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Oktober 2001
Kein Spiel
von Judith Gröger

Es war früher Nachmittag, als die junge Frau die Dunkelgasse hinunterging. Unbekümmert schlenderte sie an den Wänden entlang und genoß das warme, volle Gefühl in ihrem Bauch. Sie hatte sich im Viertel Hof mit ihren Verwandten zum Essen getroffen und kehrte jetzt heim. Früher war sie oft in Hof zu Besuch gewesen, aber jetzt schimpften ihre Verwandten, sie solle doch lieber zu Hause bleiben, die Straßen seien so unsicher. Man redete in letzter Zeit sehr viel von den blutigen Morden. Vermutungen wurden angestellt, ob die Kläfferbande wieder ihr Unwesen trieb, aber diese Morde waren von einem anderen Schlag. Sie zeugten nicht von der brutalen, groben Gemeinheit einer Meute, sie waren irgendwie subtiler, undurchschaubarer. Man sprach von einem geheimnisvollen Einzeltäter, der im Dunkel der Nacht seinen Opfern auflauerte. Sie selbst war kurz nach einem Mord am Tatort gewesen, die Leiche war zum Glück schon entfernt worden. In den Geruch der verzweifelten Angst, der noch in der Luft gehangen hatte, hatte sich ein anderer, fremdartiger und zugleich doch seltsam vertrauter gemischt. Wie ein dunkler Nebel hatte er sich um ihr Herz gelegt und es in schauriger Erregung erbeben lassen. Bei der Erinnerung kitzelte ein leichter Grusel ihre Nerven, aber natürlich war die Stadt tagsüber sicher.

Sie bog jetzt ins Küchengewann ein, und der Eingang zu ihrem Haus wurde in der Ferne sichtbar. Es lag direkt neben der Fabrik, deren Hochofen wieder auf Hochtouren lief, sie konnte es bis hierher hören. Aber der Lärm störte sie nicht, vielmehr vermitteltet er ihr ein Gefühl von heimischer Wärme und Gemütlichkeit. Oft blieb sie hier an der Ecke stehen, um den vertrauten Anblick zu genießen, und auch heute machte sie keine Ausnahme. In träger Aufmerksamkeit lehnte sie an der Wand und nahm die feinen Nuancen ihrer Umgebung in sich auf: der süße Geruch nach Brot und Kuchen; das Surren der Insekten; der warme Luftzug in ihrem Gesicht; der zäh dahinkriechenden Zeiger der Turmuhr - man konnte seine Bewegung gar nicht wahrnehmen, und doch war er plötzlich ein Stückchen weitergerückt, ganz heimlich und unbemerkt. Traudel, ihre Wirtin, war gerade nicht da. Für gewöhnlich fegte sie um diese Zeit, aber die junge Frau war froh, ihrer Aufmerksamkeit heute so leicht entgehen zu können. Ihr Gezeter und Gekreische ging ihr ziemlich auf die Nerven.

Sie überlegte, ob sie nicht ausnahmsweise einmal den Weg über den großen Platz nehmen sollte, anstatt wie sonst den Umweg durch die Säulengasse zu gehen. Es schien alles so friedlich und still - fast trügerisch. Unwillkürlich fuhr ihr ein erneuter Schauer den Rücken hinauf. Was, wenn der Mörder hier auf sie lauerte? Aber mitten am Tag? Nein, das war höchst unwahrscheinlich! Beherzt wollte sie auf den Platz hinaustreten, doch mitten in der Bewegung erstarrte sie: Es war, als ob sie etwas berührt hätte, ein langer, eisiger Finger, der sie zunächst fast zärtlich in der Nase kitzelte, dann aber zunehmend bohrender wurde, mit seinem tödlichen, fremdartig vertrauten Geruch an ihren Nerven kratzte, ihre Bahnen in eine Schwingung versetzte, die sich immer stärker nach innen fortsetzte. Angst klumpte in ihrem Magen zusammen, wuchs zu einem Geschwür, das ihr pochendes Herz erdrücken wollte. Jetzt war der Geruch ganz deutlich, der Geruch des Mörders, er peitschte sie auf, versetzte sie in höchste Alarmbereitschaft, und mit einem Aufschrei rannte sie in die Seitengasse. Hinter sich spürte sie eine blitzschnelle Bewegung, aber sie drehte sich nicht um, sondern rannte, rannte, rannte. Fliehen! Wohin? Ein Schlupfloch? Nein! Weiter! Fliehen! Fliehen vor dem grausamen Etwas hinter ihr! Es war so nah, so nah! Plötzlich fühlte sie sich gepackt und in einer heftigen, zielgerichteten Bewegung gegen die Wand geschleudert.

Benommenheit legte sich wie eine schwere Decke auf ihre Augen, aber ihr Herz raste wild. Sie wußte, jetzt kam der Tod! Sekunden verstrichen, Sekunden verzweifelter Angst! Der allgegenwärtige Geruch des Mörders hüllte sie ein und drohte sie zu ersticken, aber noch lebte sie! Mit aller Willenskraft gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Scharfes Mordwerkzeug blinkte, doch das war es nicht, was sie in lähmendes Entsetzen versetzte. Es waren seine Augen, diese grün schimmernden Augen, die sie in kalter Berechnung durchbohrten, sie an die Wand nagelten und sie gleichsam zu sezieren schienen. In ihnen lag eine gierige Lust, eine Lust zu töten, doch nicht glatt und schnell, oh nein! Es würde ein langsamer Tod sein! Er würde mit ihr spielen; er würde sie hin- und herschütteln, um sie dann wieder loszulassen; er würde ihr ein Fenster der Hoffnung öffnen, um es im letzten Moment zuschnappen zu lassen; er würde sie rennen, sie fast entkommen lassen, um sie dann mit einem Satz zu packen; er würde sie verletzen, gerade so, daß sie fliehen konnte, um sie letztendlich doch zu töten! Sie wußte, sie hatte das Spiel verloren, bevor es begonnen hatte, und in ihrer Verzweiflung wünschte sie sich, daß sie einfach aufgeben und sich ihm überlassen konnte. Aber sie wußte, sie würde nicht aufgeben. Sie würde hoffen, sie würde rennen, sie würde sein grausames Spiel mit ihm spielen bis zum bitteren Ende. Und sie wußte, daß er es wußte.

Eine Tür ging auf, Traudel! Der Kopf des Mörders zuckte herum, und sie nutzte den kurzen Augenblick der Ablenkung, rannte los, auf ein Schlupfloch zu. Da, ein schwarzer Pfeil, ein Aufblitzen, sie spürte, wie etwas Scharfes ihr Genick packte und es mit einem Ruck brach. "Wenigstens kein Spiel", dachte sie und sank in die Dunkelheit.

"Peter, du weißt genau, daß du in der Küche nichts zu suchen hast!", rief Traudel. Ein Besen scheuchte ihn in den Flur hinaus und schob dann nahezu behutsam den Leichnam der jungen Frau auf das Kehrblech: "Immer schleppt das Katzenviech seine toten Mäuse hier herein!"

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