Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
"Kennt ihr den eigentlich schon?," fragte Holzmann.
"Also, wenn diese Frau noch mal auf mich zukommt, dann hau ich ab." Udo blickte aengstlich in die Richtung, aus der seine Tanzpartnerin das letzte Mal aufgetaucht war.
"Oma war zum ersten Mal auf St. Pauli und machte sich daran, durch die Absperrung in die Herbertstrasse zu gehen." Holzmann beugte sich etwas vor. "Ploetzlich tauchte ein Polizist auf.
'Also Oma,' sagte der, 'da koennen Sie doch nicht rein, da sind lauter Prostituierte drin.'
'Na,'meinte Oma, 'wenn das man keine Nutten sind.'"
"Na, wenn das man keine Nutten sind." Anna deutete mit dem Kopf auf zwei Frauen, die sich an einem Nebentisch niedergelassen hatten. Eine von ihnen stand auf, kam auf ihren Tisch zu und forderte Holzmann auf.
"Donnerwetter, hat die ein paar Augen." Schneider folgte ihr mit den Blicken. Die Frau hatte eine Bombenfigur. Ihre fuelligen Formen waren in ein enges Kleid gepresst. Er sah, wie sie sich an Holzmann schmiegte und ihre Arme um seinen Nacken legte.
"Komm, Heinrich, wir tanzen mal."
Anna zog Schneider aus dem Sessel und zur Tanzflaeche.
"Es tut mir leid, dass ich ausgerastet bin." Anna versuchte sich seinen exotischen Tanzschritten anzugleichen, "aber zu Haus, bei meinem Winfried kann ich es nicht. Er ist so sensibel."
"Und wir sind es nicht, was Anna?" Schneider lachte. "Ist schon gut. Irgendwo muessen wir Dampf ablassen. Ist ja auch meine Schuld. Ich haette deinen strammen Hintern nicht gegen die Musikbox donnern sollen. Angefangen habe ich damit."
"Was heisst strammer Hintern?"
Anna umfasste mit beiden Haenden Schneiders Hinterbacken. "Deiner ist auch nicht ohne."
"Aeh, lassen wir das lieber, Anna. Du weisst, so etwas fuehrt zu Emotionen und Sentimentalitaeten, und das koennen wir uns nicht erlauben. Es vernebelt die Sinne, fuehrt zu unkontrollierten Aktionen
und zerstoert unsere Professionalitaet. Halt dich lieber an deinen Winfried."
"Hast Recht, Heinrich." Anna gab ihm noch einen Klaps auf den Hintern, dann war der Tanz zu Ende.
Holzmann liess sich in den Sessel fallen und blickte stumm zum Nachbartisch hinueber. Udo kam aus der Toilette zurueck, auf die er gefluechtet war.
"Was ist denn los, Gerd. Du sagst ja gar nichts."
Holzmann seufzte. "Was fuer eine Frau. Seht mal, wie die aussieht. Ein Wahnsinnsfeger. Und nett ist sie. Man kann sich gut mit ihr unterhalten. Sie heisst Elli und arbeitet auf St. Pauli, hat sie mir erzaehlt, und zwar in der Lifeshow im Tabarin auf der Grossen Freiheit. In einer Stunde fangen sie an. Sie fragte mich, ob ich nicht mit ihr auf die Buehne kommen wolle. Was meint ihr dazu? Ihr bekommt auch freien Eintritt."
"Bist du wahnsinnig? Gerd, stell dir mal vor, du wirst dabei fotografiert und Udo zeigt mir am naechsten Tag das Foto in der Bildzeitung mit der Ueberschrift 'Kriminalinspektor Holzmann von der Mordkommission im koerperlichen Einsatz auf St. Pauli'. Nee, nee, Gerd. Das schmink dir man ab."
"Was machen wir jetzt?" fragte Udo. "Ich habe keine Lust, bei jedem Tanz auszureissen. Gibt es denn keine Disco in der Naehe?"
"Weiss ich nicht." Schneider blickte in die Runde. "Wie sieht es aus, wollen wir los? Was meint ihr mit Bayrisch Zell? Da ist Tanz und wir koennen ausserdem was essen."
"Gute Idee," Udo rutschte nervoes auf seinem Sessel herum und sprang auf, als er sah, dass schon wieder einige Frauen im Anmarsch waren. "Schnell weg hier. Da kommen sie schon wieder."
Das Bayrisch Zell empfing sie mit Bierdunst und Zigarettenqualm. Eine Band stand in Glitzeranzuegen auf der oberen Buehne und spielte einen flotten Schlager. Dicke Kellnerinnen rannten mit ihren Bierkruegen an den Tischen vorbei, an denen ein wild gemischtes Publikum sass. Die Tanzflaeche war brechend voll. Sie nahmen Platz und bestellten sich ihre halben Liter und Schweinshaxen mit Sauerkraut.
"Nicht gerade vom Feinsten," meinte Udo. "Aber mir ist, als sei ich gerade aus einem Kino gekommen, wo ich mir einen Horrorfilm angesehen habe. Dagegen ist das hier reine Entspannung."
"Und mir ist so, als habe man mir den Einlass in ein Pornokino verwehrt. Da kannste mal sehen, wie unterschiedlich unsere Eindruecke sind." Holzmann sah ungluecklich drein.
Die Band hatte aufgehoert zu spielen und zog ab, waehrend sich auf der unteren Buehne eine Bayernkapelle aufbaute.
"Mann, das geht ja schnell," staunte Schneider, als die staemmige Kellnerin mit den Bieren aufkreuzte. "Prost Leute."
Einige Minuten spaeter machten sie sich ueber die Schweinshaxen her.
"Umta umta umtaratatata." Die Bayernkapelle legte sich ins Blech.
"Das ist ein Marsch, Anna. Komm, den tanzen wir."
Schneider mochte Maersche. Sie waren so einfach. Man ging einfach drauflos und benutzte die Partnerin als Prellbock. Die Menge zerteilte sich dann von selbst.
"Nun bist du dran, Heinrich," meinte Anna und schob Schneider vor sich her. Jetzt bekam er die Knueffe ab. Empoerte Gesichter ringsherum.
"So geht das ja nun auch nicht! Tanzen Sie doch mal vernuenftig, wie sich das gehoert! Wo kommen wir denn hin, wenn das jeder machen wuerde!"
Anna und Schneider liessen sich nicht stoeren. Wie Moses das Meer zerteilte, so wichen die Taenzer ihnen aus, wenn sie ihre Bahn zogen. Ein paar Albaner hatten nicht aufgepasst und einer fiel auf die Tanzflaeche. Wuetend sprang er auf und zog ein Messer. Schneider gab ihm einen Tritt in den Bauch, und der Mann flog ueber die Balustrade mitten auf einen Tisch - Karaffen und Glaeser stuerzten um, deren Inhalt ergoss sich auf die Gaeste -waehrend sich dessen Landsleute auf die Tanzflaeche stuerzten, auf Anna und Schneider zurannten. Holzmann nahm sich einen Stuhl und riss ihn auseinander. Er drueckte Udo ein Stuhlbein in die Hand und nahm das andere. Gemeinsam hechteten sie in die Tanzenden hinein und liessen die Stuhlbeine auf die Koepfe der Albaner niedersausen. Blut tropfte aufs Parkett. Die Kapelle legte sich ins Zeug. Die Albaner lagen auf dem Boden und das Publikum tanzte schaudernd um sie herum.
"Alles klar?" fragte Schneider und sah sich um. Sie grinsten sich an. Es war doch noch ein schoener Abend geworden.
"Besser, wir gehen jetzt, bevor die Polizei kommt," meinte Anna. Lachend verliessen sie das Lokal.
"Leute, ich schlage vor, wir fahren mit der Taxe nach Hause und lassen die Wagen stehen. Wir koennen uns keine Punkte in der Flensburger Datei leisten, und," Schneider lachte wieder, "schliesslich sind wir ausgebildet, besonnen zu handeln."
"Wer hat denn gesagt, dass wir jemals etwas anderes machen wuerden?," rief Holzmann. Froehlich plaudernd gingen sie zum Taxistand.
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