Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
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August 2001
Ein Sommernachtstraum
von Michaela Grollegg

Da steht meine Tochter nun mit verheultem Gesicht vor mir und blickt mich hilfesuchend an.
"Mama, was soll ich denn nun tun?"
Ich höre mich seufzen und ziehe sie wieder auf die Couch zurück.
Seit Stunden badet sie nun schon in ihren Tränen und ich bin mit meiner Weisheit langsam am Ende. Eine Achtzehnjährige mit Liebeskummer, die mich aus verquollenen Augen ansieht und auf eine einzigartige Weisheit aus dem Mund ihrer Mutter wartet, die all ihre Probleme in Luft auflösen soll! Ich unterdrücke ein neuerliches Seufzen und versuche noch mal zum Kern ihres Problems durchzudringen.
"Kathrin, dass er mit Lisa geflirtet hat, war sicher nicht in Ordnung. Aber ganz objektiv betrachtet, hat er doch nur mit ihr getanzt! – Und außerdem hast du den Kerl nun schon lange genug büßen lassen!" Empört blickt sie mich an. "Aber er ist mir untreu geworden!"
Ich kann nicht umhin, zu lächeln. "Womit wir bei der Frage wären, wo die Untreue denn beginnt! Er hat nicht mit ihr geschlafen, er hat sie nicht geküsst...!
Nicht, dass ich sein Verhalten entschuldigen will,...- aber abgesehen von seinem Gebalze, das er letztlich nur veranstaltet hat, um dich eifersüchtig zu machen, war doch gar nichts...!"
Sie schweigt einen Moment nachdenklich, ehe sie eine Frage stellt, die mich für einen Moment aus dem Gleichgewicht bringt.
"Warst du Papa immer treu?"
Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt, und muss unwillkürlich schlucken.
"Was ist denn das für eine Frage", höre ich mich unbeabsichtigt schroff antworten.
Aber Kathrin wäre nicht meine Tochter, wenn sie nicht auch etwas von meiner Sensibilität geerbt hätte, und so scheint sie sofort zu bemerken, dass sie einen wunden Punkt getroffen hat.
"Warst du?" hakt sie beharrlich nach und fixiert mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Bilder aus weit zurückliegender Vergangenheit schwirren wie aufgescheute Bienen durch meinen Kopf. Ich fühle mich ertappt und möchte am liebsten flüchten.
Aber ein Blick in Kathrins braune Augen verrät mir, dass sie ohnehin nicht lockerlassen wird, ehe sie nicht die Wahrheit erfährt.
Also beschließe ich, sie in mein kleines, bisher wohlgehütetes Geheimnis einzuweihen.
Ich räuspere mich und versuche einen Anfang zu finden.
"Treue ist relativ. Wenn du mit deiner Frage meinst, ob ich jemals sexuell fremdgegangen bin, so kann ich dich beruhigen." Sie verzieht ihr hübsches Puppengesicht und schüttelt aufgebracht den Kopf.
"Nun mach es nicht so spannend!"
Ich unterdrücke nur mühsam meine innere Anspannung und verspüre zum ersten Mal seit über zehn Jahren das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette.
Hastig nehme ich noch einen Schluck Kaffee, ehe ich die Augen schließe und meine Reise in die Vergangenheit unternehme...

*

Es war im Sommer 1985.
Meine beiden Freundinnen wollten mich an meinem Geburtstag zu einer Reise nach Marokko überreden. – Drei Frauen, ohne männliche Begleitung, für eine Woche nach Marrakesh- so sollte unser Urlaub aussehen.
Anfangs weigerte ich mich beharrlich und brachte immer wieder dasselbe Argument: ich wollte Daniel nicht mit den Kindern alleine lassen.
Außerdem, wie sähe das aus- eine verheiratete Frau mit zwei kleinen Kindern, die ihre Lieben einfach zu Hause lässt und alleine Ferien macht?
Aber Daniel meinte schließlich, dass ich durchaus ein Anrecht auf ein wenig Freiheit hätte.
Schließlich gab ich nach und flog mit einem mulmigen Gefühl im Bauch Richtung Marokko.
Ich redete mir ein, dass es ja nur für eine Woche wäre und die Gelegenheit, mit Angelika und Marie zu verreisen, sicher nicht mehr so schnell wiederkäme.
Wir hatten unglaublich viel Spaß miteinander!
Kein Bazar war vor unserer Einkaufswut sicher und der Hotelpool war bald von sämtlichen alleine reisenden Männern mittleren Alters besetzt, wenn wir auftauchten.
Angelika und Marie, beide noch single, waren natürlich in ihrem Element, wenn es um die Eroberung des männlichen Geschlechts ging.
Ich beobachtete ihr Treiben meist aus sicherer Entfernung und amüsierte mich dabei.
Die Gedanken an Daniel und die Kinder waren trotzdem mein ständiger Begleiter. Meine beiden Freundinnen verdrehten meist nur die Augen und forderten mich zum x-ten Mal auf, endlich abzuschalten und ein wenig Spaß zu haben.
Ich beteuerte dann genauso oft, dass ich durchaus meinen Spaß haben konnte, auch wenn ich mich an ihrem Geflirte nicht beteiligte.

Bis zu jenem Abend.
Im Hotel wurde eine "Moonlight-Party" veranstaltet und alle Gäste des Hauses waren eingeladen. Angelika und Marie hatten auf so eine Gelegenheit nur gewartet, und verbrachten schon den halben Nachmittag damit, ihre Garderobe auszuwählen.
"Was ziehst du an?" fragte Marie, während sie vor dem Spiegel einige Kleider ausprobierte.
"Ich werde hier bleiben", gab ich zur Antwort, woraufhin die beiden mich erst entgeistert anstarrten und schließlich mindestens hundert Gründe aufzählten, weshalb ich mir diese Party nicht entgehen lassen durfte.
Verzweifelt versuchte ich ihren Überredungskünsten zu entkommen, aber es war zwecklos.
Wieder einmal gab ich nach, obwohl mir nach ein wenig Alleinsein zumute gewesen wäre.
Entsprechend missmutig betrat ich die Terrasse des Hotels, auf der sich schon viele der Partygäste eingefunden hatten. Ich nahm mir ein dargebotenes Weinglas und setzte mich schmollend, weit weg von den anderen, auf die steinerne Stiege, die zum Strand hinunter führte.
In Gedanken versunken sah ich auf das Meer hinaus.
Als ich Blicke in meinem Rücken spürte, wandte ich mich um. Eigentlich hatte ich Angelika, oder Marie erwartet, die vielleicht schon auf der Suche nach mir gewesen waren.
Ein Mann lehnte an der mit Partyfackeln gespickten Steinmauer und lächelte mich an. Als ich erschrocken hochfuhr, hob er besänftigend die Hände. "Entschuldigen Sie, ich wollte nicht stören", sagte er und in seinen Worten klang ein harter Akzent mit.
"Mein Gott, wie lange steht der schon da", dachte ich nur und überlegte ob ich hier bleiben, oder doch besser zurück zu den anderen gehen sollte.
Doch er nahm mir die Entscheidung augenblicklich ab. "Darf ich mich zu Ihnen setzen?"
-Und noch ehe ich antworten konnte, hatte er neben mir auf den Stufen Platz genommen.
Ich wagte kaum, ihn anzusehen. Die Situation war mir doch etwas peinlich und weil ich immer noch im Unklaren war, wie ich mich verhalten sollte, setzte ich mich einfach wieder und schwieg.
"Ich liebe es, hier zu sein und einfach nur auf das Meer zu sehen," sagte er, in die Betrachtung versunken.
Unsicher blickte ich ihn von der Seite an. Der Mond schien so hell, dass ich seine Gesichtszüge deutlich erkennen konnte. Er hatte eine große Nase und ein sehr markantes Kinn. Sein schwarzes Haar reichte ihm bis in den Nacken und bot einen verwegenen Kontrast zu dem förmlichen Anzug, den er trug.
Als er mich ansah, wandte ich verlegen den Blick ab. "Sie kommen wohl öfter hierher?" fragte ich, nur um die Peinlichkeit zu überwinden.
Er lachte leise. "Meinem Vater gehört dieses Hotel. Im Sommer bin ich meist hier, wenn es die Zeit erlaubt. Aber die Geschäfte zwingen mich, häufig auf Reisen zu gehen."
"Woher können Sie so gut Deutsch", fragte ich neugierig. Er hob leicht die Schultern und lächelte. – Ein unwiderstehlich charmantes Lächeln, wie ich feststellen musste.
"Aha, durch Ihre Reisen", schaltete ich sofort.
"Sind Sie auch geschäftlich unterwegs?"
"Ich urlaube hier nur. Meine Freundinnen haben mich zu dieser Reise überredet", antwortete ich fast entschuldigend. Er legte lässig eine Hand auf sein angewinkeltes Knie und betrachtete mich mit einem durchdringenden Blick. "Bereuen Sie es denn?"
"Nun...-nein, es ist ein schönes Land! Ich...-finde es wirklich schön hier", stieß ich stotternd hervor. Er nickte nur.
"Himmel, was mache ich hier eigentlich", schoss es mir durch den Kopf und ich nahm mir vor, mich höflich zu entschuldigen und wieder ins Hotel zu entschwinden.
Aber irgend etwas ließ mich wie festgeklebt auf den Stufen sitzen bleiben.
Dieses "Irgend etwas" war es auch, das meine Hände feucht werden ließ und sämtliche meiner Gedanken völlig durcheinander brachte.
"Ach, übrigens- ich heiße Ben! Ben Isaad Helmanyi!" Er streckte mir seine Hand entgegen.
"Ich bin Tanja. Tanja Rath." Als ich meinen Namen aussprach, bedauerte ich fast, wie schrecklich öde und konventionell das klang. - Ganz im Gegensatz zu seiner exotischen Aussprache.
Ben nahm meine Hand in seine und ich fühlte die Wärme und Sanftheit seines Händedrucks. Einen Moment lang ruhte sein Blick auf mir, während meine Hand immer noch in seiner lag. All meine Sinne schienen wie betäubt, und gleichzeitig doch so klar zu sein. Als er sich nach vor beugte und einen Kuss auf meinen Handrücken hauchte, konnte ich ihn riechen. – Eine Mischung aus herbem After shave mit einem Hauch Sandelholz, und leicht süßlichen Zigarrengeruch.
Mein Herz begann zu rasen, als er den Kopf ein wenig neigte und mich mit einem Blick purer Zärtlichkeit betrachtete. In diesem Augenblick entzündete sich in mir ein Feuer und ich hatte das Gefühl, lichterloh in Flammen zu stehen.
Seine magische Anziehungskraft erfasste mich, wie einen Magnet.
Er schien mein Verlangen nach seiner Berührung zu bemerken.
Mit beiden Händen fuhr er durch mein langes Haar und strich mit den Lippen sanft über mein Gesicht.
Ich schloss meine Augen und war einzig auf seine zärtlichen Berührungen konzentriert. Alles um mich herum war plötzlich unsichtbar und schien längst versunken, während ich mich zurücklehnte und auf einer Welle der Erregung treiben ließ.
Endlich lag sein Mund auf meinen Lippen, und ich ließ seine Zunge bereitwillig in mich gleiten. Er schmeckte noch nach Wein, und es war ein köstlicher Genuss, ihn in mir zu spüren und mit all meinen Sinnen aufzunehmen. Ich umklammerte ihn, wollte mehr von ihm fühlen, ihn näher bei mir haben. In einer Art orgiastischer Extase begann mein Körper zu zittern. Ich hatte das Gefühl, in freiem Fall aus einem Flugzeug zu springen. Es war aufregend und fremd zugleich.
Sein Mund löste sich von mir, und er begann, mein Gesicht mit Küssen zu bedecken, während er Liebkosungen flüsterte. Mein innerer Aufruhr war grenzenlos.
Seine Hand strich dabei über meine Haare, hinab über die Schultern und massierte meinen Nacken. Wie zufällig glitt sie dabei tiefer und ich spürte die schlanken Finger plötzlich am Verschluss meines BH's . Mein Körper versteifte sich unwillkürlich, und er bemerkte es wohl, denn seine Hand verschwand sofort von da und legte sich wieder auf meine Schulter.
Aber diese winzige Geste, die er so taktvoll überspielen wollte, ließ mich allmählich wieder zur Besinnung kommen. Eine plötzliche Angst erfasste mich. Noch ehe ich begreifen konnte, was mit mir eigentlich passiert war, schossen mir die Tränen in die Augen. "Ben...!"
Er richtete sich kurz auf und sah mich aus dunklen Augen zärtlich an.
"Ist schon gut!" – "Ben, ich...!" "Psst!" Sein Finger legte sich auf meine Lippen. "Sag jetzt nichts. Bitte."
Er begriff auch so, was mit mir los war. Und er verstand, noch ehe ich selbst dazu in der Lage war.
Ben hielt mich fest in seinen Armen, während ich mich, von Emotionen überwältigt, an ihn lehnte und meinen Tränen freien Lauf ließ.
Schuldgefühle und das Erschrecken über meine eigene hemmungslose Leidenschaft, die mich restlos verwirrte, brachten mich völlig aus der Fassung.
Wir saßen noch stundenlang schweigend auf den Stufen, ehe ich schließlich die Kraft fand, mich von ihm zu lösen und ins Hotel zurückzukehren.
Er begleitete mich noch bis zur Lounge, wo er sich mit einem stummen Blick von mir verabschiedete.

Niemand, nicht einmal Angelika und Marie, erfuhren je, was in dieser Nacht geschehen war. Mein verweintes Gesicht führten sie wohl auf mein Heimweh zurück-vielleicht ahnten sie auch etwas, waren aber so taktvoll, nicht nachzufragen.
Und als ich nach Hause zurückkehrte, wirkte das Intermezzo mit Ben wie ein Traum.
Einer jener Träume, die zwar wunderschön sind, aber aus denen man auch gerne wieder erwacht, weil man feststellt, dass das wahre Leben noch mehr zu bieten hat...


*

Meine Tochter sieht mich mit ungläubigen Blick an. "Und du hast es Papa nie erzählt?"
Ich schüttle nur stumm den Kopf. – "Aber du liebst ihn doch, oder...?"
Ihre zaghafte Frage versetzt mir einen Stich.
Ich beuge mich vor und sehe ihr fest in die Augen, ehe ich antworte.
"Kathrin, ich liebe deinen Vater sogar sehr! Aber noch bevor ich nach Marokko geflogen bin, war unsere Ehe an einem Tiefpunkt angelangt und das wussten wir beide.
Doch als ich zurückkam, da war mir auch klar, wie viel er mir bedeutet und dass wir einiges besser machen müssen. Eine Beziehung ist sehr zerbrechlich, und oft erkennt man vieles erst, wenn man schon kurz vor dem Abgrund steht. Und auch wenn ich beinahe einen großen Fehler gemacht hätte- letztlich hat es eine positive Veränderung bewirkt."
Sie sieht mich fragend an. "Was für eine Veränderung?" – "Ben war für mich ein kleines Abenteuer, aber nicht mehr. Und als ich von meiner Reise zurückkam, hatte ich plötzlich unglaubliche Angst, deinen Vater zu verlieren. Dabei ist mir erst bewusst geworden, wie viel mir unser gemeinsames Leben bedeutet."
Einen Moment lang schweigen wir beide. Schließlich huscht ein Grinsen über Kathrins Gesicht. "Und du hast es kein bisschen bereut, dass nicht mehr daraus geworden ist?" fragt sie fast neckend.
"Ich hätte es vielmehr bereut, wenn das geschehen wäre!"
Ich sehe zum Fenster hinaus und blicke auf den großen grauhaarigen Mann, der gerade im Garten das Gras mäht. Er winkt mir zu und lächelt. "Es ist gut, so wie es ist", denke ich nur und winke zurück.

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