Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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September 2001
Rot gesehen
von Josef Graßmugg

"Guten Morgen, Schatz." Es war nicht einfach für mich, den Satz über die Lippen zu bringen. Da war einerseits die körperliche Anstrengung, überhaupt etwas zu sagen, andererseits zu wissen, dass ich damit eine längere Diskussion entfachen würde – und das in meinem Zustand.
Die gestrige Nacht hatte es in sich gehabt. Begonnen hatte es eigentlich schon am Nachmittag. Ich war wegen mehrerer Erledigungen in die Stadt gefahren. Unterwegs hatte ich einen meiner Jugendfreunde getroffen. Wir setzten uns in ein Lokal, um Erinnerungen auszutauschen. Dass wir dabei die eine oder andere Biertulpe, ergänzt durch einen Enzian, bestellten, ließ sich natürlich nicht vermeiden.
Meine Kopfschmerzen waren der Beweis dafür, dass aus einigen doch mehrere Getränke geworden sein mussten. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus hätte ich bestimmt eine längere Bettruhe verdient. Aber mein Pflichtbewusstsein ließ es einfach nicht zu.
"Guten Morgen." wiederholte ich den Gruß, während ich mich meiner Frau näherte. Den 'Schatz' konnte ich bedenkenlos weglassen. Soviel hatte ich bereits erkannt. Noch immer erhielt ich keine Antwort. Diese Reaktion kam unerwartet. Üblicherweise fing der Tag danach immer mit einer Moralpredigt an. Nach einem Blick auf die Uhr kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht den falschen Gruß gewählt hatte. Es war kurz nach elf.
"Ich weiß, es ist ein bißchen spät geworden. Aber ich habe einen alten Freund getroffen..." Ich versuchte, meiner Stimme einen reumütigen Ton zu geben. Meine Frau unterbrach mich, während sie mit den Küchengeräten weiter hantierte.
"Wie heißt sie?"
Was sollte das bedeuten? Eifersucht? Inzwischen musste Andrea mich doch gut genug kennen. Mit dieser Frage brachte sie mich völlig aus dem Konzept. Es fiel mir ohnehin schon schwer genug zu sprechen. Jetzt sollte ich auch noch beginnen nachzudenken.
"Ich weiß nicht, was du meinst." war alles, was ich dazu sagen konnte.
"Du weißt ja auch nicht, was du tust." war die prompte Antwort; nur half sie mir nicht weiter. Ich versuchte jedenfalls, mich so gut wie möglich zu rechtfertigen. Vielleicht reichte es ja als Entschuldigung.
"Der Freund, den ich gestern traf..."
"...trägt vorzugsweise rote Seidenstrümpfe." unterbrach sie mich und lenkte den Satz in eine vollkommen falsche Richtung.
"Was soll das? Ich gebe ja zu, dass ich gestern einen Aussetzer hatte. Aber heute habe ich eher das Gefühl, du hast einen."
Angriff ist die beste Verteidigung! Augenblicklich begann ich mich besser zu fühlen.
Ein kurzer Blick in ihre Augen und auf die Farbe ihrer Wangen machten mir jedoch Sorgen. Andrea hatte es mit Sicherheit als Kampfansage aufgefasst. Schnaubend verließ sie die Küche in Richtung Vorzimmer. Mit einem roten Strumpf in der Hand kam sie von der Garderobe zurück. Zunächst schwieg sie noch, als sie ihn mir unter die Nase hielt. Anscheinend wartete sie auf einen Kommentar.
"Du hast gestern die Geschenkgutscheine eingelöst?" fragte ich vorsichtig.
"Oh nein." fauchte sie mich an. "Das sind nicht meine Strümpfe! Außerdem gibt es nur einen davon. Und dieser eine stammt aus deiner Jackentasche! Und es würde mich interessieren, wie er da hinein gekommen ist."
War ich gerade vorhin schon relativ nüchtern, so war ich es jetzt vollkommen. Ein Damenstrumpf! In meiner Jacke! Wie konnte es das geben?
"Ich weiß nicht. Ich, ich habe, ich..." was sollte ich nur sagen? Ich wusste es wirklich nicht.
"Vielleicht fällt dir bis zum Abend eine glaubwürdige Ausrede ein. Unter Umständen bin ich bis dahin zurück." Sie schleuderte den Strumpf auf den Boden, schnappte sich ihre Handtasche und war aus der Wohnung verschwunden.
Was sollte ich nur machen? Ich war doch mit keiner Frau zusammen gewesen – abgesehen von einigen Kellnerinnen, die mich bedient hatten. Günther konnte es bezeugen. Ich hatte ja überhaupt keine Gelegenheit dazu gehabt. Aber wie...?
Sollte wirklich etwas passiert sein?
Warum konnte ich mich nur nicht erinnern?
Günther!
Das war die Idee! Irgendwo musste ich seine Telefonnummer haben. Ich konnte mich dunkel daran erinnern, dass er mir seine Karte gegeben hatte. Wo war sie nur?
Fieberhaft machte ich mich auf die Suche. In der Geldtasche fand ich sie nicht. Meine Jacke, die Hose, ich durchstöberte alles. Vergeblich.
Das Sinnvollste war wohl, mich noch einmal für einige Stunden ins Bett zu legen. Vielleicht tauchte im Schlaf jener Moment wieder auf, der mich in den Besitz des Damenstrumpfes gebracht hatte. Es musste doch eine Erklärung dafür geben.
Kaum hatte ich mich hingelegt, riss mich das Telefon durch sein Dauerläuten wieder hoch. Widerwillig hielt ich den Hörer an mein Ohr.
"Hallo Sepp!" dröhnte es mir entgegen, "Wie sieht's aus? Treffen wir uns heute wieder?" Günthers Stimme klang vollkommen frisch. Ich ging überhaupt nicht auf diese Einladung ein.
"Günther, ich brauche deine Hilfe. Ich glaube, mir fehlen seit gestern ein paar Stunden in meiner Erinnerung."
"Das kann ich mir gut vorstellen. So wie du den Alkohol in dich hinein geschüttet hast."
"Darum geht's jetzt nicht. Meine Frau hat bei mir einen roten Seidenstrumpf entdeckt, und ich konnte ihr nicht erklären, wie ich dazu gekommen bin. Kannst du mir nicht helfen?"
Schallendes Gelächter aus dem Hörer war die Antwort. Es schien mir unendlich lange zu dauern, bis Günther wieder fähig war, zu sprechen.
"Hör mal Sepp, weißt du nicht mehr, wo wir uns gestern getroffen haben?"
Ich wurde ungeduldig. Schließlich wollte i c h etwas von i h m wissen. Er wartete umsonst auf meine Antwort.
"Also," begann er nach einer kurzen Pause "es war in der Bank. Na, dämmert dir was?" Wieder ließ ich die Frage offen.
"Ich merke schon. Es ist hoffnungslos. Jedenfalls hast du – genau so wie ich und die anderen Bankkunden – einen Strumpf als Werbegeschenk bekommen. Wenn du mir nicht deine Telefonnummer auf den beigelegten Zettel geschrieben hättest, könntest du ihn deiner Frau sogar zeigen. Dieser Werbezettel liegt übrigens vor mir. Hier steht: WARTEN SIE NICHT LÄNGER! KOMMEN SIE MIT IHREM SPARSTRUMPF ZU UNS! AB MORGEN TAUSCHEN WIR DIE ALTE WÄHRUNG GEGEN DEN NEUEN EURO – UND SCHON HEUTE SCHENKEN WIR IHNEN FÜR IHREN ALTEN SPARSTRUMPF EINEN NEUEN!

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