Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Angelika Brox IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
November 2001
The bright side of life
von Angelika Brox

"Leistungen nach § 32 b Absatz 1 Nr. 1 EstG (z.B. Lohnersatzleistungen) wurden in Höhe von 707 DM in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen (Progressionsvorbehalt)."
Paul schaute das bearbeitete Formular noch einmal durch, dann klappte er den Aktendeckel zu und legte ihn auf den Stapel mit den erledigten Vorgängen.
Feierabend! Er räumte seinen Schreibtisch auf und machte sich auf den Heimweg.

Maria war noch nicht da, war ja klar. Wahrscheinlich turtelte sie wieder mit diesem Karatelehrer rum, diesem Mirco-San.
Alles hatte er für sie getan. Sie war so wunderschön, dass er ihr nichts abschlagen konnte. Das Haus, viel zu teuer für einen kleinen Finanzbeamten, hatte er nur für sie gekauft. Dann den Zweitwagen, obwohl er vor Schulden kaum aus den Augen schauen konnte. Den Karatekurs hatte er ihr bezahlt ... und was machte sie? Nicht mal ein Abendessen konnte sie ihm bereiten!
Als er sie kommen hörte, setzte Paul sich schnell an den Küchentisch, einen anklagenden Ausdruck im Gesicht.
Mit rosigen Wangen und leuchtenden Augen tänzelte Maria herein.
"Wo warst du die ganze Zeit?", fragte Paul vorwurfsvoll.
"Ich war mit Rita einkaufen, Schatz", flötete Maria.
"Und wo sind deine Einkäufe?"
"Rita hat eingekauft, ich bin nur mitgegangen. Du hast doch gesagt, wir müssen sparen."
"Erzähl' mir doch nichts, du warst wieder mit diesem Mirco-San zusammen!"
Marias Wangen wechselten von rosig zu dunkelrot. "Was sollen denn immer diese blöden Verdächtigungen, verdammt noch mal?"
Paul hatte ihren Farbwechsel genau beobachtet. Das war der Beweis ihrer Schuld! Er zerrte sein Handy aus der Hosentasche und schrie: "Ich ruf' diesen Karateheini jetzt an, dann werden wir ja sehen...!"
"Das wirst du nicht tun!" Maria entriss ihm das Telefon und schleuderte es auf den Boden. Das scheppernde Geräusch schmerzte in Pauls Ohren. Er starrte seine Frau mit offenem Mund an. Die stand vor ihm wie eine Kriegerin und brüllte: "Also schön, du Karpfengesicht, wenn du es denn genau wissen willst: Mirco ist eindeutig besser im Bett als du! Ich verlasse dich! Mach' dich auf eine gepfefferte Unterhaltszahlung gefasst!"
Mit diesen Worten schnappte sie ihre Handtasche und den Autoschlüssel und rauschte aus der Küche.
Paul zuckte zusammen, als die Haustür ins Schloss knallte.
"Scheiße, alles Scheiße", flüsterte er, während Tränen über sein Gesicht liefen.
Bleigewichte schienen seinen Körper zu beschweren, als er sich die Kellertreppe hinunterschleppte, um die Wäscheleine zu holen. Anschließend schlich er wie ein geprügelter Hofhund in das nahe gelegene Wäldchen – die idyllische Wohnlage hatte Maria einmal so gut gefallen!
Er wischte sich über die Augen und hielt Ausschau nach einem passenden Baum. Da er in letzter Zeit einiges an Kummerspeck angesetzt hatte, musste es schon einer mit starken Ästen sein. Wenigstens dieses letzte Vorhaben sollte nicht in die Hose gehen.
Als er musternd vor einer Eiche stehen blieb, näherte sich ihm wie aus dem Nichts ein gut aussehender junger Mann mit einem Blütenkranz im schulterlangen Haar.
"Holy shit", dachte Paul erschrocken, "ist das hier etwa ein Tuntentreff? Das hätte mir gerade noch gefehlt!"
Der junge Mann nahm prüfend die Wäscheleine in die Hand, nickte, murmelte "hm-m", schaute Paul in die Augen und fragte: "Hat das noch einen Moment Zeit?"
"Öh – eigentlich ..."
"Ach, komm, die Ewigkeit wird schon warten. Ich möchte dir vorher noch etwas zeigen."
Er führte Paul zu einem hohlen Baum. Sie kletterten durch die Öffnung und stiegen eine Treppe hinunter. Unterwegs erklärte der Jüngling: "Ich bin übrigens ein Elb und heiße Dugpas. Ich lebe hier unten mit vier anderen Elben und fünf Elfen in einer Wohngemeinschaft."
"Elb?"
"Elben sind männliche Elfen."
"Ach so."
Sie betraten ein geräumiges Wohnzimmer, in dem einige Elben und Elfen auf Sofas oder großen Kissen lagerten. Alle trugen Blütenkränze im Haar und waren wunderschön.
Dugpas schob eine Kassette in den Videorekorder, drückte auf "Play" und setzte sich mit Paul auf ein Futonsofa.
Paul schaute auf den Bildschirm.

Er sah sich als Fünfjährigen mit einer Bonbontüte vor dem Haus seiner Eltern stehen. Sein Erzfeind Hartmut riss ihm die Tüte aus der Hand und rannte weg. Der kleine Paul lief heulend zur Mama, um zu petzen. So konnte er nicht mehr sehen, wie Hartmut auf seiner Flucht mit dem widerlichen Kalle zusammenstieß, der ihn umgehend verprügelte und ihm die Bonbons abnahm.

Paul schmunzelte und beugte sich gebannt vor, um keine Sekunde dieser Reality-Show zu verpassen.

Der fünfzehnjährige Paul stand aufgereiht mit seinen Klassenkameraden vor der großen Spiegelwand der Tanzschule und musterte die gegenüber stehende Mädchenreihe. Kaum ertönte das Kommando des Tanzlehrers, schoss Paul auf die Auserwählte zu, um sie aufzufordern. Auf halbem Weg rutschte er auf dem glatten Parkett aus, legte sich lang und schlitterte wenig elegant der Schönen vor die Füße. Das Rennen um die Heißbegehrte machte Erzfeind Hartmut. Für Paul blieb nur die kleine Karin übrig. Es zeigte sich aber, dass Karin toll tanzen konnte und es mit ihr viel zu lachen gab. Paul sah nicht, welch ein gequältes Gesicht Hartmut beim Nahkampf mit der Schönen zur Schau trug. Sie trat ihm alle Nasenlang auf die Füße und sagte Dinge wie: "Upsili, hat der arme Harti jetzt einen Platten?" Außerdem wandte Hartmut ständig so weit wie möglich sein Gesicht ab, als ob sie nicht gut riechen würde.

Paul ließ sich tief in das Futonsofa fallen und lachte schallend. Dann tupfte er sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln und verfolgte gebannt die Fortsetzung seines Lebensfilms.

Der dreißigjährige Paul saß zusammengesunken auf einem Küchenstuhl und ließ sich von seiner ersten Frau herunterputzen. "Du hängst nur am Materiellen!", schimpfte sie. "Immer denkst du nur ans Geld! Du hast schon Dollarzeichen in den Augen wie Dagobert Duck!"
Im nächsten Moment gab sie den Packern Anweisungen, welche Möbel sie aus der gemeinsamen Wohnung ausräumen sollten. Der dreißigjährige Paul hockte starr vor Entsetzen auf seinem Küchenstuhl und beobachtete hilflos den Auszug seiner Gattin und die Plünderung seiner Wohnung.

Paul prustete und warf einen Seitenblick auf Dugpas, der ebenfalls lächelte. "Gut, dass ich die los bin ... danach habe ich Maria kennen gelernt."
Der Elb nickte bedächtig, und beide wandten sich wieder dem Geschehen auf dem Bildschirm zu.

Der fünfunddreißigjährige Paul stritt sich mit Maria. Sie baute sich drohend vor ihm auf und rief: "Ich will ein großes Haus am Waldrand haben. Wenn du mich liebst, dann kaufst du uns eins!"
Der achtunddreißigjährige Paul stritt sich mit Maria. Sie baute sich drohend vor ihm auf und rief: "Ich brauche ein eigenes Auto, wie soll ich denn sonst in die Stadt kommen? Wenn du mir kein Auto kaufst, dann verlasse ich dich!"
Der vierzigjährige Paul stritt sich mit Maria. Sie baute sich drohend vor ihm auf und rief: "Bezahl' mir den Karatekurs, sonst liebe ich dich nicht mehr!"
Der einundvierzigjährige Paul schlich sich in den Keller und kramte nach der Wäscheleine.

Verlegen schielte Paul zu den Elfen und Elben hinüber. Alle lächelten ihn freundlich an. Keiner schien sich über seine Dummheit zu amüsieren.
Er sagte: "Ich dachte immer, mein Leben sei eine einzige Tragödie. Doch in der Rückschau ist es die reinste Slapstick-Comedy."
Dugpas antwortete sanft: "Es kommt einzig und allein darauf an, aus welcher Warte du die Ereignisse betrachtest. Du musst nur versuchen, ÜBER den Dingen zu stehen. Aus der Distanz erkennst du, welche Vorteile dir aus vermeintlichen Schicksalsschlägen erwachsen können. Auch deine heutige Niederlage ist keine Endstation. Es wird weitergehen."

Paul dachte eine Weile nach. Schließlich nickte er und sagte: "Du hast Recht. Was auch geschieht – wer weiß, wofür es gut ist! ... Warum nur konnte ich das bisher nicht so sehen?"
"Weil du im Lauf der Jahre verlernt hast, die Dinge mit Gelassenheit zu betrachten. Jetzt fühlst du dich besser, denn du hast deinen HUMOR wiedergefunden!"

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 8030 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.