Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Juli 2001
Doubled up
von Joel Momm

Claudia rauchte diese Modezigaretten. Rote Gauloises. Hektisch zog sie am Filter, schloss die Augen leicht und stieß den Qualm langsam durch die Nase aus. Ich habe sie den ganzen Abend nie ohne Zigarette gesehen. Sie sah fantastisch aus, und ich habe oft zu ihr hinübergesehen. Till und ich holten sie von zu Hause ab. Sie war noch nicht fertig, machte uns im Bademantel die Tür auf. Wir tranken Rotwein in der Küche, und Till warf irgendwelche Pillen ein, bis sie mit einer Gauloises zwischen den Lippen zu uns kam und meinte, dass wir jetzt gehen könnten. Sie trug ein Sonnenblumen-T-Shirt, das nur bis zum Bauchnabel reichte und eine schwarze Stretch-Hose. Till pfiff ordinär, als sie sich umdrehte, und wir ihren Hintern sehen konnten. Ich sah ihn wütend an, aber Claudia lachte nur. Das Küchenradio lief. "Believe" von Cher. Wir ließen es an, als wir gingen. Till tanzte die Treppen hinunter und sang dabei: "Do you believe in love ..." Er sah idiotisch aus. Ich konnte ihn nicht besonders leiden, aber irgendwie gehörte er zu uns. Er war ein Kind, ein großes Kind. Und wenn er seine Pillen geschluckt hatte, ein lästiges Kind, ein infantiles und lautes. Claudia hakte sich bei ihm unter, als wir zu seinem alten BMW gingen. Sie stieß den Qualm ihrer Gauloises wieder durch die Nase aus und flüsterte ihm irgendetwas zu. Er lachte laut auf und schlug mit der Hand auf das Autodach. Ich war eifersüchtig. Claudia grinste mich an, ihre Lippen waren halbgeöffnet. Ich hätte sie gerne geküsst. Wir stiegen ein und fuhren zu der Party. Till spulte irgendeine Mixed-Kassette im Auto-Tape hin und her. Er wollte uns etwas von Heather Nova vorspielen, aber er fand das Lied nicht. Wir standen schon auf dem Parkplatz der alten Fabrik, als er es endlich hatte: "Doubled up". Es war gar nicht so schlecht, aber ich war genervt, weil wir wie Idioten in seinem BMW saßen und das Lied jetzt anhören mussten, nur weil er es auf der Fahrt nicht gefunden hatte. Danach wollte er es gleich nocheinmal herunternudeln. Claudia nickte. Ich stieg aus und lief über den Parkplatz zum Eingang der Halle. Es hatte angefangen zu regnen. Die Scheinwerfer eines Taxis blendeten mich, und ich kam ins Stolpern. Ich versuchte gegen den Kotflügel zu treten, aber ich erwischte ihn nicht. Warum war sie bei Till im Auto geblieben und hörte sich das Lied ein zweites Mal an? So toll war es nun auch wieder nicht. Der Türsteher wollte meine Einladung sehen. Till hatte sie. Ich hätte zurück zum Auto gemusst. Ich sagte das dem Typen und zeigte in den verregneten Nachthimmel. Er nickte nur und ließ mich so rein. Es war heiß drinnen, ich schwitzte, aber ich wollte meine Jacke nicht ausziehen. Ab und zu strich ein grell flackernder Scheinwerfer über die Köpfe der Tanzenden, ansonsten war es dunkel. Dazu hämmerten Techno-Rhythmen. In der Mitte der Halle standen ein paar alte Produktionsmaschinen. Ich weiß nicht, wofür sie früher benutzt wurden. Jetzt dienten sie als Showbühne für halbnackte Go-Go-Girls. Die tanzende Menge schob und wälzte sich um sie herum wie ums Goldene Kalb. Ich ging zur Bar, bestellte ein Bier, kam mit einem Typen ins Gespräch. Ich weiß nicht mehr, über was wir uns unterhielten. Es war laut, man musste sich anbrüllen, um überhaupt etwas zu verstehen. Mir war das zu anstrengend. Ich sagte nur ja oder nein, machte "mmh" und beschränkte mich aufs Gestikulieren. Er war sicher ganz nett, aber ich wollte mich nicht unterhalten. Ich glaube, er war schwul. Das hätte mich nicht gestört, aber ich wartete auf Till und Claudia. Wie oft wollten sie sich das Lied noch anhören? Wie oft wollte Till es noch hören, und wie oft nickte Claudia dazu und blieb neben ihm sitzen? Ich zog meine Jacke doch aus und tanzte ein bisschen. Ich schwamm mit in der Masse, ließ mich um das Goldene Kalb herumspülen und vom grell aufflackernden Scheinwerferlicht blenden. Endlich kamen die beiden. Sie in ihrem kurzen Sonnenblumen-T-Shirt, er in seinem muffigen Kunstpelzmantel. Er ging sofort zur Bar, sie blieb eine Weile unschlüssig am Eingang stehen und ließ ihren Blick durch die Menge wandern. Sie suchte mich. Ich hätte gerne die Arme gehoben und ihr zugewunken, aber sie hingen bleischwer an meinem Körper nach unten. Sie lief Till hinterher. Sie sah wirklich toll aus. Selbst die kleinen dunklen Schatten unter ihren Augen sahen toll aus. Ich ließ mich von der Masse ausspucken und begrüßte die beiden.
"Na, da bist du ja!" brüllte Claudia, lachte mich an und schnaubte Zigarettenqualm aus. "Böse, weil wir so lange draußen waren?"
Ich schüttelte den Kopf und sah zu Till hinüber. Er hatte uns den Rücken zugedreht und soff drei Tequila hintereinander. "Hast du mit ihm?"
"Was?" grinste sie. Ihr Lippenstift war verschmiert. Ein bisschen klebte er auch auf den Zähnen.
"Na, du weißt schon ..." Mir wurde heiß. Trotzdem zog ich meine Jacke wieder an.
"Ich hab ihn nur abgewixt, wenn du das meinst!" schrie sie mir ins Ohr. Ihre Lippen berührten es dabei. Ich lief nach draußen und heulte. Der Regen war stärker geworden, es war mir egal. Ich setzte mich auf den nassen Asphalt und ließ meine Tränen in die Pfützen tropfen. Irgendwann kam sie mir nach und legte ihre Hände auf meine Schultern.
"He, was is denn los?" Die Gauloises zischte vor mir auf den Boden. Sie hatte höchstens zwei- oder dreimal daran gezogen. "Is es wegen eben? Bist du eifersüchtig?"
Ich legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihr hoch. Der Regen fiel mir ins Gesicht, ich musste die Augen schließen.
"Ich liebe dich", sagte ich.
Sie lachte hell auf, schlang ihre Arme um meinen Hals und küsste mich auf den Mund. "Du liebst mich nicht, Kleine, du magst mich, das is ein ziemlicher Unterschied!" Dann ließ sie mich los und ging wieder rein. Ich stand auf, suchte einen dicken Stein, schlug die Seitenscheibe von Tills BMW ein, fischte die Mixed-Kassette heraus, warf sie auf den nassen Boden, trampelte mit beiden Füßen darauf herum wie ein kleines Kind und lief heulend nach Hause. Wir haben später nie darüber gesprochen und uns so benommen, als wäre es nicht geschehen.

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