Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Dezember 2001
Unbekanntes Land
von Michael Jordan

Mein Erwachen war unsanft.
Was sich später als eine Ladung Dreck entpuppte, war von der Decke gefallen und in meinem Gesicht gelandet.
Doch erst einmal reagierte ich reflexartig.
Ich rollte mich zur Seite und nahm eine Abwehrhaltung ein.
Mein Herz raste, doch ich brauchte mir nur den feuchten Sand aus dem Gesicht zu wischen.
Ich setzte mich und starrte in die Finsternis. In diesem gesamten Labyrinth aus Stein, Schlamm und der raren Vegetation, war das Licht rar. Das mich umgebende Gestein enthielt Kristalle, die das Licht reflektierten. Wo die Lichtquelle war, wusste ich nicht.
Ich erhob mich, stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte die Stelle an der Decke zu erspähen, von der sich der Dreck gelöst hatte. Vielleicht hatte sich dort durch die hohe Luftfeuchtigkeit Wasser gesammelt, vielleicht hatte ein Tier das Herabfallen ausgelöst. Da ich nichts entdecken konnte beschloss ich, diesen Ort sofort zu verlassen.
Er hatte mir als Versteck gute Dienste geleistet, doch bot er zu wenig Nahrung, um zu verweilen.
Ich begann meinen Marsch durch einen langen, gewundenen Gang.
Oftmals entpuppten sich einige der Ausläufer des Tunnelsystems als Sackgassen, deren Ende man erst nach Tagen erreichte.
Immer wieder traf ich auf meinen Wanderungen auf verweste Körper, deren Gestank so eindringlich war, dass ich mit einer Ohnmacht kämpfen musste.
Ich war an einem niedrigen Tunneleingang angelangt.
Nach kurzem Zögern ging ich in die Knie und kroch hinein. Alles hier war sehr feucht. Das Vorankommen wurde dadurch erschwert, aber das Wasser, was sich in Bodenvertiefungen sammelte, löschte meinen Durst.
Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, seit ich das letzte Mal in der Lage gewesen war mich aufzurichten. Nun konnte ich in der Ferne einen leichten Lichtschimmer erblicken, der mich hoffen ließ. Automatisch bewegte ich mich schneller darauf zu, Hände und Knie bereits wund und blutig vom beständigen Kriechen.
Endlich erreichte ich diese Lichtquelle, fand mich in einem hallenartigen Raum wieder. Im ersten Moment blendete mich die Helligkeit. Tausende von Kristallen in den Wänden verteilten das Licht im Raum. Der Boden war überwiegend weich und feucht, von einer dünnen grünen Schicht überzogen. In einer der dunkleren Ecken dieser Halle, lag regungslos ein kleiner zusammengekauerter Knabe, ohnmächtig, oder aber tief schlafend.
Es war meine Neugier, die sich ihm nähern und berühren ließ.
Er drehte seinen Kopf zu mir und schaute mich aus weit geöffneten Augen an. Seine Augen wirkten kalt auf mich, bis ich sah, dass sie begannen sich mit Tränen zu füllen. Ohne eine weitere Bewegung zu machen schloss er ganz langsam die Augen. Ich weiß nicht, ob er etwas von mir erwartete, jedenfalls öffnete er sie nach einem langen Moment wieder und aus seinem Blick konnte ich nun Ratlosigkeit lesen. "Steh auf!", gebot ich ihm in barschem Ton.
Er ging mir gerade bis zu den Hüften. Seine Haare waren tiefschwarz, der Körper war schmächtig und ausgehungert. So stand er vor mir, den Blick demütig zu Boden gesenkt.
Ich musste daran denken, dass man hin und wieder auf andere traf, die sich ebenfalls ihren Weg durch das Labyrinth bahnten. Meist waren sie allein, selten zu zweit oder dritt. So gut es ging, versuchten wir Begegnungen zu vermeiden. Niemand wollte herausfinden, ob sein Gegenüber Kraft seiner Stärke nach einem leichten Opfer suchte, oder nicht.
Ich gab ihm zu verstehen, dass er vor mir her gehen solle. Er setzte sich bereitwillig in Bewegung und schritt an der Wand entlang mit mir zusammen die Höhle ab. Es schien mir wie ein Paradies; überall gab es klare Wasserpfützen, aus denen wir uns stärken konnten. Plötzlich blieb er stehen. Er drehte sich zu mir um und deutete mit seinem Zeigefinger an die Decke über uns.
In der Erde über uns bewegte sich etwas. Nahrung! Gleichzeitig wurde mir klar, wieso mein Begleiter inmitten dieses Paradieses fast dem Hungertod erlegen war – die Decke war zu hoch für ihn!
Ich griff mit meiner Hand nach oben, bekam auch etwas Weiches zu fassen, doch meine Fingernägel, scharfkantig und hart durch das ständige Graben, schnitten sich in das warme, weiche Fleisch eines Wurmes und trennten einen Teil von ihm ab. Sofort schnellte meine andere Hand hinauf, bekam den Rest des Tieres zu greifen. Vorsichtig zog ich ihn aus der Erde; jedes hastige Ziehen hätte nur ein Abreißen seiner Körperteile zur Folge gehabt. Mit einigem Geschick gelang es mir schließlich ihn heraus zu ziehen. Ich säuberte ihn so gut wie möglich und steckte die bereits leblosen Teile in den Mund. Nicht nur, dass dieser Wurm besonders groß war, auch hatte er einen angenehmen Geschmack. Ich kaute sehr lange, bevor ich ihn hinunterschluckte.
Ich bemerkte ein Zupfen an meinem Bein. Meinen Begleiter hatte ich vergessen, doch nach weiterem Suchen konnte ich auch für ihn das ein und andere Stück Fleisch finden, welche er mir gierig aus den Fingern riss.
Nachdem wir uns gesättigt fühlten, suchten wir uns einen Platz um uns dort schlafen zu legen. Und mein Schlaf war ruhig, obwohl ich meinen Begleiter noch nicht einschätzen konnte. Aber er schien mir zu schwach, als dass von ihm eine Gefahr hätte ausgehen können.

Wir verbrachten eine sehr lange Zeit an diesem Ort. Bald erschien mir die Anwesenheit des Knaben als Selbstverständlichkeit. Es gab nicht viel, was ich ihn lehren konnte, denn er wusste schon sehr viel, doch er nahm alles wissbegierig auf und brachte des Öfteren eigene Ideen dazu ein, die auch mich lernen ließen.
So schön der Reichtum des Wassers an diesem Ort auch war, die Feuchtigkeit des Bodens war dem Schlaf nicht förderlich. So hatten wir uns aus dem, was diese Höhle an kargen Ästen zur Verfügung stellte, eine Unterlage gebaut, die uns hoffentlich besser schlafen lassen sollte.
So probierten wir zum ersten Mal unsere neue Schlafstatt und ich begann in meiner Behaglichkeit sofort zu träumen.
Inmitten des Traumes schreckte ich auf; eine Berührung hatte meine Reflexe ausgelöst.
Es war der Knabe, der im Schlaf an mich herangerutscht war und meine Wärme suchte. Regungslos sah ich ihm in sein entspanntes Gesicht. Ich musste lächeln, nahm meine Hand und strich ihm ein paar Mal über seinen Kopf. Dann legte ich mich wieder nieder, zog den Knaben dicht an mich heran, auf dass wir uns gegenseitig wärmen konnten.
Seit langer Zeit musste ich wieder einmal fest geschlafen haben, denn als ich erwachte, lag der Knabe nicht mehr neben mir.
Ich richtete mich abrupt auf und hielt Ausschau nach ihm.
"Mein Gott!" entfuhr es mir, als ich ihn schließlich entdeckte. Er lag vor einem der Ausgänge unserer Höhle. Ein Mann hatte den Knaben hinter sich her gezogen und hob ihn nun auf die Beine. Kaum das er stand, holte der Mann mit seiner Hand aus und schlug ihm so ins Gesicht, dass der Kleine wieder zu Boden fiel.
Sofort sprang ich auf und lief zu ihm.
"Lass ihn in Ruhe!" rief ich.
Doch er versetzte dem Knaben mit seinem Fuß einen Tritt in die Seite und stellte sich dann in kämpferischer Haltung zwischen uns.
"Verschwinde!" herrschte er mich an.
Im gleichen Moment sprang ich ihn aus meinem Lauf heraus an und warf ihn zu Boden. Ich spürte im selben Augenblick einen stechenden Schmerz im Arm, den ich ignorierte. Ich holte mit meinem anderen Arm aus und schlug ihm mit der Faust in das Gesicht. Sein Kopf, der sich gerade wieder in einer Aufwärtsbewegung befand, wurde zurück auf den Stein geschleudert. Indes hatte sich der Junge erhoben und war zu uns gelaufen. "Komm, - schnell!" sagte er zu mir und zog an meinem Arm. Da sah ich aus den Augenwinkeln heraus zwei weitere Gestalten aus dem Dunkel des Höhlenzugangs auf uns zukommen. Ich richtete mich unter Schmerzen auf, griff die Hand des Knaben und lief mit ihm zu einem anderen Ausgang los, ohne mich umzusehen. Wir erreichten ihn schnell und fanden uns bald in der Dunkelheit des Labyrinthes wieder. Wir liefen und liefen, bis wir nicht mehr konnten, lehnten uns an eine der Wände und verschnauften einen Moment. Dann gingen wir weiter, - nicht schnell, aber beharrlich. Wohl wissend, dass uns die drei üblen Gesellen noch immer auf den Fersen sein konnten.
Irgendwann jedoch waren wir mit unseren Kräften am Ende und ließen uns auf den Boden nieder. Die Schmerzen in meinem Arm waren nun so stark geworden, dass ich augenblicklich ohnmächtig davon wurde.
Ich weiß nicht, wie lange ich ohnmächtig gewesen war. Ich wurde wach, als ich etwas Kaltes auf meiner Stirn spürte. Ich schlug meine Augen auf und sah in die Augen des Knaben, der sich über mich beugte und meine Stirn benässte. Dann fiel mein Blick auf meinen Arm, der mir noch immer große Schmerzen bereitete. Er hatte längere Äste angelegt und sie am Arm befestigt.
"Du warst lange ohnmächtig!" sagte er zu mir. "Ich ging fort um Wasser und diese Äste zu sammeln, hatte schon Angst, dass ich mich verlaufen hätte. Doch nun wird alles gut!"
Ich zog ihn mit meinem intakten Arm zu mir heran und legte seinen Kopf auf meinen Brustkorb.

Es verging eine lange Zeit, bis die Schmerzen aus meinem Arm verschwunden waren. Die Bruchstelle war nicht sauber verwachsen, doch konnte ich den Arm weiter einigermaßen benutzen.
Der Junge hatte mich die ganze Zeit über gepflegt. Hatte mir Nahrung und Wasser gesammelt und gebracht.
Und so schien die weitere Zeit mit ihm wie im Fluge zu vergehen. Der Junge wurde älter und schneller. Er hatte ein Gespür dafür, wo sich Nahrung befinden musste, hastete mir mit eiligen Schritten voraus und gab mir sofort als ich bei ihm ankam vom gefundenen Essen. Doch so, wie die Zeit mit ihm wie im Fluge verging, so zehrte die Zeit auch an meinem Körper. Längst war alles Kraftvolle vergangener Tage nur noch eine immer stärker verblassende Erinnerung.
Ich wurde häufiger anfällig für Krankheiten, die ich jedoch mit seiner Hilfe immer gut überstand.

Es kam der Tag, an dem er mir wieder vorauseilte um Würmer und anderes Getier zu suchen.
Als ich schweren Schrittes schließlich bei ihm ankam, sah ich ihn auf einem Stein stehen um die sehr hohe Decke erreichen zu können.
So stand ich hinter ihm, beobachtete sein emsiges Graben an der Decke, reichte ihm ab und an einen anderen Stein vom Boden, weil die verschiedenartigen Aussparungen des Gesteins manchmal eines anderen Werkzeugs bedurften um die Erde herauslösen zu können.
Meine Hand hielt jetzt drei verschieden große, spitze Steine.
Ich schaute wieder zu ihm herauf. Er war sehr nicht nur schnell und kräftig, sondern auch sehr geschickt geworden.
Die Muskeln seines Rückens glänzten bereits vor Schweiß.
Bald würde der Zeitpunkt der Trennung von ihm kommen. Ich war zu langsam für ihn, auch wenn er dies nicht wahrhaben wollte. Sein Hunger wurde immer größer, doch er verzichtete allzu oft um mich an seinem Fang teilhaben zu lassen. Getrennte Wege zu gehen würden größere Mahlzeiten für ihn bedeuten. Doch dieser Entscheidung würde er sich freiwillig niemals beugen.
Ich war alt geworden. Ich dachte an die Zeit des Alleinseins zurück, an das Aufschrecken in den Nächten.
Meine Hände waren nun auch nass vor Schweiß, zwei der Steine rutschten mir aus der Hand. Ich blickte auf den Dritten, dann wieder auf seinen mir zugewandten Rücken. Ein unbekanntes Gefühl von Wärme durchzog meinen Körper. Ich schloss die Augen für einen Moment und als ich sie wieder öffnete, sah ich, dass er vor mir stand und mich anblickte. So standen wir uns gegenüber, bis sich plötzlich seine Augen ein weiteres Mal in unserem Beieinandersein mit Tränen füllten und er die Lider langsam schloss.
Seine Demutshaltung unserer ersten Begegnung...
"Verzeih' mir!" sprach ich zu ihm, während ich meine Hand mit einer schnellen Bewegung in die Richtung meines Körpers stieß.

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