Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Mai 2001
Seance im Spukschloss
von Brigitte Tholen

"Ich habe uns für morgen zu einer Seance angemeldet."
"Was hast du?"
Vera starrte Melanie mit weit aufgerissenen Augen und vorgeschobenem Kopf an, als hätte sie nicht richtig verstanden.
"Du wolltest doch immer mal bei einer Seance mitmachen!?"
"Aber das habe ich einfach so gesagt. Ehrlich. In Wirklichkeit wäre mir das zu gruselig."
Melanie setzte sich beleidigt und enttäuscht in den weichen Ledersessel. Ihre Handtasche ließ sie achtlos auf den Boden fallen.
"Dann geh ich eben allein."
"Aber wieso? Warum willst du denn unbedingt bei einer Seance mitmachen?"
Die Freundin wippte mit ihren Fußspitzen und flüsterte verlegen: "Wegen Peter."
Herrje! Daran hatte Vera einfach nicht gedacht. Melanie kam über den Tod ihres Mannes nicht hinweg. Er war vor einem Jahr mit hoher Geschwindigkeit gegen die Leitplanken der Autobahn gerast. Die Polizei hatte die Ursache des Unfalls nie klären können.
Unruhig verlagerte Vera ihr Gewicht von einer Seite zur anderen.
Was sollte sie bloß machen? Sie konnte Melanie nicht in Stich lassen. Das wäre feige von ihr.
"Wo findet die Seance statt?", wollte sie wissen, um ein wenig Zeit zu gewinnen.
"Im Moorschlösschen. Ich kenne Marianne Mertens, die Besitzerin, sehr gut. Sie weiß auch von meinen Depressionen. Seit gestern ist ein Professor Döring bei ihr zu Gast Er beschäftigt sich mit Parapsychologie."
"Im Moorschlösschen?" Vera überlegte. Hatte man nicht vor einem Jahr erzählt, dort solle es nicht mit rechten Dingen zugehen? Von Spuk war die Rede gewesen. Vera hatte damals herzlich gelacht. Aber wenn dort Seancen abgehalten wurden...
Ein Professor sollte dabei sein? Veras Neugier gewann Oberhand.
"Gut, Melanie, ich komme mit."

An diesem Abend wurde Vera einfach nicht müde. Sie schickte ein mehrfaches "Mayday, Mayday" in den Himmel. Irgendwann nahm der Schlaf sie endlich in seine Arme.
Am nächsten Tag glänzten die Straßen noch nass vom letzten Regenschauer. Vorsichtig fuhr Melanie ihren Golf durch die Kurven. von Langholt. Vera drehte die Scheibe herunter und atmete die frisch gereinigte Luft ein. Das Gras hatte eine herrlich sattgrüne Farbe angenommen und überall an den Bäumen und Büschen waren die Knospen bereit, sich zu öffnen. Die Wiedergeburt der Natur hatte begonnen. Bei dem Gedanken an Wiedergeburt, bekam sie eine Gänsehaut. Die Vorstellung, gleich die Geister der Toten zu rufen, machte sie ängstlich.
Melanie saß ganz entspannt am Steuer.
Veras linke Hand schob sich langsam in die Tasche der Kostümjacke und berührte das Salz, das sie heute Nachmittag hineingeschüttet hatte. Es sollte vor bösen Geistern schützen. So stand es zumindest in einer Zeitschrift, die sie vor längerer Zeit gelesen hatte.
Inzwischen waren sie auf der Collinghorster Straße und näherten sich dem teilweise trockengelegten Moorgebiet. Ein langer Privatweg, dessen Rand von hohen Birkenbäumen umsäumt war, führte direkt auf den Parkplatz, auf den Melanie jetzt ihren Wagen lenkte.
Sie stiegen breite Stufen hinauf und standen schließlich vor einer ungewöhnlichen Eingangstür. Sie war alt und aus massiver Eiche mit wunderschönen Schnitzereien. Vera sah genauer hin und konnte die Bilder der vier Jahreszeiten erkennen.
"Dann wollen wir mal." Melanie drückte auf den goldfarbenen Klingelknopf. Schritte näherten sich. Veras Herz klopfte ihr bis zum Hals. Die Tür wurde geöffnet.
Eine mittelgroße Frau in einem strenggeschnittenem, grauen Kostüm und weißer Bluse reichte ihnen die Hand. Ihr graumeliertes Haar hatte sie zu einem Knoten straff nach hinten gekämmt. Hinter einer kleinen runden Brille mit schmalem Goldrand, schauten sie zwei kluge Augen an.
"Wir haben bereits auf sie gewartet. Kommen sie doch herein."
Die beiden folgten ihr langsam durch eine riesige Eingangshalle, die nur mäßig vom Kaminfeuer und flackernden Kerzen in Wandhaltern beleuchtet war. Ein Geruch von Sandelholz, Koriander und Weihrauch hing in der Luft. Vera wäre am liebsten umgekehrt, aber ihre Freundin schien keinerlei Furcht zu haben. Also riss sie sich zusammen. Durch einen Säulengang, dessen Decke gewölbt und mit Stuck verziert war, führte sie die Besitzerin in einen Wohnraum. Als erstes fiel ein riesiges Pentagramm aus Messing an der Kopfwand des Raumes auf. Die Fenster, mit schweren brombeerfarbenen Samtvorhängen bedeckt, ließen keinen Blick nach außen oder von außen zu. In diesem Raum war der Duft nach Räucherung noch intensiver. Antike Palisandermöbel, wertvolle Gemälde und merkwürdige Masken gaben dem Raum seine Atmosphäre. An der anderen Wand stand eine kaffeebraune Ledergarnitur, auf der zwei Frauen und ein Mann saßen und neugierig in unsere Richtung blickten.
Frau Mertens stellte uns vor.
Meine Güte, dachte Vera, die sehen doch gar nicht wie Spinner aus.
"Dann wären wir ja vollzählig, meinte der Professor und sah die beiden so forschend an, dass Vera das Gefühl hatte, er brenne ihr mit seinen Augen ein schwarzes Loch in die Seele.
"Sie brauchen keinerlei Furcht zu haben. Bitte halten Sie sich aber genau an meine Anweisungen."
Er brach ab und sah Frau Mertens fragend an. "Wollen wir gleich an unseren Platz gehen? Dann erkläre ich es dort genauer."
Frau Mertens nickte eifrig. "Ja, kommen Sie doch alle mit!"
Sie gingen zu einem runden, frühbarocken Tisch, der in einer Nische des Wohnzimmers stand. Sechs Stühle waren
rundum verteilt. Eine große Schale stand mitten auf dem Tisch, aus der kleine Rauchwolken den Duft verteilten, der überall so hartnäckig zu riechen war. Auf einer langen Kommode aus mexikorotem Holz lagen Bücher mit grünem Samteinband und unzählige brennende Kerzen warfen huschende Schatten an die hohen Wände. Vera hatte plötzlich das Gefühl, fortlaufen zu müssen. Nur weg, weg von diesem Hokus Pokus. Aber als wäre der Weg hinaus versperrt, ging sie wie ein Roboter den anderen nach, setzte sich auf einen Stuhl neben Frau Mertens und legte ihre schweißnassen Hände auf die Lehnen. Ihr gegenüber saß Frau Becker, klein, schwarzhaarig, eher schüchtern.
"Meine Damen...", der Professor sah in die Runde. "...Ich werde jetzt, die Kerzen bis auf eine löschen. Bitte nehmen Sie die Hand Ihrer Nachbarin und halten Sie diese fest."
Der Raum war inzwischen so dunkel, dass Vera die Gesichter der anderen nur noch schwer erkennen konnte. Der Professor hatte sich zwischen Frau Lohring und Frau Becker gesetzt und deren Hände ergriffen.
"Wir haben jetzt einen Kreis gebildet und sind miteinander verbunden. Dieser Kreis darf auf keinen Fall unterbrochen werden. Ich wiederhole: auf keinen Fall! Egal was geschieht. Frau Becker unser Medium könnte sonst schwerste Schäden erleiden. Bitte konzentrieren Sie sich und versuchen Sie eine Gedankenleere zu erreichen. Ich werde dann die Geister der Verstorbenen anrufen. Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Die toten Seelen, die vor unseren Augen erscheinen werden, haben Botschaften und möchten sie uns mitteilen. Denken Sie daran, wenn Sie eine Erscheinung sehen, nicht in Panik zu verfallen! Bleiben Sie ruhig! Frau Becker und ich haben alles unter Kontrolle."
Veras Knie zitterten leicht und sie wünschte, der Spuk wäre schon vorbei. Ihr Atem ging schnell und der Magen schien sich zusammenzuziehen. Sie hatte Angst, fürchterliche Angst. Würde sie gar einen Herzinfarkt bekommen, wenn ein Geist erschien?
Wieder war die ruhige Stimme des Professors zu hören. "Versuchen Sie jetzt sich zu entspannen, atmen Sie tief ein und wieder aus."
Im Raum war außer dem leisen Knistern der Räucherkohle eine Stille, als hielte selbst die Zeit den Atem an.
"Beim Namen von Hoabezy und mit Hilfe von Roushira beschwöre ich dich, hier zu erscheinen, um mit uns zu sprechen. Ich bitte dich, so zu erscheinen, dass wir dich auch..."
Bevor der Professor ausreden konnte, erlosch plötzlich die einzige noch brennende Kerze. Ein offenliegendes Buch auf der Kommode flog in die Luft und knallte mit Krachen auf den Boden. Ein diabolisches Gelächter erfüllte den ganzen Raum. Vera hatte vor Schreck ihre Hände aus dem Kreis gezogen und presste sie voller Grauen fest an ihre Brust. Auch die anderen schienen schockiert und scheinbar ahnten sie, dass sich plötzlich etwas Böses in diesem Raum befand. Vera sah, wie der Professor ebenfalls seine Hände löste und aufstehen wollte, als er unvermittelt von einer unsichtbaren Kraft wieder auf seinen Stuhl gedrückt wurde.
Voller Schrecken starrten sich alle an. Ein eiskalter Wind wehte durch den Raum, Gemälde schwebten durch die Luft, haarscharf an den Köpfen der Anwesenden vorbei. Formlose, schleierartige und wolkenförmige Gebilde erstanden aus dem Nichts, gingen ineinander über und lösten sich auf. Unvermittelt formte sich eine dunkle große Masse. Der unheimliche Körper geiferte böse und ein Geruch von Fäulnis breitete sich aus.
Vera hatte das Gefühl ins Bodenlose zu versinken. Grauen und Todesangst ließen irre Laute über ihre Lippen kommen.
Anscheinend hatte der Professor sich inzwischen gefangen. Er saß auf seinem Stuhl, ergriff das Kreuz seiner Halskette und schrie:
"Verschwinde von hier, wir haben dich nicht gerufen! Im Namen von Hoabezy geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist!"
Der dunkle, unheimliche Körper stürzte sich wellenförmig auf den Professor und hüllte ihn ein. Ein entsetzter Schrei war zu hören, dann löste sich die schwebende Masse in kleine Nebelfetzen auf, die den Anwesenden den Blick auf den Professor versperrten.
Vera hatte das Gefühl, nie wieder lebend aus diesem Spukschloss zu kommen, doch mit einem Schlag war plötzliches alles vorbei.
Die Nebel hatten sich verflüchtigt, die schwarze Masse war verschwunden und Totenstille herrschte im Raum. Der Stuhl des Professors war leer...
Mit zitternden Gliedern sprang Vera auf, rannte zu ihrer Freundin und zerrte sie am Arm aus dem Schloss.
"Weg hier! Ich will raus, schnell, bevor noch mehr geschieht."
Melanie ließ sich willenlos nach draußen schleifen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und als sie endlich das Auto erreicht hatten, rannen die Tränen unaufhaltsam über ihre Wangen. Vera nahm die Handtasche ihrer Freundin, fand den Autoschlüssel und verfrachtete Melanie auf den Beifahrersitz. Mit quietschenden Reifen und irrem Tempo raste sie ins Dorf.

Am übernächsten Morgen, noch immer belastet durch die schrecklichen Ereignisse, las Vera in der Zeitung:
"Betrügerischer Professor raubte mit Hilfe seiner Komplizen während einer inszenierten Seance das Moorschlösschen der Marianne Mertens aus. Er ließ Schmuck, wertvolle Gemälde und
Bargeld mitgehen. Der Schaden wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt."

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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