der Lokalgazette.
"Gib mal her!" Ãœberall war ganz neugierig. "Ach, das ist doch nur wieder ein Polizeibericht! Ãœber uns hat doch noch nie jemand geschrieben. Wir sind einfach unbekannte Genies!" Ãœberall war sichtlich geknickt.
"Du, Überall, ich habe mit unserer Künstler-Agentur gesprochen. Die sagen, unser Auftritt war ein voller Erfolg. Die Japaner sind ein komisches Völkchen, die stehen auf solche derben Späße – meint der Agent."
Zur Aufmunterung versetzte er Ãœberall einen freundschaftlichen Rempler.
"Soll ich dir was sagen, Überall? Wir sind für die nächsten drei Monate ausgebucht! – Nur das mit dem Abschießen der Japse sollen wir in Zukunft lassen. –
Ist das nicht klasse?"
Für Überall war die Welt nach dieser Nachricht wieder in Ordnung.
"Bist ein prima Kumpel, Nirgendwo!"
"Du auch, Überall! Also dann tschüss – man trifft sich wieder!"
Dann verschwanden beide in den Weiten der trüben Raum-Zeit-Suppe.

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