Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Oktober 2001
Red hot chili Peppers
von Christine Köck

Ich musterte das Gesicht eingehend. Es kam mir vage bekannt vor. Die Hakennase, das spitze Kinn. "Ich kenn’ dich," murmelte ich, "irgendwo habe ich dich schon mal gesehen." Mit einem Seufzen verrieb ich die Rasiercreme im Gesicht. "Ich komm’ noch drauf," flüsterte ich meinem Spiegelbild zu.

***

Montag Morgen 11.00 Uhr.
Wochenanfang.
Wo war mein Wochenende?
Wie konnte eine neue Woche anfangen, ohne dass die vorherige geendet hatte? Und für den passenden Auftakt hatte das Schicksal, die Sau, auch schon gesorgt. Ein Toter am Montag. Wer beseitigt denn seine unliebsamen Mitmenschen am Montag Morgen?
Ich lenkte meinen altersschwachen rostenden Käfer ins Dortmunder Nobelviertel und quälte ihn die Syburger Dorfstraße rauf. Nummer 7a. In der Garageneinfahrt stand schon Kurts weißer Bulli. Die Spurensicherung war also schon am Werk. Bergers adretten dunkelblauen VW Polo konnte ich auch am Straßenrand entdecken. Poliert und glänzend, ich könnte wetten einen kleinen Duftbaum am Rückspiegel baumeln zu sehen. Die noch nicht richtig ausgeheilte Pubertätsakne mit ein wenig Oberlippenflaum kaschiert, mein junger eifriger Kollege Berger. Er eilte mir schon entgegen, kaum dass ich ausgestiegen war. Während er auf mich einplapperte, betraten wir das Haus. Mitten im Wohnzimmer stand rauchend eine große blonde Frau. "Das ist die Ehefrau, sie hat den Toten entdeckt," und dann, verschwörerisch mit gesenkter Stimme, flüsterte Berger mir zu, "sagt sie." Ich knöpfte meinen Mantel auf, bevor sich die Schleusen meiner Schweißdrüsen öffnen würden.
"Hallo Frau Baaren, Güllermann von der Mordkommission. Sie waren als Erste am Tatort?" Mit diesem merkwürdigen holländischem Akzent, der einen unwillkürlich an Rudi Carell denken lässt, erzählte sie mir kurz und knapp, wie sie ihren Mann gefunden hatte. "Sie sind also heute Morgen so gegen 9.30 Uhr von draußen in diese überheizte Wohnung gekommen", wiederholte ich die Angaben, die man mir per Telefon durchgegeben hatte, "und sind direkt durchgegangen ins Atelier, wo Sie dann Ihren Mann tot auf dem Teppich liegend fanden?" "Genau so war es. "
"Hmm...," ich bohrte mir gedankenverloren mit dem Bügel meiner Brille im Ohr, eine widerliche Angewohnheit, die auch prompt mit einem angeekelten Gesichtsausdruck von Frau van Baaren quittiert wurde. "Sie mussten nicht kurz stehen bleiben, um sich die beschlagenen Brillengläser zu putzen?" fragte ich spitzfindig.
"Nein. Heute Morgen trug ich noch meine Kontaktlinsen."
"Hat Sie heute Morgen irgendjemand gesehen, der die Aussage bestätigen könnte, dass Sie ...," ich kramte ein bisschen in meinem Gedächtnis, das erfahrungsgemäß erst einige Wochentage später anfing zu arbeiten, "wo waren Sie noch gleich?"
"Joggen. Ich laufe morgens immer zwei Stunden durch den Park. Ich glaube nicht, dass mich jemand gesehen hat."
Im Geiste revidierte ich das Bild, das ich mir von Jette van Baaren gemacht hatte, entfernte das Brillengestell und fügte eine Prise sportlichen Fanatismus hinzu.
Nis van Baaren lag offensichtlich tot auf den Dielen seines Ateliers. Die Hände in einer beinahe theatralischen Geste auf sein Herz gepresst, starrte er aus trüben Augen an die Decke. Eine dunkelrote Lache hatte sich um seinen Kopf auf dem Holz ausgebreitet und bildete eine Art missglückten Heiligenschein. "Entschuldigen Sie meine schwerfälligen Gedankengänge, Frau van Baaren, aber Ihr Mann wurde in seinem Atelier erschlagen. Sie waren als erste am Tatort und haben unglücklicherweise die Tatwaffe," ich wies mit dem Kinn auf die am Boden liegende Whiskyflasche, "aufgehoben, womit sich jetzt Ihre Fingerabdrücke auf der Flasche befinden." Ich kratzte mir noch einmal im Ohr, bevor ich fortfuhr. "Sie scheinen vom Tod Ihres Mannes auch nicht gerade, wie soll ich sagen... tief getroffen zu sein."
"Ich verstehe, auf was Sie hinauswollen, ja, ich bin nicht tief getroffen über den Tod meines Mannes, aber ich habe ihn nicht umgebracht."
"Außerdem hätten Sie ein vorzügliches Motiv." Ich ließ den Blick über die Bilder wandern. ‚Wie viel die wohl wert wären?’ Leider hatte ich von Kunst nicht die leiseste Ahnung.

***

Ich starrte auf die Fotos vom Tatort. Baaren aus allen Blickwinkeln. Die Tatwaffe, eine Flasche Glenlivet. Halbvoll. Hmm... er hatte Geschmack. Ob er etwas gefeiert hatte? Ob er nur so trank?
Sein Atelier aus allen Blickwinkeln. Seine Bilder. Allesamt komische Farbkleckse hauptsächlich in blau. Keine einzige nackte Frau. Ich seufzte. Ein Toter und eine Tatverdächtige mit Motiv.
Ich seufzte noch mal. Dann schob ich eine Kassette ins Tapedeck. ‚Red Hot Chili Peppers’, die letzte Musik, die der Tote gehört hatte. Gitarrengeschrammel erfüllte den Raum, Bässe trugen mich fort. Nach dem ersten Schlagzeugsolo wurde Baaren unverhofft mein Freund. Irgendetwas passte nicht. "Van Baaren." Ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen, wie ein Stück holländischen Gouda. Ein toter Kaaskopp. Ich legte die Füße auf den Schreibtisch und griff mir das Telefon. Der Anruf beim Pathologen ergab auch keine aufregenden Neuigkeiten. Der Tote hatte etwas Restalkohol im Blut, vermutlich den Whisky. Doch wo war das Glas, aus dem er getrunken hatte? Van Baaren, holländischer Maler, ein Genießer mit Geschmack, trinkt seinen Whisky doch nicht aus der Flasche. Wo ist das Glas aus dem du deinen Whisky getrunken hast, Baaren? Ich nahm die Füße vom Schreibtisch und machte mich auf den Weg zu seinem Atelier.
Ergebnis der Suche: nur gespülte Gläser im Schrank und ungefähr fünfzig Leichen lang verschollener
Wollmäuse darunter.

***

"Sagen Sie mal, Kommissar Güllermann...", Berger senkte vertraulich seine Stimme und schnaubte in seinen Oberlippenflaum. Das hatte bestimmt nichts Gutes zu bedeuten. "Wie sieht es denn aus mit Observation?" Was schlug der Perverse mir da denn vor? Ich wollte gerade zum Schlag ausholen, da nuschelte er schon weiter:" Beschattung für Frau Baaren. Besteht nicht Fluchtgefahr?"
"Eine ausgezeichnete Idee, Berger," rief ich enthusiastisch," geradezu brillant!" Ich ging leicht hinter meinem Schreibtisch in Deckung, weil Berger offensichtlich kurz vor der Explosion stand. Seine schmale Brust blähte sich auf – fachmännisch geschätzt- von Körbchengröße B auf Doppel D.
"Berger, nur Sie sind die optimale Person für diesen Job." Kurze Unsicherheit huschte über sein Gesicht, doch ich strahlte ihn unbeirrt an, "ich lasse ihnen volle Handlungsfreiheit. Legen Sie los!" Sein Oberlippenflaum zog sich wieder in die Breite.
"Oki-doki," ließ er mich wissen, was auch immer das heißen mochte, und verließ mit einem merkwürdig tänzelnden Schritt das Büro. Ich seufzte. Berger, Berger.
Ich brauche Urlaub! Wie viele Tage sind es noch bis zur Pension?

***

Die Todeszeit wurde auf ungefähr 8.00 Uhr festgelegt. Stimmte die Aussage von Frau Baaren, dann wäre der Mörder in den zwei Stunden ihrer Abwesenheit in die Wohnung eingedrungen und hätte ihrem Männe die Flasche übergezogen. Diebstahl oder nicht? Raubmord oder doch Mord am Ehemann? Leider war nicht festzustellen, ob Bilder fehlten. Warum führen Maler nicht Buch über ihre Werke? Die Flasche Whisky spukte mir kurz durch den Kopf. Vielleicht hatte Baaren auf die Fertigstellung eines Bildes getrunken?
Jette van Baaren. Ich ließ mir ihre Aussage noch mal durch den Kopf gehen. ‚ Ich laufe morgens immer zwei Stunden durch den Park’. Vor meinem inneren Auge spulte ich einen kleinen Film ab. Baarens zu Hause. Getrennte Schlafzimmer. Ihr Wecker klingelt. Badezimmer. Duschen... hm... doch nicht, Duschen erst immer nach dem Sport. Zähneputzen. Jogginganzug. Schuhe anziehen. Vermutlich noch einen Schluck Milch. Grauenhaft, diese Fanatiker. Aber wer käme als Mörder in Betracht? Kein gewaltsames Eindringen. Es müsste jemand sein, der sich gut mit ihrem Tagesablauf auskennt und weiß, dass Sie morgens zwei Stunden unterwegs ist. Außerdem kannten sich Baaren und sein Täter anscheinend, denn Baaren hatte ihm geöffnet und ihn ins Atelier geführt.
Oder aber der Täter hatte einen Schlüssel für die Wohnung. Ich schwang die Beine vom Schreibtisch und machte mich auf den Weg zu Frau Baaren. Vor dem Kaffeeautomaten traf ich Berger. Er machte einen leicht desolaten Eindruck. Kein Gel, kein aufdringliches Rasierwasser.
"Morgen Berger!" Ich riss ihn augenscheinlich aus tiefsten Tagträumen, doch als er mich registrierte, lächelte er und hielt einen Daumen hoch.
"Die Sache läuft."
"Super Berger, nicht nachlassen!"
‚Was meinte er für eine Sache?’

***

Der Besuch war recht ergiebig. Die nette Jette erzählte mir bei einem Käffchen von ihrer zerrütteten Ehe, ihren Problemen und Sorgen und versicherte mir, dass ihr Mann ihr zwar gleichgültig geworden wäre, oder wie Sie es sagte, ‚dähr war mir komplett ägal’, sie ihn aber nicht umgebracht hatte. Tja, bedauerlicherweise glaubte ich ihr. Im Rausgehen fiel es mir dann wieder ein.
"Gibt es jemanden, der einen Ersatzschlüssel für die Wohnung hat?"
Sie schüttelte den Kopf. "Nis muss ihn reingelassen haben."
"Hatte Ihr Mann am Tag vor seinem Tod noch Besuch? Hat er vielleicht mit irgendwem etwas... gefeiert, oder so?"
"Ich komme immer erst sehr spät aus dem Büro, keine Ahnung, wer hier alles ein- und ausgeht. Kommissar, ich weiß, wie unglaubwürdig das alles klingt. Aber ich war es nicht! Ich wird’ noch ganz verrückt. Außerdem fühle ich mich die ganze Zeit beobachtet. Ich werde die nächsten Tage bei meiner Schwester wohnen." Sie schrieb mir Adresse und Telefonnummer auf einen Zettel.
Sie fühlte sich beobachtet?
In den nächsten Tagen wurden Bergers Augenringe zusehends dunkler.

***

Ich bohrte ein wenig bei Nachbarn und Bekannten nach. Das angrenzende Haus fiel sofort durch den gepflegten Garten auf. Gartenzwerge beobachteten debil lächelnd jeden Besucher. Die Eingangstür war mit einem geschmacklosen Kunstblumenkranz dekoriert. Neben dem Klingelknopf konnte ich zwei Namen entziffern. Klaus und Chantal Herzer. Na denn...
Chantal öffnete mir. Ihr dauergewelltes Haar hatte sie zu einer Ruhrpottpalme drapiert. Kaugummikauend versprühte sie ihren ganzen Charme.
"Ja?" Kau. "Was gibt’s?" Schneller Doppelkauer. Solchen Leuten halte ich wirklich mit Genuss meine Marke unter die Nase.
"Güllermann. Mordkommission. Ist Ihr Mann auch zu Hause?"
Palme war sichtlich beeindruckt und bemühte sich um Entgegenkommen, selbst ihr Kaugummi verschwand in eine ihrer Backentaschen. "Ohh...," hauchte sie, "ein Kommissar." Und, sich nach hinten drehend:" Scha-atz! Hier ist ein Kommissar, der dich sprechen möchte."
Herzer erschien hinter ihr. Sein Haupthaar war so akkurat auf Volumen gefönt, dass ich unwillkürlich an einen Königspudel denken musste. Palme und Pudel. Das passte ja wie Fisch auf Fahrrad. "Kommen Sie doch rein."
Bei einer Tasse Kaffe, an der ich wiederwillig nippte, erfuhr ich dann von Palme, dass die Baarens sich schon lange nicht mehr richtig grün waren. Er bestimmt etwas mit einer anderen hatte und sie psychisch ja wohl auch nicht ganz auf der Höhe war. Sie, Palme selber, seit dieser Sache irgendwie gar nicht mehr richtig schlafen konnte, weil sie ja so eine sensible... ich unterbrach an dieser Stelle dankend und wendete mich an ihren Mann. "Und Sie? Noch den einen oder anderen ergänzenden Hinweis zu den Ausführungen ihrer Gemahlin hinzuzufügen?" Herzer schüttelte, Gott sei Dank, nur den Kopf. "Ich glaube, Chantal hat alles Wichtige gesagt. Alles was wichtig ist." Irgendetwas stimmte mit seinen Augen nicht. Sie erinnerten mich an mein Fernsehbild. Ich verabschiedete mich und hinterließ keine Karte. Falls ich etwas vergessen hatte zu fragen, konnte ich ja immer noch meinen eifrigen Kollegen Berger vorbeischicken.
Ich entschied, meinen kulturellen Horizont zu erweitern, und machte mich auf den Weg zur Buchhandlung. Die wenig hilfsbreite Verkäuferin schickte mich aber mit meinen Wünschen in einen Künstlerbedarfsladen am anderen Ende der Stadt. So viel zum Dienstleistungsgewerbe. Dort traf ich dann mit diesem gehetzten Flackern in den Augen den Königspudel Herzer wieder, auf der Jagd nach einem Knochen.
"Und", grüßte ich freundlich, "schon einen Knochen ausgegraben?"
Er lachte gekünstelt. "Bei der Polizei ist man auch immer zu Späßchen aufgelegt."
"Wähle 110, wir sind für jeden Spaß zu haben." Doofer Pinscher. "Ich wusste ja gar nicht, dass Sie auch malen?" Ein Blick in seinen Einkaufskorb zeigte mir verschiedene Pinsel und Acrylfarben. Langsam machte ich mir Sorgen um seine Augen, denn dieses Fernsehbildflackern wurde immer stärker. "Ja," wobei er das ‚a’ langsam und gequält aushauchte, "schon lange. Nur bin ich nicht so erfolgreich wie Baaren." Und nach kurzem Zögern fügte er noch hinzu, "wie Baaren war."
"Aber Sie arbeiten dran, wie ich sehe."
"Ja, genau." Er nickte und sein Haar wippte leicht auf und ab. "Genau." Während der kleinen Plauderei hatte ich meinen Korb mit diverser Lektüre gefüllt. ‚Grundkurs Kunst’, ‚Meisterschule Malen’ und ‚Die kleine Farbenlehre’ schienen mir doch sehr vielversprechende Titel zu sein. Interesse halber ein Buch über Aktmalerei, als kleines Schmankerl.
An der Kasse verabschiedete sich Herzer so schnell, dass ich das Gefühl hatte, eine kleine Staubwolke hinter ihm aufsteigen zu sehen.
Die neue Künstlerkneipe schien mir ein angemessenes Ambiente für meine Studien. Nach dem zweiten Whisky erschien mir diese ganze Malerei auch gar nicht mehr so abstrakt. Nach dem dritten erschien mir die kleine rothaarige Kellnerin wahnsinnig charmant. Und nach dem vierten schien sich mein Erinnerungsvermögen zu verabschieden.

Die Welt nahm wieder Formen an, am nächsten Morgen im Kommissariat bei der zweiten Tasse schwarzen Automatenkaffees. Unser Automatenkaffe ist ein Wunder. Er schmeckt. Und er schmeckt besser, je mehr man davon trinkt. Gerade als ich ihn mit halb geschlossenen Augen an meinem Schreibtisch schlürfte, betrat eine mir wirklich unangenehme Person mein Büro. Natürlich musste es so aussehen, als ob meine Augenlider zugeschwollen wären, Chefs würden niemals erkennen, wenn man genussvoll einen Kaffee trinkt. Chefs gehen nämlich davon aus, dass ihre Untergebenen keine Zeit haben dürften, irgendetwas während der Arbeitszeit genussvoll zu tun.
Chefs Adleraugen fixierten mich, seine Nasenflügel zuckten kurz. "Güllermann, Sie stinken."
"Ich bin Undercover, Chef."
Es gibt Leute, die sich aufgrund ihrer ungeheuren Kompetenz solche Kommentare beim Chef erlauben könnten. Ich gehörte nicht dazu.
"Ich erwarte einen vorläufigen Bericht bis heute Nachmittag 15.00 Uhr. Und...," im Weggehen begriffen drehte sich mein Chef noch mal zu mir um, "Güllermann, zu Ihrer Tarnung. Sie wissen schon, dass Sie in einem Kommissariat und nicht auf einem Bauernhof arbeiten?"
Ich entschied mich dafür, mein Mittagskäffchen in der Künstlerkneipe einzunehmen, dort schienen mir die Leute doch verträglicher und nicht so übertrieben ehrlich zu sein. Die kleine rothaarige Lady begrüßte mich strahlend und hauchte mir eine Kusshand über den Tresen zu.
He! Ich riss gewaltsam an der Filmspule meines gestrigen Tages, doch der Black out wollte sich nicht erhellen lassen.

***

"Meine Güte, Berger! Sind Sie krank? Gehen Sie doch nach Hause, wenn Sie Fieber haben." Berger schleppte sich mit fiebrig glänzenden Augen zu meinem Schreibtisch, die rechte Hand umklammerte einen Briefumschlag. "Hier...," setzte er an, "hier habe ich alle Beweise." Kraftlos sank er auf dem Stuhl zusammen. Ich musste ihm den Briefumschlag sanft aber bestimmt aus seinen katatonischen Händen entwenden. Fotos. Eine junge Frau von hinten im Badezimmer, beim Bäcker, beim Joggen.
"Berger, Sie Perverser", dann erkannte ich Jette van Baaren. "Ich habe sie beobachtet. Und Sie kommen nicht drauf, was ich herausgefunden habe." Ich schüttelte den Kopf und betrachtete weiter die Fotos. Auf einem war verwackelt ein Mann im Käfer zu erkennen, doch es hatte wohl das Duftbäumchen vor der Linse gehangen, als ich ausgestiegen war. "...eine Frau..." bekam ich mit einem halben Ohr mit.
"Verarschen Sie mich nicht, Berger. Das ist nicht irgendeine Frau, das ist Jette van Baaren!"
Berger lächelte triumphierend. "Ja, aber schauen Sie sich die letzten Fotos an." Er zog mit dem Zeigefinger ein Augenlid herunter, eine Geste, die ich nicht richtig einordnen konnte. Kam jetzt etwas besonders Findiges, oder hatte er einfach etwas im Auge? "Sie wohnt bei einer Frau." Er hatte wohl etwas im Auge. Die Betonung lag so merkwürdig auf dem letzten Wort, als ob er von einer Geschlechtskrankheit sprechen würde. Und da fiel dann mit einem leisen - pling - der Groschen bei mir.
"Aaach... darauf wollen Sie hinaus."
Bergers Oberlippenflaum plusterte sich auf. "Eine Frau."
"Mensch Berger! Brillant! Bleiben Sie dran und halten Sie mich auf dem laufenden." Sanft, aber bestimmt, schob ich ihn zur Tür. Eine Frau. Mensch Berger... tz, tz, tz... der junge Kollege hatte eindeutig zu viele schlechte Filme gesehen. Armes Kerlchen.

***

Einen Monat später sollte der Prozess gegen Frau von Baaren beginnen. Ein Indizienprozess. Wobei die Indizien ziemlich eindeutig waren. Motiv, kein Alibi, Tatwaffe mit ihren Fingerabdrücken. Ich seufzte in meinen Kaffee. Lea kam hinter dem Tresen hervor und legte den Arm um mich. "He, hier wird nicht Trübsal geblasen." Ich strich ihr eine rote Haarsträhne aus der Stirn. "Hier, ich hab’ etwas, das dich auf andere Gedanken bringt." Sie wedelte mit zwei Karten vor meinen Augen hin und her. "Eröffnungsvernissage in der Hausermanngalerie. Der Künstler ist zwar noch recht unbekannt, aber ein Freund von mir hat mitgeholfen, die Bilder auszupacken und aufzustellen und der meinte, sie wären echt cool."
‚Echt cool.’ "Hmm...," ich machte ein unbestimmtes Geräusch, das alles heißen konnte. ‚Eröffnungsvernissage’... na ja, vielleicht gab es ein gutes Büfett. Dann fiel mein Blick auf den Namen des ausstellenden Künstlers. "Sag mal, Schatz, besteht die Möglichkeit deinen Freund zu bitten uns die Bilder schon früher zu zeigen?"
"Wie stellst du dir das denn vor? Und wieso? Du wirst doch wohl noch eine Woche warten können?"
"Ach bitte... Was ist das eigentlich für ein Freund, hä?"
"Was soll denn die Frage jetzt? Ein Freund eben."... .... ....
Ich quengelte so lange, bis ich meinen Willen auch bekam. Im Rumquengeln bin ich nämlich wirklich gut.

***

Rot. Feurig rot, wie Chili. Chili Peppers.
Und dann fügte sich alles wie ein Puzzle zusammen. Die Kassette, die auf’s Herz gepressten Hände des Toten, die roten Bilder.

***

Ich fing Herzer vor seiner Haustür ab, gerade als er sich auf den Weg zu ‚seiner’ Vernissage machen wollte. Die grellgemusterte Krawatte sollte vermutlich seinem Aufzug eine avantgardistische Note verleihen. Sie sah eher aus wie ein toter Papagei, der von seinem Hals baumelt. Herzer schien eine abartige Vorliebe dafür zu verspüren sich mit fremden Federn zu schmücken. "Guten Abend, Kom-Kommissar!"
"Herr Herzer, haben Sie vielleicht einen kurzen Augenblick für mich Zeit?" Mein fester Griff an seinem Ellbogen verdeutlichte, dass es sich um eine rhetorische Frage handelte. Ich führte ihn zu Baarens Haustür. "Eigentlich, eigentlich wollte ich..." Ich unterbrach Herzers Gestottere, "ich weiß. Heute ist Ihr großer Tag. Stimmt’s?" Die Haustür quietschte theatralisch in den Angeln. "Nur eine kleine Frage noch, Herzer." Mittlerweile standen wir in Baarens Atelier. In Baarens ehemaligen Atelier. Herzer blieb entsetzt stehen und starrte auf die Krepppapierumrisse Baarens auf den Dielen. "Sagen Sie mal, Herzer. Ich habe mir da so etwas überlegt." Ich bückte mich nach einen kleinen bunten beklecksten Holzbrett. "Hier ist doch... wie sagt man dazu?" Und ich hielt ihm das kleine Stück Holz unter seine verpustelte Nase.
"Palette. Palette sagt man dazu." Diese Angewohnheit sich selbst zu wiederholen war mehr als nervtötend.
"Also, auf dieser Palette befinden sich doch Farbreste der Farben, mit denen Baaren als letztes gemalt hat." Herzers Gesichtsfarbe veränderte sich.
"Das ist natürlich möglich, allerdings..." Bevor er zu längeren Ausführungen ansetzen konnte, gab ich ihm mit meinem neuerworbenen Fachwissen den Gnadenstoß.
"Ist es nicht sogar so, dass jeder Farbe eine Nummer zugeordnet ist und man Anhand der Farbpigmente genau feststellen kann mit welcher Farbe ein Bild gemalt wurde?" Sein vom Selbstbräuner leicht gelbliches Gesicht verfärbte sich rot. Ockergelb mit einer Spur Zinnoberrot, würde ich sagen. "Wissen Sie, Herzer, Sie hätten die Whiskygläser nicht spülen dürfen. Zumindest Baarens nicht." Ich konnte mir ein kleines selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen. "Herzer, wie sieht es aus? Sollen wir noch einen Abstecher in ‚ihre’ Galerie machen, oder kommen Sie direkt mit ins Präsidium?"

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