Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
Der Ulrich hat mich verlassen, das Schwein. Das hat er mit Absicht getan, um mir zuvor zu kommen, weil er genau wusste, dass ich ihn verlassen wollte, obwohl er das eigentlich nicht hat wissen können, weil ich es ihm nicht gesagt habe.
Das passiert mir immer wieder, dass die Männer mich verlassen, bevor ich das tun kann. Wahrscheinlich riechen die das, dass ich sie verlassen will. Vielleicht verströme ich so einen ‘Ich-will-Dich-verlassen-Geruch’, den ich selber nicht riechen kann, und die Männer schnüffeln in der Nacht an mir rum und denken Hoppla!, die hat den ‘Ich-will-Dich-verlassen-Geruch’, Zeit die Koffer zu packen.
Dabei wollte ich den Ulrich noch nicht gleich verlassen, sondern erst in ein paar Tagen oder erst in einem Jahr, weil er so schlimm gar nicht ist, der Ulrich, und ich ihn eigentlich ganz gerne leiden mag. Aber das ist jetzt auch egal, weil er weg ist, und ich wieder eine Leiche am Hals habe, wie das jedesmal ist, wenn einer in der Nacht an mir rumgeschnüffelt hat und dann geht. Das stimmt natürlich nicht so ganz, aber es kommt mir so vor, und macht die Arbeit nicht leichter, wenn man einen Mord aufklären soll, aber den Kopf voll hat mit dem Ulrich und sonst nichts. Vielleicht sollte ich einen förmlichen Antrag stellen, dass keine Leute mehr umgebracht werden dürfen, wenn ein Mann in der Nacht an der Hauptkommissarin Sabine Boley rumgeschnüffelt hat. Noch schöner wäre es natürlich, wenn gar keine Leute mehr umgebracht werden würden, aber dann wäre ich arbeitslos und der Ulrich trotzdem weg.
Im Landhaus auf dem Weiberhof ist ein Professor für Anglistik von der Uni Köln erschlagen worden, wie mir der Kleppinger am Telefon gesagt hat. Ich kenne das Landhaus und den Weiberhof. Der Weiberhof liegt in der Nähe von Mayen und heißt so, weil dort seit Generationen keine Jungs mehr geboren wurden, wofür es keine vernünftige Erklärung gibt. Der Hof wird immer von der Mutter an die Tochter weitergegeben, und inzwischen bewirtschaftet ihn die Maike mit ihrem Mann. Ich bin mit der Maike in Mayen zur Schule gegangen, wir waren früher ziemlich dicke miteinander und sind zusammen den Jungs hinterher gelaufen, als ich noch nicht wusste, dass ich diesen Geruch an mir habe. Damals war ich froh, dass mein Vater und ich in Mayen wohnten und nicht auf einem Bauernhof, aber inzwischen beneide ich die Maike ein bisschen, weil sie einen Mann wie den Roger hat, der sie nie verlassen wird, weil er in der Nacht zu müde ist von der Arbeit, um an ihr rumzuschnüffeln, und die Maike nur ein bisschen nach Kuhstall riecht und nicht wie ich nach ‘Ich-will-Dich-verlassen’.
Seit der Schulzeit bin ich nur noch zweimal auf dem Weiberhof gewesen, das erste Mal, als Maikes Mutter gestorben ist, die ich sehr gemocht habe, weil ich selber keine hatte, und das zweite Mal, als die Maike den Roger geheiratet hat.
Es hat sich nicht viel verändert auf dem Weiberhof, das sehe ich gleich, als ich aus dem Auto steige und ein bisschen so ein sentimentales Heimatgefühl kriege, das mir peinlich ist, aber trotzdem schön, weil ich darüber den Ulrich ein wenig vergessen kann.
Leider steht auch schon der Kleppinger auf dem Hof und kritzelt irgendwas in sein blödes Notizbuch, von dem ich gar nicht wissen will, was es ist, weil der Kleppinger mal einen Profiler-Lehrgang gemacht hat und seitdem glaubt, ein ganz toller Hecht zu sein. Wenn der Kleppinger mich fragt, wie es meinem Ulrich geht, haue ich ihm eine rein. Ich frage den ja auch nicht, wie es seiner Elke geht, weil ich weiß, dass es ihr gut geht, weil es Leuten wie dem Kleppinger und seiner Elke immer gut geht.
‘Tag Chefin, wie geht’s dem Ulrich?’ fragt der Kleppinger.
‘Gut’, sage ich und haue ihm keine rein, weil er ja nichts dafür kann, dass es ihm und seiner Elke gut geht, und der Ulrich ein Schwein ist.
‘Professor Harms ist wahrscheinlich mit diesem Aschenbecher aus seinem Arbeitszimmer erschlagen worden’, sagt der Kleppinger, hält mir eine Tüte mit einem blutverschmierten Aschenbecher unter die Nase, blättert in seinen Notizen und zeigt zu dem Landhaus rüber, wo die Leute von der Spurensicherung in ihren weißen Schutzanzügen rein- und rausgehen. ‘Der Tod ist zwischen 20 und 21 Uhr eingetreten, sagt der Doc.’
Ich will mit ihm rübergehen, aber als wir am Schweinestall vorbeikommen, steht die Tür offen, und ich gucke rein, sehe die süßen Schweinchen und denke, lauter kleine Ulrichs. Und dann sehe ich die Maike, und sie sieht mich, und wir umarmen uns gleich, obwohl wir uns lange nicht gesehen haben, und ich sonst immer Hemmungen habe, jemanden gleich zu umarmen, den ich lange nicht gesehen habe, aber nicht bei der Maike, weil ich nicht will, dass sie glaubt, ich würde das nicht machen, weil sie ein bisschen nach Schwein riecht.
Der Kleppinger guckt etwas verdattert, weil er nicht wusste, dass die Maike und ich uns kennen, und weil er denkt, dass solche Treffen zwischen Freundinnen, die sich lange nicht gesehen haben, viel einfacher sind als zwischen Männern, die erst mal einen heben müssen, um ihre Verlegenheit wegzuspülen. Dabei ist so ein Treffen zwischen Freundinnen viel schwieriger, als er denkt, weil die Verlegenheit genauso da ist und sich das mit dem Heben und Wegspülen bei Frauen noch nicht so durchgesetzt hat, obwohl ich sehr dafür wäre.
Die Maike erzählt, dass der Professor Harms das Landhaus immer nur am Wochenende bewohnt und manchmal Besuch von einer Frau bekommen hätte, die sie aber nicht richtig beschreiben kann, weil sie immer nur abends kam.
‘Die Frau war auch am Tatabend im Haus’, sagt der Kleppinger ungeduldig, weil er nicht verstehen kann, warum ich mir das alles erzählen lasse, obwohl das alles längst in seinem schlauen Notizbuch steht. Wer diese geheimnisvolle Frau ist, die dem Professor Harms mit einem Aschenbecher den Schädel eingeschlagen hat, steht allerdings nicht in seinem Notizbuch. Und dass der Ulrich froh sein kann, dass ich keine Aschenbecher mehr in der Wohnung habe, seit mir ein Buch eingeredet hat, dass ich zu den Gewinnern im Leben gehöre, wenn ich das Rauchen aufhöre, steht da auch nicht drin.
‘Professor Harms wollte eigentlich in die USA fliegen’, sagt der Kleppinger und macht ein bedeutungsvolles Gesicht. ‘Aber da hat ihm seine unbekannte Freundin einen Strich durch die Rechnung gemacht.’
Ich gucke die Maike an, und sie zuckt mit den Schultern. Von einer USA-Reise des Professors hat sie nichts gewusst.
‘USA - das hat Harms in die 20-Uhr-Spalte von seinem Terminkalender geschrieben’, sagt Kleppinger und grinst, weil er sich schlauer fühlt als seine Chefin, das kleine Dummchen, an dem in der Nacht immer rumgeschnüffelt wird.
In Maikes Küche wartet ein Kollege des Toten. Gregor Salz-Aibel war mit Harms im Landhaus verabredet und hat ihn am Morgen tot aufgefunden. Jetzt hat er seine zwei Meter auf Maikes Küchenstuhl gegossen und telefoniert über sein Handy mit einem Uli, und ich stelle mir vor, dass das mein Ulrich ist, der seit Monaten ein Verhältnis mit diesem Anglistik-Riesen hat, was ich nie vermutet hätte, weil mein Ulrich gar nicht schwul ist, obwohl er natürlich schon schwul sein könnte, und ich das nur nicht weiß, weil ich es nie bemerkt habe, obwohl ich es hätte bemerken müssen, aber zu blöde dafür war.
Aber dann fällt mir ein, wie ich neulich im Radio ein Interview mit Wolfgang Joop über die androgyne Gesellschaft gehört habe, als der Joop von den männlichen und weiblichen Bärten gesprochen hat, und ich lange darüber nachgedacht habe, dass das ganz richtig ist mit den Bärten, weil manche Frauen wirklich viel mehr Bart haben als manche Männer, bis ich kapiert habe, dass der Joop gar nicht von Bärten gesprochen hat, sondern von Werten. Doch jetzt denke ich, dass das mit der androgynen Gesellschaft gar nicht so falsch ist, weil nicht jeder Uli ein Ulrich sein muss, sondern auch eine Ulrike sein kann, und ich frage den Salz-Aibel, ob er mit seiner Frau telefoniert und ob die zufälligerweise Ulrike heißt.
Der Anglistik-Riese nickt und holt ein Foto von ihr aus seiner Brieftasche. Ich zeige es der Maike, und sie nickt und sagt ‘Ja, das ist die Frau.’
‘Reise in die USA’, grinse ich den Kleppinger an, so gut ich kann. ‘Ulrike Salz-Aibel! In die wollte er reisen! Ein Rendezvous mit seiner Mörderin!’
Der Anglistik-Riese wird plötzlich ganz bleich. Und der Kleppinger auch, weil er kapiert, dass ich seinen ‘Ich-will-besser-sein-als-die-Chefin’-Geruch riechen kann.
‘Woher haben Sie das gewusst, Chefin?’
‘Weibliche Intuition’, sage ich, weil das besser klingt, als zu sagen, dass ich das weiß, weil der Ulrich mich verlassen hat, und weil der Joop im Radio nicht von weiblichen und männlichen Bärten gesprochen hat, sondern von Werten. Das würde der Kleppinger eh nicht verstehen, und daran dass die Salz-Aibel ihren Liebhaber erschlagen hat, würde es auch nichts ändern.
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