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Oktober 2001
Strafakt
von Josef GraĂźmugg

"Hören Sie auf mit Ihrem Gejammer!" Inspektor Leitner reichte es endgültig. Es war immer wieder das gleiche. Vor diesem Gesindel war nichts sicher. Ständig ließen sie etwas mit gehen – oder sie versuchten es zumindest. Zum Glück waren die meisten Kassierinnen aufmerksam genug, um das zu verhindern.
Seitdem das baufällige Hotel am Stadtrand zu einem Asylantenheim umfunktioniert worden war, gab es in der Umgebung ständig Scherereien.
"Bitte." Die Frau wollte nicht aufgeben. "Ich alles bezahlen. Schon morgen. Bitte, Mann darf nicht erfahren." Dann setzte sie noch leise hinzu. "Ich Angst."
"Daran hätten Sie vorher denken müssen!" Mit Sicherheit war Leitners Stimme inzwischen bis nach draußen in den Verkaufsraum zu hören. Aber für ihn gab es keinen Grund, sich deswegen zu schämen. Die anwesenden Kunden sollten ruhig wissen, dass er hier war, um für Recht und Ordnung zu sorgen.
"Bei euch ist es vielleicht üblich, sich einfach zu nehmen, was man haben möchte. Bei uns läuft das nicht. Jetzt nehmen Sie den Kram der Ihnen gehört und kommen mit; oder muss ich Ihnen erst Handschellen anlegen?"
Mit tränenden Augen packte Sie ihre Habseligkeiten wieder ein. Das Gesicht so gut wie möglich durch ihr Kopftuch verhüllt, verließ Sie mit dem Inspektor den Supermarkt.
Nachdem er sie in den Streifenwagen verfrachtet hatte, meldete sich Leitner per Funk in der Zentrale. "Na Jungs, gibt’s was Neues? War hier wieder mal das Übliche. Ich hab eine aus dem Heim im Gepäck. Werd’ sie euch gleich vorstellen."
"Scheint dein Glückstag zu sein." kam sofort die Antwort "Hast eben einen Fang gemacht, und schon gibt’s den nächsten Fall. Wieder Ladendiebstahl!"
"Jetzt reicht’s aber! Wollt ihr mich verarschen?" Leitner brüllte ins Mikro. "Warum schickt ihr nicht Kramer? Irgendwann muss auch er ran."
"Reg dich mal ab. Bring deinen Fahrgast her und lass Kramer das Protokoll aufnehmen. Bisher war’s dir doch immer recht, die Fälle aus dem Erotik-Shop selbst in die Hand zu nehmen."
"Also gut." Leitner hatte sich schnell wieder beruhigt. "Worum geht’s?"
"Na also." Anscheinend konnte wieder normal gesprochen werden. "Die alte Masche. Eine Kundin kam offensichtlich ohne Unterwäsche in den Shop, wollte ihn aber mit Unterwäsche verlassen. Du verstehst?"
"Alles klar." Auf dem Gesicht des Inspektors machte sich unwillkĂĽrlich ein Grinsen breit. "Bin schon unterwegs."
Mit Blaulicht und Folgetonhorn verschaffte sich Leitner freie Fahrt zur Wachstube. Der neue Kollege wartete bereits am Eingang.
Leitner sprang aus dem Auto, zerrte die Ausländerin heraus, übergab sie Kramer mit den Worten "Du weißt Bescheid?" und war schon wieder unterwegs.
"Hallo Walter. Wo warst du so lange? Ich kann die Kleine nicht ewig einsperren." Für die Geschäftsinhaberin war es nicht das erste Mal, dass sie die Hilfe der Polizei angefordert hatte.
"Ist ja schon gut. Hast du sie hinten im Lager?"
"Klar. Du kennst ja den Weg. Ich muss mich wieder um die Kundschaft kĂĽmmern."
"Okay. Ich seh sie mir mal an."
Im Halbdunkel des Lagerraumes saĂź auf einem Hocker eine junge Frau. Sicher noch keine dreiĂźig. Anscheinend keine Nutte.
"Was haben Sie sich dabei gedacht?" Leitner sah keinen Grund für irgend welche Höflichkeitsfloskeln. "Glauben Sie, das ist ein Selbstbedienungsladen?
Sieht schlecht aus für Sie. Sehr schlecht. Vorsätzlicher Diebstahl..."
"Ich weiß." Die Frauenstimme klang ängstlich. Erst jetzt sah sie dem Inspektor ins Gesicht. "Ich weiß, dass es eine Dummheit war. Ich wollte doch nur meinem Freund etwas beweisen. Es geht nicht ums Geld. Ich kann die Ware sofort bezahlen. Ich bezahle das doppelte. Aber bitte, bitte bringen Sie es nicht an die Öffentlichkeit.
Die Verkäuferin versprach mir, unter Umständen von einer Anzeige abzusehen. Ich solle versuchen, Ihnen alles zu erklären. Sie seien vielleicht kompromissbereit. Bitte, haben Sie Verständnis. Es wird auch nie wieder vorkommen..."
"Darf ich auch etwas sagen?" Leitner unterbrach den Redeschwall der Frau. "Sie wissen scheinbar nicht, in welcher Lage Sie sich befinden. Diebstahl ist kein Kavaliersdelikt." Der Blick der Frau wurde noch unruhiger.
"Aber ich dachte nur, weil die Verkäuferin meinte..." Sie wusste nicht, was sie am besten sagen sollte. "Sie sind doch auch ein Mensch, und nicht nur Polizeibeamter. Bitte, haben Sie ein Herz für mich. Sie haben bestimmt genügend Erfahrung, um zu merken, dass es ein einmaliger Ausrutscher von mir war."
"Ich würde es mal so sehen: "Leitners Stimme klang auf einmal ganz anders. Beinahe väterlich. "Ein wesentlicher Faktor bei den Ermittlungen ist das Corpus Delicti. Sie tragen doch noch immer die Wäschestücke, um die es geht, oder?"
"Ja..."
"Na also. Und die muss ich natürlich sehen. Wenn Sie also bitte zunächst Ihre Oberbekleidung ablegen."
Leitner gab ihr etwa eine halbe Minute Bedenkzeit.
"Vielleicht finden wir einen Weg, wie Sie aus dieser Misere wieder herauskommen können."
Er merkte den Zweikampf ihrer Gedanken. Wie würde Sie sich entscheiden? Sobald der erste Knopf offen war, hatte er gewonnen. Noch zögerte sie.
"Ich kann natürlich sofort mit der Aufnahme des Protokolls beginnen." Der väterliche Ton war wieder der Amtssprache gewichen.
"Nein! Warten Sie! Bitte!" Sie sprang auf, um ihn davon abzuhalten. "Sicher können Sie die Wäsche sehen."
Leitner bemühte sich, das Grinsen, das sich auf seinem Gesicht breit machen wollte, zu unterdrücken. Er plazierte sich erwartungsvoll auf den frei gewordenen Hocker. Die Kleine schien es wert zu sein, punkto Anzeige das eine oder andere Auge zuzudrücken. Aber das galt für später. Jetzt hieß es, die Augen offen halten.
Mit zittrigen Händen begann sie, sich auszuziehen. Leitner sah seinen ersten Eindruck bestätigt. Diese Frau brauchte die Dessous mit Sicherheit nicht für ihre Arbeit. Es wirkte verdammt unbeholfen, wie sie sich aus ihrer Kleidung schälte.
"Reicht das?" fragte sie unsicher.
"Nun..." Der Inspektor machte eine Pause. Er wollte ihr Gelegenheit geben, sich selbst auszurechnen, ob es ihm reichen wĂĽrde.
Anscheinend war sie zum richtigen Ergebnis gekommen. Denn er merkte, wie sie ihre Augen schloss und langsam begann, die letzten Wäschestücke fallen zu lassen.
Es war so weit. Der Inspektor hatte sich wieder erhoben und machte sich an seiner Uniform zu schaffen.
Wozu der ganze amtliche Kram? Er wĂĽrde dieser Ladendiebin an Ort und Stelle klar machen, was er unter einem Strafakt verstand.

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