Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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Juli 2001
Die Nacht, die alles veränderte
von Ingeborg Restat

War er fünf Jahre alt oder war er erst vier? Fabian glaubte noch das, was man ihm erzählte. Die Welt war noch wundersam spannend und geheimnisvoll für ihn. Er liebte die Märchen, die ihm die Großmutter erzählte. Und er glaubte ihr diese Geschichten, denn sie wusste ja auch, dass es einen Osterhasen gab, einen Weihnachtsmann und einen Nikolaus. Da konnte Markus, der große Bruder, zehnmal sagen, das stimme nicht, all diese gäbe es gar nicht. Auch die Mutter hatte doch zu ihm gesagt: "Wenn man an etwas glaubt, dann gibt es das auch." Also, was erzählte der Bruder da?! Und den Weihnachtsmann gab es nun ganz bestimmt, den hatte er doch sogar schon einmal gesehen. Nein, der große Bruder sollte ihn nicht für dumm verkaufen! Er war sich ganz sicher, dass ihn die Großmutter und die Eltern nicht belügen, während er dem Bruder nicht traute.
So freute sich Fabian auch diesmal wieder unbeschwert auf den Nikolaus, der jedes Jahr in einer Nacht am Anfang der Adventszeit kam, um blank geputzte Schuhe mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken zu belohnen.
"Du bleibst wohl ewig so dämlich! Es gibt keinen Nikolaus, so wie es weder den Weihnachtsmann noch den Osterhasen gibt", redete Markus, der große Bruder, provozierend auf ihn ein, als er sich gerade bemühte, seine größten Stiefel, die er hatte, so blank zu putzen wie es nur ging.
"Du lügst!", schrie Fabian wütend zurück und putze emsig weiter.
"Warum quälst du dich mit den Stiefeln? Kleine Schuhe würden es auch tun. Du bekommst nicht mehr und nicht weniger von dem, was Mama für uns bereits eingekauft hat", bohrte der Bruder weiter.
"Du willst nur, dass ich kleinere Schuhe nehme, damit du mehr bekommst als ich", fauchte Fabian zurück. "Außerdem hat Mama neulich erst wieder gesagt, ich soll nicht auf andere hören, und glauben, was ich für richtig halte", erklärte er. Auch der Vater hatte ja der Mutter nicht widersprochen, als sie das sagte. Also musste es stimmen!
Doch der Bruder ließ nicht locker. "Aber sie haben nicht gesagt, dass es den Nikolaus gibt, stimmt es?", fragte er herausfordernd.
"Und wenn schon? Was beweist das? Meinst du, nur weil man ihn nicht sehen kann, darum gibt es ihn auch nicht? Was weißt du schon?", erwiderte Fabian trotzig. Aber für sich selbst überlegte er unsicher geworden: ‚Na ja, eigentlich haben sie das wirklich nicht gesagt. Aber wenn sie sagen, ich soll daran glauben, ist das denn was anderes?'
"Vielleicht kann man ihn doch sehen, wenn man es richtig anstellt. Möchtest du ihn nicht mal sehen?", fragte da der große Bruder listig.
"Wie? Du behauptest doch, es gibt ihn nicht, und nun willst du wissen, wie man ihn sehen kann?", wunderte sich Fabian.
"Man kann es doch versuchen. Dann werden wir nach der Nikolausnacht ganz genau wissen, ob es ihn gibt oder nicht", redete Markus auf seinen kleinen noch so leichtgläubigen Bruder ein.
Sollte Markus wirklich wissen, wie man den Nikolaus sehen kann? Wenn das stimmte, dann würde Markus sich wundern, denn natürlich gab es ihn, davon war Fabian überzeugt. Es war für ihn schon sehr verlockend, den Nikolaus bei seiner Arbeit beobachten zu können. Aber wie sollte das gehen, wie wollte Markus das möglich machen?
Das hatte Markus ihm schnell erklärt. Nur eine Nacht, die Nikolausnacht lang müssten sie sich im Wohnzimmer hinter der großen Couchecke verstecken, so, dass die Eltern aber nichts davon merkten, die müssten denken, sie schliefen längst fest in ihren Betten. Das würde nicht sehr schwer sein, aber ob Fabian es schaffen könnte, fast die ganze Nacht wach zu bleiben und aufzupassen, das bezweifelte er.
"Natürlich schaffe ich das!", versicherte Fabian empört. Jetzt wollte er erst recht den Nikolaus und danach das dumme Gesicht von Markus sehen.
Markus grinste. "Na gut, dann machen wir es!"
‚Dir wird schon dein Grinsen vergehen', dachte Fabian und fieberte der Nacht entgegen. Nur eins verstand er noch nicht. "Aber die Schuhe stehen vor der Haustür? Was wollen wir da im Wohnzimmer?", fragte er irritiert..
"Wenn es den Nikolaus gibt, dann kommt er durch den Kamin", behauptete da Markus einfach.
Fabian wollte noch widersprechen, aber Markus schien so sicher zu sein, dass ihn die Aussicht, den Nikolaus leibhaftig sehen zu können, schweigen ließ.
Als es so weit war, gaben die Eltern nichtsahnend ihren Jungen in ihren Betten noch einen Gute-Nacht-Kuss und legten sich schlafen. Die beiden aber nahmen ihre Bettdecken, schlichen sich ins Wohnzimmer und kuschelten sich hinter der großen Couchecke versteckt ein. Aber wach zu bleiben, schaffte Fabian nicht. Auch Markus schlief ruhig, er wusste ja, er hatte lange Zeit, bis sich etwas tun würde.
Es war noch sehr früh am Morgen, als er durch leise Schritte geweckt wurde. Unruhig wurde es im Zimmer, Papier raschelte geheimnisvoll, Türen gingen auf und zu, da weckte er leise auch Fabian auf.
Verschlafen rieb dieser sich die Augen. "Wo ist er? Ist er da?", flüsterte er aufgeregt fragend.
"Pst!", zischte Markus und wies zur Tür hin.
Gespannt mit klopfendem Herzen richtete sich Fabian auf und sah vorsichtig um die Ecke. ‚Gleich werde ich ihn sehen! Wo, wo ist er?', dachte er noch aufgeregt --- da stockte ihm der Atem! Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, Enttäuschung machte sich breit in ihm -, er sah, wie seine Mutter von der Haustür her kam, seine Stiefel und die Schuhe seines Bruders in der Hand. Der Vater stand schon am Tisch und zählte die Nüsse ab. Sie flüsterten miteinander in fröhlicher Heimlichkeit und füllten gemeinsam die Schuhe der Kinder mit Nüssen und Süßigkeiten, welche die Mutter aus einem Schrank nahm. Sie lachten dabei und er hörte, wie die Mutter sagte: "Wie schön, dass der Kleine noch an den Nikolaus glaubt." Das tat Fabian weh, er fühlte sich verraten und Tränen schossen ihm in die Augen. Nicht einmal das kleine Spielzeugauto konnte ihn trösten, welches sie oben auf seine Stiefel noch legten und das er sich so gewünscht hatte. Als die Mutter schließlich die nun gefüllten Schuhe wieder hinaus vor die Tür trug, da sah er gar nicht mehr hin, er saß nur da und kämpfte mit seinen Tränen.
Triumphierend sah Markus seinen kleinen Bruder an, der in dieser einen Nacht seinen unschuldigen Glauben verlor und damit den ersten, noch winzigen Schritt aus einer sorglosen Kindheit tat.
Sie warteten noch, bis sich die Eltern wieder zurückgezogen hatten, dann schlichen sie zurück in ihre Betten. Aber schlafen konnte Fabian nicht mehr. Alle, alle hatten ihn belogen. Was und wem konnte er nun noch glauben? Mit der für ihn schmerzhaften Erkenntnis, dass man nicht alles glauben kann, schlich sich Misstrauen gegen alles und jedes bei ihm ein.
Von dieser einen Nacht an glaubte er so leicht nichts mehr, suchte hinter allem die Wahrheit. Was man ihm auch erzählte, wenn man es nicht beweisen konnte, so zweifelte er es an.

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