Sexlibris
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Juni 2001
Heimkehr
von Michaela Grollegg

Danielle hatte das Gefühl, als würde ihr das Herz jeden Moment aus der Brust springen.
Es klopfte wie verrückt.
Nach langem Zögern siegte schließlich doch die Neugierde über ihre Angst.
Entschlossen drückte sie die Türklinke nach unten, betrat den Raum und prallte entsetzt zurück.
Das Zimmer glich einer Grabkammer.
Ihre Augen hatten Mühe sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, um mehr als nur die schemenhaften Umrisse des Raumes erkennen zu können.
Die zugezogenen Vorhänge verhinderten jegliches Eindringen eines Sonnenstrahls von außen und nur einige brennende Kerzen auf der Kommode sorgten für schummriges Licht.
Das gesamte Zimmer war überladen mit ordentlich gerahmten Bildern und vertrockneten Blumengestecken, die neben den Kerzen platziert waren.
Danielles Blick schweifte durch den Raum und blieb schließlich an einer Gestalt haften, die zusammengekrümmt in einem Rollstuhl neben dem Kamin saß.
Ihre Augen verengten sich und starrten voller Abscheu auf den Mann, während sie sich ihm langsam und vorsichtig näherte, als handle es sich um ein wildes Tier.
Das war er also- der große Pierre Loquer. – Der Mann, der sie in einem Netz aus Lügen aufwachsen ließ; der Mann, der die Macht besessen hatte ihr Leben gründlich zu manipulieren.
Was hatte ihre Großtante über ihn erzählt? – Er wäre ein mächtiger und einflussreicher Mann dieses Dorfes gewesen; das Oberhaupt einer kleinen Familie, die er wie einen Clan regiert hatte.
Aber von dem machtstrotzenden, großen Pierre Loquer war nicht viel übrig geblieben.
Nicht ohne eine gewisse Genugtuung musste Danielle feststellen, dass er mehr einem Häufchen Elend glich.
Sein Körper hing zusammengesunken und schlaff wie eine achtlos weggeworfene Marionette in dem Rollstuhl; gezeichnet von zwei Schlaganfällen, die ihn fast bewegungsunfähig gemacht hatten.
Trotz allen Ekels, den sie für diesen Mann empfand, beschlich Danielle nun doch ein Gefühl der Unsicherheit. Zögernd ließ sie sich auf den Kaminstufen neben ihm nieder.
Die Gestalt hob ein wenig den Kopf und im Schein der Kerzen konnte Danielle seine schlaffen, faltigen Gesichtszüge erkennen.
"Marie? Marie, bist du es ?" flüsterte er in schleppendem Tonfall, in dem sein südfranzösischer Dialekt mitschwang.
"Ich bin Danielle, deine Enkelin," antwortete sie mit gepresster Stimme. – "Danielle?"
"Ja, die Danielle, die du ganze achtunddreißig Jahre ihres Lebens verleugnet hast," spie sie ihm förmlich entgegen.
Sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzerfüllten Grimmasse und er richtete seinen verwirrten Blick auf die dunkelhaarige, schlanke Gestalt.
"Du – du bist ihr so ähnlich." Danielle gab einen zischenden Laut von sich. "Das kann ich leider nicht beurteilen, nachdem du mir die Möglichkeit genommen hast meine Mutter je kennen zu lernen," rief sie verbittert.
Der alte Mann versuchte seine zitternden Hände nach ihr auszustrecken, aber Danielle wich zurück. "Ich hätte mir so sehr gewünscht ...-ich wollte das nicht ..." stammelte er und ließ ruckartig seine Arme sinken. Danielle durchbohrte ihn fast mit ihrem Blick.
"Warum? Warum hast du es dann getan?"
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke und in dem darauffolgenden Schweigen lag eine fast elektrisierende Spannung.
Pierre Loquer, der alte Mann, sammelte all seine Kräfte, die noch in dem ausgemergelten Körper steckten, und richtete sich ein wenig auf, ehe er zu sprechen begann.
"Vor achtunddreißig Jahren starb deine Großmutter und alles, was mir neben deiner Großtante Luise noch geblieben war, das waren meine Kinder. – Paul, Pierre und seine Frau Nicole- und Marie. Ja, Marie ..."-Er stockte einen Moment und sein rechter Mundwinkel verzog sich zur Andeutung eines Lächelns.
"Marie war damals gerade siebzehn. Sie war ein so hübsches Mädchen, voller Lebenslust, - aber auch noch so unerfahren ...!- Irgendwann ...-im Sommer, kam ein fremder junger Mann in das Dorf. Er streunte herum wie ein herrenloser Hund. Er tauchte wie aus dem Nichts auf ..."
Pierre Loquers Miene verdunkelte sich, als ihn die Erinnerung daran wieder einholte.
Seine Aussprache wurde wieder undeutlicher und so musste sich Danielle widerwillig etwas nach vorne beugen, um ihn verstehen zu können.
"Fremde kamen zu der Zeit kaum ins Dorf und ich ahnte nichts Gutes, als dieser Landstreicher hier plötzlich auftauchte ...! Er kam auch hierher und half mit bei der Ernte. Packte überall mit an, scheute keine Arbeit. – Was sollte ich da noch gegen ihn sagen, als Marie sich in ihn verliebte?"
Seine Stimme wurde kräftiger und Danielle registrierte nicht ohne Unbehagen, dass sein Blick nicht mehr unruhig umherwanderte, sondern wach und klar auf ihr ruhte.
"Sogar deine Großtante Luise fand Gefallen an ihm und auf einmal spielte sein plötzliches Auftauchen hier für niemanden mehr eine Rolle. Die Leute meinten, er wäre weltgewandt und ein Charmeur." Der alte Mann seufzte tief. "Ich wusste aber, dass er nur ein durchtriebener Gauner war und Marie sicher das Herz brechen würde. – Aber Marie wollte nicht auf mich hören ...! Eines Tages kam dann die Polizei auf unserem Hof und suchte nach ihm. Man warf ihm vor, in Paris seine Frau kaltblütig ermordet zu haben. Ich war voller Zorn ...- er hat sich in unser Leben geschlichen, dieser Bastard!"
Danielle fuhr hoch. "Du sprichst von meinem Vater! Marc Laurant war mein Vater!"
Der alte Mann hob den Kopf ein wenig und sein scharfer Blick ließ sie verstummen.
"Marc Laurant war in erster Linie ein Mörder, der meine Tochter geschwängert hatte!" rief er zornig.
Danielle war verblüfft über die Kraft, die er in diese Worte gelegt hatte,und setzte sich langsam wieder.
"Marie," fuhr er wieder mit leiser und brüchiger Stimme fort, "Marie wollte nicht glauben, dass er das getan hatte. Sie beichtete mir am selben Tag noch, von ihm schwanger zu sein.
Ich wollte, dass sie das Kind abtreiben lässt. Du solltest ...- solltest nie zur Welt kommen."
Er röchelte kurz und senkte den Blick. "Du bist ein Teufel," schrie sie und schlug ihm hart ins Gesicht. Der Kopf des alten Mannes flog förmlich zurück und sein Körper schien in sich zusammenzufallen. Erschrocken presste Danielle ihre Hand auf den Mund.
Was tat sie da? – Er war ein hilfloser Krüppel, krank und wehrlos! Als der Alte mühsam den Kopf wieder hob, sah sie, wie Speichel aus seinem Mund tropfte und er sie mit glasigen Augen anstarrte. Danielle schwankte zwischen Mitleid und unbändiger Wut. Zutiefst verunsichert setzte sie zu einer Entschuldigung an, brachte aber keinen Ton über die Lippen.
"Ich-ich wollte ihr die Schande ersparen, Danielle," flüsterte er und erzählte einfach weiter, als hätte sie ihn nie geschlagen.
"Sie war noch so jung und sollte ihr Leben nicht wegwerfen. Aber sie hörte nicht auf mich. Sie versteckte ihn und ... und wollte das Kind- dich- zur Welt bringen. Eines Tages verschwand sie. – Mit Marc."
In Danielle regte sich wieder die alte Wut. "Du wolltest nur keine Schande über dich kommen lassen! – Du hast doch gar nicht an ihr Glück gedacht!"
Ihre Einwände ignorierend fuhr er fort: " Ein ganzes Jahr lang blieb Marie verschwunden. Ich wurde fast wahnsinnig vor Sorge und Angst um sie. – Jede Nacht kam der selbe Albtraum wieder und ich sah sie darin sterben- durch seine Hand!"
Pierre Loquer stockte und Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln. "Wir suchten sie monatelang und schließlich fand Paul sie. – In einem alten Schuppen, völlig verwahrlost und hungrig von der langen Flucht. – Wir sagten der Polizei nichts davon; ich fuhr alleine hin.
Sie stand vor mir mit dir im Arm- einem schreienden Säugling ...!
Marc wollte mich nicht zu ihr lassen- er versperrte mir den Weg ...- und dann ...!"-
Der alte Mann schluchzte auf. "Dann hast du ihn erschossen," beendete Danielle mit ausdrucksloser Stimme seinen Satz. "Du hast mich Pierre und Nicole übergeben, die mich als ihr eigenes Kind aufzogen und mit mir nach Deutschland gegangen sind." Er nickte und wischte sich mit zitternder Hand die Tränen aus dem Gesicht. "Ich nahm Marie mit nach Hause und wollte für sie sorgen. Sie sollte – sollte all das vergessen und...und ein neues Leben beginnen können.- Ich hoffte, sie würde mir verzeihen.....aber..." -Pierre Loquer schloss für einen Moment die Augen, als würden ihn die Bilder der Vergangenheit überwältigen. "Aber sie wurde depressiv. – Sie zog sich immer mehr zurück und ...konnte nicht vergessen." – "Sie hat sich das Leben genommen, nicht wahr?" Er antwortete nicht. Tief in Gedanken versunken starrte sie ihn an und bemerkte erst viel später, dass sie während der letzten Minuten ihre Hand auf seine gelegt hatte. Als er ihre kalten Finger zart drückte, wollte sie sie schon zurückziehen, aber dann besann sie sich anders.
"Luise hat mir alles geschrieben. Sie wollte, dass ich dir verzeihe- nach so vielen Jahren...," sie sprach nicht weiter. "Kannst du das denn?" fragte er und neigte den Kopf ein wenig.
Einen Moment zögerte sie. "Ich weiß es nicht, ... vielleicht ...!"

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