Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Juli 2001
Das Trommelsolo
von Heidrun Schaller

Die Tänzer blieben stehen, alle Geräusche verstummten und nur noch das Trommelsolo des Schlagzeugers vibrierte im Körper, in der Seele, steigerte sich immer mehr, variierte und schwoll, schwoll an zu einem furiosen, alles andere vergessen lassenden Rhythmus. Als es verklungen war, herrschte sekundenlanges Schweigen um dann in ekstatisches Beifallsklatschen- , Rufen, umzuschlagen.
Anna strahlte, das war ihr Jürgen, er war ihr Freund, hatte sie unter den zahlreichen Bewunderern, mehr noch unter den Bewunderinnen erwählt, sie die kurzhaarige, junge, von der die Mutter immer sagte, daß sie häßlich sei, die sich selber eigentlich nicht besonders mochte, sie hatte er erwählt, mit ihr wollte er zusammen sein, sie liebte er.
Gestern erst hatten sie beieinander gesessen und er hatte sie überredet mit ihm auf sein Zimmer zu kommen, das er mit einem seiner Brüder teilte, der aber gerade nicht da sei. Sie hatten geschmust, sich geküßt, gestreichelt, auch an Stellen, von denen aus es Anna heiß und sehnsuchtsvoll durchzog, sie sich kaum noch beherrschen konnte dem Drängen von Jürgen zu widerstehen. Eigentlich wollte sie mit ihm schlafen, mehr als alles andere auf der Welt, doch von zu Hause war sie so erzogen, daß sie diese Angst vor den Folgen nicht überwinden konnte und standhaft blieb obwohl ihr bei dieser Standhaftigkeit fast das Herz brach. Jürgen war ihr immer wieder durch das bürstenkurze Haar - wie Ingrid Bergmann in dem Film: "Wem die Stunde schlägt", nachdem Maria das Haar auf dem kahlrasierten Kopf wieder ein bißchen nachgewachsen war - gefahren. Sie fühlte sich auch ein bißchen so wie diese Maria im Film, in einem Ausnahmezustand, in einem anderen Land, dem Land der Liebe, der Zuneigung, der Geborgenheit. Sich nie wieder trennen müssen, verlassen müssen, immer beieinander bleiben das war ihr größter Wunsch und doch, er wollte fort, wollte auswandern mit seinem Bruder nach Canada. Ausgerechnet nach Canada in das Land ihrer Sehnsucht. In die wilde, weite, unberührte Natur, wo das Leben vielleicht wieder so sein könnte wie in ihrer Kindheit in Rußland - ursprünglich und in der Balance von Körper- Seele und Geist. Und dann noch gemeinsam mit ihm, den sie doch so sehr liebte, brauchte, ohne den sie nicht mehr leben konnte.
Jedoch kannte sie ihn erst seit 3 Wochen, kannte sie ihn wirklich, konnte sie mit einem, eigentlich noch wildfremden Menschen, der ihre Sinne zum vibrieren brachte mit seinem Schlagzeug und mit seinen Händen, mit seinem Anblick, seinen Reden - er war schon so erfahren in allem und sie mit ihren 18 Jahren immer noch ein kleines Dummerchen, naiv, sich selber nicht all zu viel zutrauend und doch hatte sie erst kürzlich einen sehr wichtigen Schritt ganz alleine, gegen die Entscheidung ihrer Eltern getan, hatte die ungeliebte Dekorateuerstelle gekündigt, sich zur Abendschule zum Erwerb der Mittleren Reife angemeldet und sich eine Stelle im Haushalt bei einer kinderreichen Familie, bei einer Meisterhausfrau, gesucht um dort ihr notwendiges Praktikum zu machen, denn sie wollte nach den erforderlichen Prüfungen eine Ausbildung zur Kindergärtnerin beginnen. Ihre Mutter hatte Gift und Galle gespuckt als sie diesen Wunsch, vor einiger Zeit geäußert hatte. Mädchen sollten nicht so viel lernen, Männer mögen keine Blaustrümpfe, außerdem hätten sie, die Eltern, ihr schon eine Ausbildung finanziert und nun sei sie, die Mutter dran, sie hätte auch noch Wünsche an das Leben. Der Vater hatte sich gar nicht geäußert, half ihr nie gegen diese egoistische Mutter, hüllte sich in Nichts ein und verschwand hinter seiner vielen Arbeit. Nun denn, hatte Maria sich gedacht, dann bewerkstellige ich das eben alleine und so hatte sie ihre Stelle gekündigt und diesen Weg eingeschlagen, denn es war ihr heißester Wunsch, Kindern auf dieser Welt eine Bezugsperson zu werden, die nicht so mit ihnen um ging, wie man es mit ihr gemacht hatte. Sie war in dieser Bundesrepublik Deutschland nach ihrem Vorleben in der Sowjetunion und in der Deutschen Demokratischen Republik ziemlich gescheitert, nicht gut klar gekommen. War, wie ihre Mutter sich ausdrückte, schwierig, verstockt und faul und machte ihnen, den Eltern, nichts als Scherereien und Ärger. So war sie in ihrer Verzweiflung mehrmals von zu Hause ausgerissen, hatte sich zu Menschen begeben, die wärmer, verständnisvoller waren und wurde doch immer wieder ins Elternhaus zurück gebracht. Befragungen auf dem Jugendamt - die Mutter saß immer gekränkt, gegen sie aufgebracht neben ihr und der Vater hatte sowieso nur gesagt: " Ich bin sehr enttäuscht von dir, daß Du uns das angetan hast."- ergaben Bewertungen in ihre Akte, die da lauteten: " verstockt, uneinsichtig, schwierig etc." Keiner machte sich die Mühe mal alleine mit ihr zu reden, sie zu befragen, was das bedeutete, z.B. mit 12 Jahren nach 7 jährigem Leben in der Sowjetunion, nach Verbringung ( gegen ihren Willen, sie wäre sehr gern dort geblieben ) in die Deutschen Demokratischen Republik, wo sie dann auch nur 1 Jahr leben und erste Orientierungen, Freundschaften eingehen konnte und dann schon wieder Flucht in dieses erzkonservative, schwarze, scheinheilige hinter dem eisernen Vorhang sich verschanzende Köln der Adenauerregierungszeit. Sie, die im Kommunismus und im Sozialismus aufgewachsen war, sie, die russische Geschichte, russische Geographie, russische Sprache konnte, immer eine sehr gute, öffentlich -belobigte Schülerin gewesen war, sie war hier so fremd, anders, alleine - kam nicht klar in der Schule, mit den Mitschülerinnen, Eltern -mochte einfach nicht mehr sich plagen, denn wenn sie sich anstrengte -so hatte sie z.B. bei den ersten Diktaten in der Schule 60 Fehler auf einer DIN A 4 Seite gemacht und nach einem halben Jahr nur noch 30 - doch sie bekam unter beide Arbeiten ein kommentarloses " Ungenügend" und der Vater fiel über sie her, daß sie elend faul sei und viel besser sein könnte, wenn sie nur wollte. Keiner hatte bemerkt, daß sie die Fehler schon um die Hälfte reduziert hatte. Da war wohl unbewußt in ihr der Wunsch entstanden, der dann immer stärker wurde, daß sie Kindergärtnerin werden wollte, daß sie Kindern anders, liebevoller, zugewandter, aufmerksamer in ihrem Leben, zu ihren Wünschen und Bedürfnissen begegnen wollte. Leider mußte sie den Umweg über die Lehre als Schaufenstergestalterin nehmen, da sie im ersten Anlauf auf Grund ihrer Biografie das Gymnasium nicht schaffte, nur einen Volksschulabschluß aufweisen konnte.
Nun hatte sie aber eben gerade diesen ersten großen Schritt auf dem Weg zur Erfüllung ihrer Berufung getan - und nun kam Jürgen, die Liebe, das Auswandern - natürlich heimlich, als blinder Passagier, denn ihre Eltern würden niemals einverstanden sein und sie war doch erst 18 und man war damals erst mit 21 Jahren Volljähirig, so wie Jürgen, der war schon 23 Jahre alt ein richtiger Mann, der über sich selbst bestimmen konnte. Sollte sie ihm folgen, alles was sie begonnen hatte aufgeben, unverheiratet, unabgesichert, nach so kurzem Kennenlernen - nein, sie traute sich nicht, traute sich nicht mit ihm zu schlafen, traute sich nicht ihr Leben in die Hand zu nehmen und ihren Gefühlen zu folgen. Sie entschied sich für den Verstand, den Beruf, die kognitive Entwicklung und verabschiedete sich damals wohl schon von Romantik, Glücksträumen und Abhängigkeit. Sie bekam kurz nach der Abreise Jürgens, der ihr noch ein Jahr lang schrieb, ihr Päckchen schickte und immer wieder versicherte, daß er auf sie warten würde, riesigen Ärger mit ihren Eltern, denn es flog auf, daß sie gekündigt hatte und diesen anderen Weg eingeschlagen war. Der Vater hatte sich bei der Frau, bei der sie arbeitete und in der Abendschule erkundigt und von beiden nur gutes über sie gehört, so daß er endlich einmal in ihrem Leben ihre Partei ergriff und gegen ihre Mutter das Ja zur weiteren Verfolgung dieses Weges gab - konnte sie da ausbüchsen, auswandern, das hinschmeißen was sie als ihre Berufung erkannt hatte und einem so unbestimmten Traum folgen? Als sie dann noch den Anhänger, den ihr Jürgen geschenkt hatte, verlor - war das für sie wie ein Omen, daß es vorbei sei und so hat sie sich hinter Aberglauben, Zeichen und dem Weg der beruflichen Qualifikation verschanzt und ist bis heute immer wieder an den Kreuzungen ihres Lebens diesen Weg gegangen. Erst jetzt nahe der 60 beginnt sie zu begreifen, daß sie sich selber damals und bis heute den Weg der Liebe, der Beziehung, der Abhängigkeit im Vertrauen auf einen anderen Menschen verschlossen hat und wenn sie sich heute das Trommelsolo der Shadows anhört, dann vibriert ihre unerfüllte Sehnsucht nach Liebe, Freiheit, Weite und nach einer kosenden Hand, die ihr durch das noch immer kurze Haar fährt.

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