Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Oktober 2001
Händewaschen
von René Wolf

Er wusch sich die Hände. Blutreste unter den Nägeln, die er längst hätte schneiden sollen, es aber immer wieder verschoben hatte, gerade, weil seine Frau so sehr auf sein Äußeres achtete. "Dann schneide Du sie mir doch" hatte er ihr gesagt und ihr gleichzeitig den nackten Rücken zerkratzt, in dem Moment, als sie zum Orgasmus kam.
Den Pullover hatte er auf den Boden geworfen. "In den Müll oder in die Wäsche?" fragte er laut sein Spiegelbild und erschrak.
Als wären es die Masern, eine schlimme Form von Akne oder die Spuren der mißglückten Öffnung einer Ketchup-Flasche- sein Gesicht war gesprenkelt von vielen kleinen roten Punkten. Dann lachte er. In seinem Kopf das Bild des Chefs, und das der Kollegen von der Anstaltsleitung, ihre Kommentare: "Na, wohl allergisch gegen Knastluft..." oder "Warst du wieder im Damen-Flügel? Syphillis soll ja im Endstadium auch die Fresse verunstalten..."
Wer weiß, wo er noch diese Flecke hatte? Er zog sich aus und zog den Duschvorhang zur Seite...

"Das Huhn schmeckt diesmal wirklich besser als das beim Imbiss." Greta lächelte. Er lächelte auch. "Ein größeres Kompliment bekomme ich nicht von ihr. Bestimmt will sie mich später ins Bett ziehen", dachte er. "Ich bin froh, dass du's fertiggebracht hast. Vielleicht muß ich dich das nächste Mal nicht erst dazu überreden." ("mein Gott, hab'ich einen Hunger- nach dieser Frau..." Er verschluckte sich, hustete.) "Wenn du mit deinen schrecklichen Nägeln meinen Rücken bearbeitest, hast du kein schlechtes Gewissen. Aber ein Huhn zu schlachten, geht über deine Nerven. Übrigens: du hast da einen komischen roten Fleck auf deiner Wange." Er sprang vom Tisch, stürzte ins Bad. Wirklich! Da war noch was.

"Rainer!!!!!!!!" Er ließ das Wasser laufen und stolperte in das Esszimmer. Greta lag auf dem Teppich, auf dem Stoff ihres weißen Kleides mit dem Kirschblütenmuster dehnte sich ein tiefroter Teich- "Teich, ein Teich!", dachte er und Bilder vom letzten Urlaub mit ihrem gemütlichen Picknick an dem von gelben und purpurnen Blättern bedeckten Angelteich tauchten in ihm auf. Er spürte, dass es zu spät war.

"Herr Kollege, wer könnte ein Interesse daran haben, Ihre Frau zu ermorden?"
Der Beamte stellte die Frage nüchtern, beinahe gelangweilt.
Rainer rieb seine Hände, massierte sie, fühlte den Schweiß zwischen den Handflächen.
"Ich, ich... ich denke...ich weiß nicht....also... nein- ich kann jetzt nicht denken."
"Es gibt überhaupt keine Anhaltspunkte. Ein Loch in der Fensterscheibe,der Schuß wurde vom Nachbargrundstück abgegeben, 8mm, Schalldämpfer wahrscheinlich, sonst hätten Sie ja etwas gehört. Ansonsten keine Spuren. Was, sagten sie, haben Sie zum Tatzeitpunkt getan?"
"Mir das Blut aus dem Gesicht gewaschen." "Von dem Huhn. Das Sie geschlachtet haben?"
"Natürlich. Von diesem Huhn. Was denken Sie?"

"Es war eine lange Zeit. Du wachst jeden Morgen auf und weißt, die ganze Scheiße wird so weitergehen. Du kannst nichts machen. Er wird dich wieder schlagen, er wird dir die Sehnen deiner Seele einzeln aus dem Gehirn ziehen, er wird dich angrinsen und wieder den selben Satz sagen, den er seit Monaten sagt: "Sie haben dich verurteilt, aber sie sind zu schwach-mein Urteil wird gerecht sein." Und dann tritt er dir in die Eier, schmeisst dir den Kopf gegen die Wand, du spürst seinen Schuh in deiner Kniekehle, und du weißt: das macht er morgen wieder......" Pieieieieieieieiep. Aus. Der Schlußton des Anrufbeantworters erlöste Rainer von diesem Albtraum. Um aus dem Traum die Wirklichkeit der Erinnerung zu machen.
Frank. Verurteilt wegen Einbruchs in eine Gartenlaube. 3 Monate Jugendhaft. Rainer war damals 22, Frank 17. Rainer hatte die Tür hinter Frank geschlossen, die Zellentür, und damit die Tür zu Franks Jugend. Rainer hatte nicht nur eine Tür geschlossen, er hatte in diesen Monaten auch eine Tür geöffnet. Frank hätte sonst vielleicht nie seinen eigenen, dunklen Seelenraum betreten.

"Frank M., Sie sind vorbestraft?" "Ja- aber nur Jugendhaft." "Sie sind also vorbestraft. Die mildernden Umstände können demnach nur begrenzt geltend gemacht werden."

Rainer hörte die Worte des Richters. Es sah gut aus, sehr gut. Und sehr schlecht für Frank.
Rainer erwartete das Gefühl des Triumphes, dieses warme Kribbeln, das er hatte, als er vor wenigen Jahren in das Büro des Anstaltleiters gerufen wurde und ihn dieser mit einem breiten, wohlmeinenden Lächeln begrüßt hatte. Dann war er befördert worden.
Das Gefühl kam nicht. Dafür spürte er, wie seine Hände wieder feucht wurden. "Ich bin nervös", dachte er, "warum?" Jemand hatte seine Frau erschossen, zufällig, weil er dachte, Rainer sei es, der da vom Tisch aufstand und ein so ideales Ziel bot. Dieser Jemand war ein Mörder. Solche Typen würden nicht lange leben, wenn es nach Rainer ginge.
Doch dann kamen wieder die Bilder: Rainer über dem Häftling, der offene Mund, der Schrei, stumm schon und ohne Klage, ohne Wut; nur lautloser Schmerz, begleitet von der Frage: Warum? Warum das jetzt noch? Reichen nicht drei Monate ohne Freunde, ohne Licht, nur mit Angst vor dir?
Kurz nach der Entlassung von Frank lernte Rainer Greta kennen. Sie hatte ihn in einer Kneipe angesprochen: "Bist du ein Mann?" Rainer sagte:"Klar." Greta grinste. "Das werden wir sehen." Es war immer wieder erregend, was sie mit ihm machte. Rainer konnte von ihr lernen. Sie schlug ihn. Nicht so hart, wie Rainer seine Häftlinge schlug. Aber überraschend, bei einem Kuß oder wenn er in ihr war. Dann lachte sie. Das hatte ihn nicht einmal wütend gemacht. Er mochte es. "Komisch, dass mir das gerade jetzt einfällt", dachte er.

"...beschließt das Gericht: Der Angeklagte wird wegen Mordes zu 12 Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt."

Rainer verließ den Gerichtssaal. Er ging zur Toilette und wusch sich die Hände. Er sah nicht in den Spiegel.

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