Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Juli 2001
In jener Nacht
von Brigitte Tholen

Der Raum roch nach feuchter, modriger Kellerluft und von der Decke rieselte hin und wieder mehlfeiner Kalk in ihr Gesicht. Im Nebenraum hörte Marion Gelächter und Stimmen. Mühsam versuchte sie sich aufzurichten. Es gelang nicht. Ihre Hände und Füße waren ans Bett gefesselt. Diese Bastarde! Wie konnten sie es wagen.
Die dünne Haut ihrer Hände spannte sich, als sie versuchte, sich von den Fesseln zu befreien. Es war ein nutzloses Unterfangen. Wütend und hilflos ballte sie die Fäuste. Was hatten sie vor? Ihr Blick ging zum Fenster als erwarte sie Hilfe von außen, dann schlossen sich ihre Lider.
Sie hörte wie sich die Tür öffnete und sich jemand über sie beugte. Ein übel riechender Atem wehte um ihre Nase. Mit aller Kraft beherrschte sie sich um nicht in sein Gesicht zu spucken.
"Unser Goldstück pennt noch!" rief er laut den anderen im Nebenzimmer zu.
"Umso besser für sie", antwortete eine harte Männerstimme. Der stinkende Atem verschwand und sie hörte Schritte die sich entfernten und das Schließen einer Tür.
Erleichtert öffnete sie ihre Augen und versuchte sich über ihre Lage klar zu werden. Lange konnte sie nicht mehr die Schlafende spielen. Das würden sie ihr nicht abnehmen. Die Fesseln um Hände und Füße waren so fest gebunden, dass sie keinerlei Chancen sah sich zu befreien. Hatten die Entführer schon Kontakt mit ihrer Schwester aufgenommen? Natürlich würde sie zahlen. Wahrscheinlich war Lucie schon ganz krank vor Sorge.
Lautes Gelächter schallte erneut vom Nebenraum herüber. Wie viele mochten es sein. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Eine Weile lauschte sie auf das unverständliche Gemurmel. Dann war Marion sich sicher. Es waren drei Männer und keine dieser Stimmen kam ihr bekannt vor. Woher auch? In ihren Gedanken tauchte immer wieder ein junger Mann auf, den sie vor einem Monat kennengelernt hatte. "Er ist ein mieser, kleiner Mitgiftjäger", hatte Lucie ihr vorgehalten. "Ich habe mich erkundigt. Er hat kein Geld und ist darauf aus, reiche Mädchen wie dich kennenzulernen."


Im Nebenraum wurden Stühle gerückt und die Männer schienen sich zu entfernen. Wieder versuchte sie sich aufzurichten, zerrte an den Fesseln, ließ sich schließlich auf die Matratze zurückfallen. Tränen der Wut und Hilflosigkeit glitzerten in ihren Augen.
Die Türe hatte sich geöffnet und jemand schaltete das Licht ein. Die Helligkeit schmerzte in ihren Augen. Der Mann, der auf sie zukam, war groß, schlank und trug ein dunkles Tuch über dem Gesicht. Nur die kalten, felsgrauen Augen konnte sie erkennen. "Na, da ist unsere Schönheit ja wieder wach. Hast du angenehme Träume gehabt? In der rechten Hand hielt er ein aufgeklapptes Taschenmesser. "Wie wärs, wenn ich dir die Fesseln durchschneide."
Er trat ans Bett und ließ seine gierigen Augen langsam über ihren Körper gleiten. Marions Herz raste und die Knie begannen zu zittern. Er würde doch nicht...
Die Spitze des Messers wanderte über ihr Gesicht, weiter zum Hals, über ihre Brüste und wurde wieder zurückgezogen. "Gefällt dir das?" Der Mann lachte. Ein eiskaltes Lachen, das ihr eine Gänsehaut verursachte.
"Ich habe Durst." Marion versuchte ihrer Stimme Festigkeit zu geben. Der Mann runzelte die Stirn, ging in den Nebenraum und kam mit einem Glas Mineralwasser zurück.
"Hier trink."
Sie hob den Kopf und er hielt ihr das Glas an den Mund. Durstig trank sie, das meiste der Flüssigkeit lief an ihren Mundwinkeln herunter zum Hals.
"Danke."
Der Mann lachte unangenehm. Wieder glitt sein Blick über ihren Körper. "Vielleicht kannst du mir ja zeigen, wie dankbar du mir bist. Aber alles zu seiner Zeit. Jetzt wollen wir erstmal sehen ob du deinen Leuten etwas wert bist."
Er drehte sich um und verließ den Raum ohne das Licht auszuschalten. Marion drehte sich halb und versuchte einen Blick auf ihre Armbanduhr zu werfen. Der Kopf schmerzte noch immer. Zweiundzwanzig Uhr.
Heute Nacht würde Lucie auf keinen Fall das Lösegeld übergeben können. "Hilf mir, bitte Lucie hilf mir", dachte sie voller Inbrunst.
Weit entfernt hörte Marion ein unregelmäßiges Donnern. Leise, kaum wahrnehmbar. Sie runzelte die Stirn. Ein Gewitter...im November?

Lucie presste ihre Hand auf die Stirn. Seit einer Stunde hatte sie unerträgliche Kopfschmerzen. Selbst die Einnahme von Aspirin hatte nicht geholfen. Wo Marion nur steckte? Es war nicht ihre Art einfach weg zu bleiben. Bei einer Verspätung hätte sie sich längst gemeldet. Außerdem waren sie beide heute Abend zu Nicolas Geburtstag eingeladen. Sie sah auf die beleuchtete Auffahrt des Hauses und versuchte ein Gefühl der Angst zu unterdrücken. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Rasch eilte sie zum Glastisch. Die Digitalanzeige zeigte "unbekannte Nummer". Darum schaltete sie intuitiv in den Aufnahmemodus des Anrufbeantworters, bevor sie abnahm. Eine raue, unangenehme Stimme ertönte: "Ihre Schwester befindet sich in unserer Gewalt. Wir wollen Fünfhunderttausendmark Lösegeld. Morgen Vormittag um elf Uhr findet die Übergabe statt. Der Ort wird Ihnen noch durchgegeben. Keine Polizei. Sonst sehen Sie ihre Schwester nicht mehr lebend wieder."
Es knackte in der Leitung bevor sie irgendetwas sagen konnte. Zitternd legte Lucie auf. Ihre Gedanken überschlugen sich. Jetzt war eingetreten, vor dem sich ihre
Familie immer gefürchtet hatte.
Als ihre Eltern noch lebten war man übereingekommen sich sofort an die Polizei zu wenden, sollte diese Situation jemals eintreten. Aber war das wirklich richtig? Brachte sie Marion nicht erst Recht in Gefahr?
Die Angst um ihre Schwester breitete sich in ihrem Körper aus. Sie ließ sich in einen Sessel sinken.
Vielleicht sollte sie sich Rat bei Reinhard, dem Familienanwalt holen. Hastig schlug sie das Telefonregister auf, fand die Nummer und wählte. Aber auch nach längerem Klingeln nahm niemand ab. Es half nichts, jetzt blieb nur noch die Polizei. Sie nahm erneut den Hörer in die Hand. Völlig aufgelöst berichtet sie dem Beamten von der Entführung und bat um Hilfe. Dann ließ sie sich wie betäubt in einen Sessel fallen.

Marion zwang sich zur Ruhe. Sie konzentrierte sich auf das immer wiederkehrende Geräusch. Donner? Nein, das war kein Donner. Irgendwann hatte sie schon mal etwas Ähnliches gehört. Aber wann und wo?
Nebenan waren wieder Stimmen zu hören. Aufgeregt. Alle schienen durcheinander zu reden. Irgendetwas versetzte diese Männer in Unruhe.
War das schlecht für sie? Sie versuchte ihren Mund nahe an die Handfesseln zu bekommen. Ein sinnloses Unterfangen. In der Ferne war wieder ein dumpfes Grollen zu hören...

Lucie versuchte so ruhig wie möglich die Fragen des Kommissars zu beantworten. Mit leiser Stimme erkundigte er sich nach dem Privatleben ihrer Schwester. Auch ihr eigenes musste sie offen legen. Er traf Maßnahmen ihren Telefonanschluß abzuhören. Das Band des Anrufbeantworters wurde entnommen und von einem seiner Kollegen zur Kriminaltechnischen Untersuchung geschickt. Es sollte eine Stimmenanalyse vorgenommen werden.
Lucie schwirrte der Kopf und immer wieder glaubte sie Hilferufe ihrer Schwester zu hören. Ihr Verhältnis zu Marion war schon immer sehr eng gewesen, nach dem Tod der Eltern aber war es noch intensiver geworden.
"Ich bleibe mit einem Kollegen heute Nacht hier, wenn sie nichts dagegen haben." Kommissar Fuchs sah sie fragend an.
Lucie nickte mit dem Kopf. "Ich werde Ihnen Kaffee machen." Sie verließ den Raum und ging in die Küche. In Gedanken bei ihrer Schwester. Irgendetwas versuchte an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu gelangen, dazu brauchte sie die Stille.

Marions Gedankengänge endeten erneut in einer Sackgasse. Nein, so kam sie nicht weiter. Wenn nicht auf dem geraden Wege, dann eben hintenherum. Über Freunde zum Beispiel. Stopp...Freundin. Mit einer Freundin hatte sie einmal ein Nachtschießen der Bundeswehr besucht. Eigentlich war das verboten. Der Verlobte ihrer Freundin hatte sie aber auf den Schießplatz eingeschmuggelt. Panzerfeuer...hörte sich ähnlich an wie das Donnern. War sie auf einem Manövergelände? "Okay, was hilft mir das weiter", sagte sie leise zu sich. Erneut versuchte sie sich zu konzentrieren, diesmal auf Lucie. Die Schwester stand ihr am nächsten. Lucie würde alles tun um sie hier herauszuholen. Während sie neue Kraft in den intensiven Gedanken an Lucie fand, wurde sie immer ruhiger. Noch hatten die Entführer das Geld nicht. Vorerst war sie in Sicherheit.


Lucie sah den Kommissar unsicher an. "Herr Fuchs, sie werden glauben, ich spinne, aber mir geistern Kanonen durch den Kopf. Ich weiß nicht weshalb und woher es kommt. Aber es muss etwas mit meiner Schwester zu tun haben."
Erstaunt sah ihr Gegenüber sie an. Skepsis im Blick. "Sie meinen, so etwas wie eine Botschaft?"
Lucie fühlte sich unbehaglich. "Auch wenn ich mich jetzt lächerlich mache. Es klingt seltsam, aber irgendetwas ist da." Sie stockte kurz und fuhr fort: "Jetzt fällt mir ein, dass ich bei dem Telefonat mit dem Entführer, auch so ein merkwürdiges dumpfes Knallen gehört habe."
Der Polizeikollege an der Abhöranlage drehte seinen Stuhl in ihre Richtung.
"Sie sprechen von Kanonen. Auf dem Truppenübungsplatz stehen einige Bunker. Vielleicht sollte ein Team mal rüberfahren. Schaden kann es nichts."
Kommissar Fuchs überlegte nur kurz. "Okay, ich rufe unser Technisches Labor an ob sie die Geräusche auf der Kassette analysieren konnten. Ist es so wie Sie sagen, wende ich mich an den Sicherheitsdienst der Kaserne und bitte ihn um Unterstützung." Er wandte sich an seinen Kollegen. "Sie sollten dann mit einem Team zum Manövergelände fahren. Warten Sie dort auf den Bereitschaftszug der Bundeswehr. Aber vorsichtig. Nur überprüfen, beobachten.
Wir bleiben in Funkverbindung.

Marion hörte plötzliches Stimmengewirr aus dem Raum. Barsch und sehr bestimmt. Dort schien etwas los zu sein,es polterte, Schüsse hallten durch die Räume, Befehle wurden laut.
"Drehen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand!"
Jemand rief: "Bleiben Sie stehen!"
Unerwartet wurde die Tür zu ihrem Raum aufgestoßen. Zwei junge Männer, der eine mit Polizeimarke auf seiner Lederjacke und Dienstwaffe in der Hand, der andere im Tarnanzug, Helm auf dem Kopf und Maschinenpistole im Anschlag, sahen die Gefesselte an. Dann grinste der Mann im Tarnanzug. "Hallo Lady, die Kavallerie ist da. Sie befinden sich unerlaubter Weise in unserem Manövergefechtsstand."

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