"Nein, und nochmals nein!" Erbost hieb die Hexe Befana ihren Besen auf den Konferenztisch. "Ich bin jetzt fast zweitausend Jahre im Geschäft. Aber soviel Scheinheiligkeit ist mir noch nicht untergekommen."
"Aber Befana, es war doch nur ein Vorschlag, künftig auch ins Ausland zu gehen", versuchte das Christkind sie zu beschwichtigen. "Und es muss doch auch in deinem Interesse sein, dir neue Absatzmärkte zu erschließen."
"Hah! Jetzt, nachdem ihr mir den einheimischen Markt kaputt gemacht habt, kommt ihr damit! Unzählige Generationen von italienischen Kindern waren glücklich und zufrieden mit den Geschenken, die ich ihnen am 6. Januar brachte."
"Wenn sie jetzt nicht mehr damit zufrieden sind, solltest du schleunigst überlegen, welche Innovationen du implementieren müsstest, um die Nachfrage zu stimulieren," warf Nikolaus ein.
"Das brauche ich nicht zu überlegen", giftete Befana ihn an. "meine Geschenke sind so gut wie eh und je; solide Trentiner Handwerksarbeit. Aber ihr, ihr habt die Kinder unersättlich gemacht; erst das Christkind mit immer bombastischeren Weihnachtsgeschenken! In den letzten Jahrhunderten heizt du zusätzlich den Konsumrausch an, indem du schon einen Monat vor mir mit der Schenkerei anfängst. Und seit einigen Jahrzehnten drängt sich auch noch Lucia dazwischen, statt in ihrem Schweden zu bleiben, wo sie hingehört."
"Ach Befana, wie gerne würde ich mich auf den schwedischen Markt beschränken. Hier gibt es ja nicht einmal überall Schnee."
"Und hell ist es in Italien auch im Winter", trumpfte Befana auf. "In Wirklichkeit braucht kein Mensch hier deine Lichter. – Konsumterror – nichts als Konsumterror."
Lucia brach in Tränen aus: "Was soll ich denn machen? In Schweden gibt es inzwischen überall elektrische Beleuchtung, in den Häusern und auf den Straßen. Mein Lichterfest ist nur noch Lokalkolorit für die Touristen. Ich bin immer weniger gefragt."
"Diversifikation," warf Knecht Ruprecht ein. "Das wäre die richtige Strategie gewesen. Aber nun hast du in der Hinsicht den Anschluss verpasst."
"Ja, du Oberstratege!" Jetzt wurde auch Lucia zornig. "Du und Nikolaus, ihr habt euch Rentiere und einen Schlitten geleast und unter dem Deckmantel der Völkerverständigung eure Weihnachtsmann-Ideologie überall unter den Kindern verbreitet."
"Immer mit der Ruhe, Leute." Das Christkind seufzte vernehmlich. "Mit dieser Streiterei kommen wir nicht weiter. Lasst uns zu den Fakten zurückkehren."
"Jawoll," rief Nikolaus. "Und Fakt ist, dass im Zuge der allgemeinen Globalisierung auch eine kulturenübergreifende Nachfrage nach Weihnachten entstanden ist. Mit den hergebrachten Formen der Arbeitsorganisation können wir diese Nachfrage nicht mehr bewältigen."
"Und wir begrüßen es außerordentlich", ergänzte das ChrÃstkind, "dass nunmehr endlich die Kinder aller Religionen an das Christkind glauben. Darum müssen wir strategisch geschickt vorgehen, um diesen Glauben nicht zu enttäuschen."
"Na, du hast doch eine ganze Armee Weihnachtsengel", maulte Befana, "sollen sie eben künftig Geschenke schleppen und nicht bloß ‚Halleluja' singen."
"Wenn Ihr eure Arbeit nicht mehr bewältigen könnt, dann überlasst uns künftig wieder unsere heimischen Märkte", schlug Lucia vor. "Ich würde dann beim Chef ein gutes Wort für euch einlegen, damit ihr zusätzlich zu den Rentieren für den Transport noch ein paar Elche kriegen könnt."
"Elche? Was will ich mit Elchen", protestierte Ruprecht. "Rentiere sind unser Markenzeichen."
"Phh." Befana lachte geringschätzig. "Da redest du von Diversikation und willst nicht einmal deinen eigenen Fuhrpark diservizieren. - Jesus, was für ein Wort! – Wahrscheinlich weißt du gar nicht, was das ist!"
"Di-ver-si-fi-ka-ti-on heißt das," sagte Ruprecht.
"Scheinheilig seid ihr, ja!", unterbrach ihn Lucia. "Befana hat ganz recht. Erst macht ihr euch überall breit, könnt den Hals nicht voll kriegen. Und jetzt, wo ihr die vielen Aufträge nicht mehr termingerecht abwickeln könnt, wollt ihr uns vor euren Karren spannen." Lucias Lichterkranz begann bedenklich zu schwanken, als sie zornig aufsprang.
Auch Nikolaus sprang auf, donnerte seine Rute auf den Tisch: "Was soll das plötzlich, Lucia? Du hast doch seit ewigen Zeiten von unserer Globalisierungsstrategie profitiert. Dein Kerzengeschäft verzeichnet jeden Winter zweistellige Wachstumsraten."
"Aber ich habe mich immer auf mein Kerzengeschäft beschränkt. Ich habe niemandem die Arbeit weggenommen."
"Gar nicht wahr", fauchte Befana sie an. "Letztes Jahr hast du in Calavino zusammen mit der Freiwilligen Feuerwehr Bonbons und Kekse verteilt. Und geschlampt hast du dabei auch noch: alles glutenhaltige Industrieprodukte. Caterina durfte nichts, nichts davon essen!"
Lucia seufzte: "Ich weiß ja inzwischen, dass ich da Mist gebaut habe. Ich hätte nicht auf Nikolaus hören sollen."
"Ich hatte es gut gemeint", verteidigte sich dieser. "Kann ich wissen, dass du bloß von Kerzen was verstehst und sonst keine Ahnung hast?"
Das Christkind raufte sich die Locken. "So geht das nicht weiter", wiederholte es. "Es ist schon Ende November – wir brauchen schleunigst eine Lösung. Lucia, Befana, bitte! Helft uns!"
"Mehr als bisher kann ich nicht machen," bedauerte Lucia. "Nach dem Reinfall von letztem Jahr habe ich eingesehen, dass ich mich besser aufs Kerngeschäft konzentriere. Ich bleib' bei meinen Lichtern und damit basta!"
"Lichter!", rief Knecht Ruprecht. "Das ist die Lösung. Wir verlängern unseren Aktionszeitraum bis zu Mariä Lichtmess und integrieren unsere eigenen schenkerischen Initiativen in ein zweites Lichterfest Lucias."
"Ähm, tja..." Lucia machte ein skeptisches Gesicht.
"Und in zehn Jahren spannt ihr dann auch noch die Osterhasen ein," höhnte die Hexe. "Ohne mich! – Lucia, lass dich nicht einwickeln!"
Befana schnappte sich ihren Besen, rauschte davon und ließ die anderen Konferenzteilnehmer sprachlos zurück.
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