Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Dezember 2001
Auf den ersten Blick
von Peter Harnau

An einem Freitagnachmittag im Juni 1984 traf ich dich zum ersten Mal; in einem sauerländischen Dorf, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen.
Blauschwarze Wolken verhießen nichts Gutes, als ich die schmale, von Weißdornhecken gesäumte, Dorfstraße herunter fuhr. Ein wenig abseits stand das schwarzweiße Fachwerkhaus, die grünen Schlagläden waren frisch gestrichen.
***
Wir begegneten uns das erste Mal in der schummrigen Diele des alten Bauernhauses. Als ich dich sah, hattest du mich sofort in deinen Bann gezogen.
"Liebe auf den ersten Blick!"
Mein Besuch galt ursprünglich deiner Schwester; von deiner Existenz wusste ich nicht. Du kamst wohl gerade aus dem Stall; Stroh und Stalldung klebten an deinen Füßen. Dein frischer "Landduft" war nicht unangenehm, nur ungewohnt für mich Stadtmenschen.
Deine haselnussbraunen Augen strahlten mich an. Lange Wimpern umrahmten sie. Fast schwarz schimmerte deine leicht gelockte Haarpracht.
Du sahst mich an, als wolltest du sagen, "Nimm MICH, nimm MICH!".
Deine Begrüßung war von solcher Herzlichkeit, dich musste ich einfach mögen.
Du und deine Schwester buhlten gleichzeitig um meine Aufmerksamkeit.
Wild ging es zu, eine schubste die andere beiseite, aber du warst die Stärkere.
In den nächsten Stunden hatte ich nur noch Augen für dich, deine Schwester war zur Statistin geworden.
Das Wochenende stand vor der Tür. Kurz entschlossen entschied ich mich, dich mit zu mir in die Stadt zu nehmen. Als du das merktest, sprangst du herum, wie von den Flöhen gebissen, und führtest einen lautstarken Freudentanz auf.
***
Unter der großen, alten Kastanie parkte mein Wagen. Dicke Regentropfen des vorüber gezogenen Gewitters tropften von den Blättern und platschten im unregelmäßigen Rhythmus aufs Blech. Die feuchtwarme Luft roch angenehm nach Wiese und Kräutern, nicht zu vergessen der "dezente" Stallduft. Ich wartete im trockenen Auto auf dich, du musstest noch dringend eine Hofrunde absolvieren.
***
Ãœberall zeigte ich dich vor, bei Freunden, Verwandten und Bekannten.
Ich genoss es um dich beneidet zu werden. Tierisch aufregend war's mit dir, das Stadtleben kanntest du nicht.
In deiner jugendlichen Unerfahrenheit schwanktest du zwischen ängstlicher Vorsicht und grenzenloser Neugier. Manchmal wünschte ich mir, du wärst etwas ruhiger. Deine unerschöpfliche Lebensgier beanspruchte mich Tag und Nacht.
***
Du lagst neben mir auf der Couch und ich kraulte deine Locken. Es war Sonntagabend und immer noch grollten Sommergewitter. Ferne Blitze erleuchteten den Himmel. Furcht zeigtest du nicht, rücktest aber auch keinen Millimeter von mir ab.
'Morgen früh bringe ich dich zurück', dachte ich angedenk dieses strapaziösen Wochenendes. In anderthalb Wochen wollte ich in den verdienten Urlaub fahren. Nach Österreich, in die Berge, sollte es gehen. So richtig schön erholen wollte ich mich!
***
Nach einem ziemlich lustlosen Frühstück standen wir vor meiner Haustür. Ein Spatz nahm auf dem Hof sein Morgenbad in einer der Regenpfützen. Die Tasche mit deinen Utensilien lehnte an meinem Bein, ich hielt dich in meinen Armen. Du frorst in der Kühle des Morgens und deine Erpresseraugen schauten traurig, so, als könntest du ahnen was, ich wollte. Bei diesem Anblick gab ich mein Vorhaben auf.
" Komm", sagte ich nur, und wir gingen wieder hinein um zu telefonieren.
Ich fragte in der Urlaubspension nach, ob ich dich mitbringen dürfe. Lachend meinte die Wirtin, sie habe zwar kein größeres Zimmer mehr frei, aber es sei Platz für uns beide.
So gingen wir mittags in die Stadt zum Einkaufen, du brauchtest ja noch so einiges
für den Urlaub. Die Zeit verrann im Eiltempo.
Einerseits freute ich mich auf den Urlaub mit dir, andererseits bangte ich um meine
geliebte Ruhe: Zeitung lesen im Straßencafe, Siesta im Liegestuhl.
***
Alles in allem war es dann doch ein schöner und bewegter Urlaub. Ich fragte mich nur, wie du mit so wenig Schlaf auskamst. Aber ohne dich hätte ich wohl nie den See um fünf Uhr morgens gesehen, während der Dunst gleich einem riesigen Wattebausch das ganze Tal verhüllte. Fast unsichtbar zog ein Schwanenpaar die ersten Spuren in das stille Wasser. Die Enten schliefen noch am Ufer; nur die Vögel begrüßten schon lautstark den herannahenden Tag. Wir lauschten der Natur, nur das Knirschen des Kieses unter unseren Füßen störte die Idylle.
Nachts, wenn alle schon schliefen, drehten wir noch eine Runde durch den Ort.
***
In dem Urlaub gewöhnten wir uns aneinander. Ich war glücklich darüber, mich für dich entschieden zu haben. Die nächsten Jahre flogen an uns vorbei, dein wildes Temperament wurde gemächlicher. Öfter gingst du deine eigenen Wege. In dieser Zeit musste ich dich oft suchen, und ich befürchtete, dich eines Tages zu verlieren. Auch diese Phase ging vorbei und wir wurden ein unzertrennlich. Wir akzeptierten uns; jeder hatte seine Macken und Vorzüge; so wurde es nie langweilig. Wir verstanden uns auch ohne große Worte.
Die Vorliebe zur Natur teilten wir beide, dort spielte sich viel unserer Freizeit ab.
Wind und Wetter störten uns nicht. Manchmal sagte ich dir aber, dass man bei so einem Wetter nicht mal einen Hund vor die Tür schicke.
***
1994, im Februar, veränderte sich mein Leben von einer Sekunde zur anderen.
Wir kamen von einem abendlichen Spaziergang zurück. Vielleicht warst du etwas irritiert; ich hatte mit dir unterwegs eine Auseinandersetzung gehabt. Dabei hatte ich heftig geschimpft mit dir. Jedenfalls liefst du vor mir auf die Strasse. Wie konnte ich das Auto nur übersehen. Das laute Reifenquietschen werde ich nie vergessen. Vor meinen Augen erfasste dich der weiße Golf und schleuderte deinen Körper im hohen Bogen Richtung Gehweg.
Bewegungsunfähig verharrte ich mitten auf der Fahrbahn, starrte nur in die Richtung,
wo du sein musstest. Ein Passant schlug die Hände vors Gesicht. Die junge Fahrerin und ihre Begleiterin sprangen entsetzt aus dem Auto. Meine Knie wurden weich, was war mit dir? Ich konnte dich nicht sehen.
Zwischen parkenden Autos fand ich dich, die Augen weit offen. Leises Wimmern ließ mein Herz bluten. Du starbst in meinen Armen.
Ich habe dich nie vergessen.
***
Dein Bild steht im Flur auf dem Sideboard, dein Halsband und deine Leine liegen daneben.

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