Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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November 2001
Eine wichtige Einladung
von Ingeborg Restat

Fast eine Anekdote

"Wir sind eingeladen!", rief Boris Wellner seiner Frau zu, als er von der Arbeit nach Hause kam, seine Aktentasche mit einem Schwung auf die Garderobe warf und seinen Mantel anhängte.
"Wo?", fragte Irene zurück, schob die Pfanne mit dem Schnitzel auf den heißen Herd, wischte sich mit dem Ärmel ihres schmuddeligen Pullis über das erhitzte Gesicht und die strähnigen Haare aus der Stirn.
"Beim obersten Chef zu einem geselligen Abend im Kreis von Geschäftsleuten, die
für die Firma wichtig sind." Erwartungsvoll sah Boris sie an.
"Das hat er doch noch nie gemacht", wunderte sie sich.
"Ja, begreifst du denn nicht, was das bedeutet? Der Posten von der Verkaufsleitung wird demnächst frei. Er will uns bestimmt testen, ob wir uns in so einem Kreis repräsentativ bewegen können."
"Du meinst, du kämst dafür in Frage?"
"Warum sonst sollte er mich einladen?"
"Und was soll ich dabei?"
"Eben, das will er wissen, ob auch du neben mir bestehen kannst. Wir werden dann oft gemeinsam mit Kunden zu tun haben, da kommt es auch auf die Frau an." Boris setzte sich an den zum Abendbrot gedeckten Küchentisch. "Ein bisschen begeisterter könntest du schon sein. Schließlich bedeutet das einen Erfolg für mich. Lange genug habe ich auf so eine Gelegenheit gewartet." Er war leicht enttäuscht.
Irene schwieg, widmete sich ganz dem Zubereiten der Mahlzeit.
Er musterte sie kritisch "Hast du wieder zugenommen?"
"Wie kommst du jetzt darauf?" Beleidigt schob sie ihm heftig das Schnitzel aus der Pfanne auf den Teller. "Was starrst du mich überhaupt so an?"
"Du wirst ein bisschen mehr auf dich achten müssen. Wie du heute aussiehst, das geht dann nicht mehr. Man kann ja nur froh sein, wenn jetzt niemand überraschend zu uns kommt", bemängelte er.
Mit einem Knall setzte Irene die Pfanne zurück auf den Herd und stemmte die Hände in die Hüften. "Soll ich mein Sonntagskleid anziehen, wenn ich den Keller aufräume? Dreckarbeit überlässt du mir doch gern. Also verlange nicht, dass ich danach noch aussehe, als käme ich aus einem Schönheitssalon", fuhr sie ihn an.
"Ach so! Ich meinte ja nur", beschwichtigte er. "Aber es kommt wirklich auf dich an. Der Hansen mit seiner Frau ist auch eingeladen, er käme auch für die Stelle in Frage. Du weißt, Frau Hansen ist eine attraktive Person, die viel Wert auf ihr Äußeres legt."
"Und im Kopf hat sie Stroh!" Irene war verärgert.

Aber in den nächsten Tagen freute sie sich doch auf diesen geselligen Abend. Wenn sie von ihrer Halbtagsbeschäftigung aus dem Büro kam, begann sie ihre Kleidung durchzusehen und zu überlegen, was sie für das Treffen davon auswählen sollte. Das wäre doch gelacht, wenn sie es mit dieser eingebildeten Frau Hansen nicht aufnehmen könnte. Boris wird sich wundern.
Doch je näher der Termin kam, desto mehr ging ihr Boris auf die Nerven. "Denke daran, halte das weiße Hemd mit den seidigen Streifen zu dem Tag für mich in Ordnung und bringe die silberne Krawatte in die Reinigung – und ach ja, die Kukident-Tabletten gehen zu Ende, vergiss nicht neue zu besorgen. Wäre peinlich, wenn ich ausgerechnet an dem Tag nicht meine Zahnprothese säubern könnte", trug er ihr auf.
"Ja, ja, keine Sorge, das mache ich alles!" Irene wurde schon ungeduldig.
Aber als es nur noch wenige Tage bis zu der Einladung waren, da brauchte sie noch sehr viel Geduld, da dachte er nicht mehr über sich nach, sondern er interessierte sich nur noch für sie. "Was ziehst du an? – Was denn, das Rote? Ist ja viel zu auffällig. Was Diskretes muss es sein; nimm das kleine Schwarze." Noch hängte Irene, ohne zu murren, das Rote zurück in den Schrank und nahm das Schwarze heraus. Aber dann ging es weiter: "Geh vorher zum Frisör und lass dir die Haare nicht zu kurz schneiden, dass steht dir nicht."
"Hör mal, das solltest du wirklich mir überlassen!", erwiderte sie da schon leicht empört.
Ganz schlimm wurde es, als sie sich an dem Abend zu dem Treffen anzog. Er passte genau auf, wie sie sich zurechtmachte. "Schmink dich nicht so auffällig!", ermahnte er sie, als er zu ihr ins Bad kam, um seine Zahnprothese zum Reinigen ins Glas zu legen.
Sie schüttelte den Kopf. "Sonst noch was?", fragte sie ärgerlich. Grinste ihn dann aber an, als sie ihn da so ohne Zähne mit hochgeklapptem Unterkiefer vor sich stehen sah, ihn, den doch noch jungen Mann in den besten Jahren.
"Na ja, ich bin eben sehr nervös. Es hängt so viel von dem Eindruck ab, den besonders du heute Abend machst", murmelte er, ohne seine Zähne schwer verständlich.
Kaum hatte sie das Bad verlassen, da ging es weiter:"Behäng dich nicht zu sehr mit Schmuck! – Nimm nicht allzu hochhackige Pumps! – Sprüh dich nicht mit dem zu süßlichen Parfum ein!" Und dann gab es auch noch Verhaltensregeln: "Halte dich mit dem Reden zurück, sei aber nicht schweigsam! – Fuchtel beim Essen nicht mit Messer und Gabel in der Luft herum! – Fall den andern nicht immer ins Wort; aber antworte, wenn du gefragt wirst!" So redete er auf sie ein.
Langsam wurde sie ganz kribbelig. "Was soll das? Hast du Angst, ich werde dich blamieren?", fragte sie gereizt.
Fast hätten sie sich noch gezankt, ehe sie abfuhren, als er sie noch einmal kritisch musterte und glaubte, ein Haar vom Kragen ihres Mantels abnehmen zu müssen. "Lass das!", zuckte sie zurück und stieg ins Auto.
Verstimmt fuhren sie los; schweigend saßen sie nebeneinander. Sie waren schon fast bei dem Chef angekommen, da überholte sie ein Auto. Der Hansen mit seiner Frau saßen darin, und beide winkten ihnen freundlich zu.
"Der hat es wieder nötig! Glaubt, er habe bessere Chancen als ich , wenn er vor mir ankommt", grunzte Boris verärgert und gab Gas.
Irritiert sah Irene ihn an. "Warum sprichst du so komisch? Du nuschelst ja." Sie neigte sich vor, um ihn anzusehen.
Da trat er spontan auf die Bremse und schlug sich erschrocken auf den Mund. Irene stieß heftig mit der Stirn gegen die Windschutzscheibe. Ein Auto hinter ihm fuhr beinahe auf, überholte dann und blieb einen Moment auf gleicher Höhe mit ihnen. Der Fahrer drohte ihm.
"Ja, ja, nun fahr schon weiter!", nuschelte Boris ungeduldig. Kaum war das Auto vorübergefahren, riss er das Lenkrad herum, wendete mit quietschenden Reifen und raste die Straße zurück, ohne auf die Geschwindigkeit zu achten.
"Du riskierst deinen Führerschein! Was ist denn los?" Irene war fassungslos und hielt sich am Sitz fest.
"Red' nicht so viel! Wir müssen uns beeilen. Jetzt kommen wir sowieso zu spät", nuschelte er.
Da neigte sie sich erneut vor, sah ihn aufmerksam an. Dann ließ sie sich zurückfallen und lachte, lachte: "Deine Zähne liegen noch im Glas! Du hast deine Zähne vergessen."
Unwillig grunzte er. Aber er warf ihr schon einen unsicheren Blick von der Seite her zu und hatte selbst Mühe, nicht in ihr Lachen einzufallen.
"Und du hast so aufgepasst, dass ich auch alles richtig mache,", triumphierte sie, "und dann vergisst du deine Zähne!"
Er grinste schon, hütete sich aber, den Mund aufzumachen und mitzulachen.
"Nein, wie peinlich! ‚Guten Abend, gnädige Frau', begrüßt du die Gastgeberin, lachst sie an – und ohne Zähne. Wenn ich mir das vorstelle ... Da wäre wohl so manchem vor Staunen sein Gebiss herausgefallen, dass du, ein noch relativ junger Mann schon keine Zähne mehr hast. Denn, wer weiß das schon? Schade, das wäre sicher urkomisch gewesen." Irene liefen schon die Lachtränen aus den Augen.
Jetzt prustete auch Boris schon verhalten mit krampfhaft geschlossenem Mund vor sich hin. Wahrlich, das wäre schon eine komische Situation gewesen – nur für ihn verdammt peinlich.
Zu Hause angekommen, jagte er die Treppe hoch, kam zurück mit der Zahnprothese im Mund und nun konnte auch er frei heraus lachen. "Dass mir das passieren konnte! Ich würde so etwas nicht glauben, wenn es mir einer erzählt hätte."
"Lass nur, jetzt wird das bestimmt ein gelungener Abend. Nun kann nichts mehr schief gehen. Jetzt wirst du nicht mehr so verkrampft sein. Das war ja mit dir nicht mehr auszuhalten!", stellte Irene erleichtert fest.
Sie lachten noch, als sie bei dem Chef - wenn auch verspätet - ankamen. Ja, so oft sie sich ansahen an diesem Abend, hatten sie Mühe nicht loszulachen. Irene fühlte sich wohl, sie bewegte sich natürlich und ungezwungen. Bald konnte sie mehr Aufmerksamkeit genießen, als es die wieder erstklassig zurechtgemachte Frau Hansen erhielt. Locker und frei lachte sie, wenn es sich ergab. "Sie haben eine amüsante Frau, Herr Wellner", hörte sie den Chef zu Boris sagen. Na, wenn er nicht die Stellung bekäme, dann würde sie gar nichts mehr verstehen. Und eigentlich hatten sie das nur den Zähnen im Glas zu verdanken, denn wer weiß, wenn sie ohne Lachen, so verkrampft hier angekommen wären, wie der Chef dann entschieden hätte.

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