Ganz schön bissig ...
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Dezember 2001
Am See
von Dirk-Uwe Becker

Es war kalt und klamm. Die feuchte Herbstluft drang trotz warmer Kleidung in seine Glieder, und so schlug der Mann auf der Parkbank seinen Mantelkragen hoch, den Blick starr auf den Weiher gerichtet. Gegen Mittag war er gekommen, hatte sich auf die Bank gesetzt und seitdem nicht mehr bewegt. Die untergehende Sonne beschien ein markantes Gesicht. Große, ausdrucksvolle Augen – traurig in die Welt gerichtet. Ein Blatt, das der Wind von den Zweigen über seine Schultern auf den See hinaus hatte trudeln lassen, schien er nicht wahrzunehmen. Er saß einfach nur da, stumm und unbeweglich.

Wie kalter Hauch lag Nebel über dem Wasser. Büsche und Bäume reckten sich als gespenstische Figuren daraus hervor. Vereinzelte Sonnenstrahlen, die sich hinter Wolken hervor stahlen, tauchten die Szene in trübes Licht. Wellen plätscherten ans Ufer und verrieten "ihre" Ankunft. Eine Hand zuerst, die den Nebel teilte und sich ans Ufer krallte. Wie die Schaumgeborene, so entstieg sie dem Nebel.

Er stand am Ufer, Rast suchend auf einer seiner endlosen Wanderungen, die ihn fast täglich zu diesem See führten. Hier wollte er den tragischen Tod seiner Liebe vergessen.. Auf der Autobahn -im Nebelstau zusammen geschoben und eingeklemmt in einen Haufen Blech, war nicht viel von ihr übrig geblieben. Monate nach diesem Unfall begannen seine ‚Spaziergänge des Vergessens'. Monate, die er gebraucht hatte, um überhaupt wieder auf die Beine zu kommen.

Nach einem kurzen Moment der Unentschlossenheit schälte er sich aus seinem Mantel und hängte ihn der zitternden Frau über. Ihr dunkles langes Haar verdeckte einen Teil des Gesichtes. Als sie den Kopf hob, ihre Haare aus den Augen strich und ihn ansah, war ihm, als würde der Boden unter seinen Füßen zu Schlamm werden und er darin langsam versinken. Seine Augen waren in ihren gefangen. Unfähig, sich zu bewegen, spürte er die Kälte, die seine Glieder empor gekrochen kam. Die Frau löste den Blick und drehte sich halb zum See. "Danke!", sagte sie und begann, vorsichtig dem Weg zu folgen.

Schweigend umrundeten sie den See. Ihr Blick war zu Boden gerichtet, seiner auf ihr Gesicht, ihre Haare, den Körper. Er spürte die Kälte nicht mehr. Ihm war wohlig warm in ihrer Nähe. Zögerlich suchten seine Finger ihre Hand, von der nur die Fingerspitzen aus dem weiten Ärmel ragten. Sie ließ es geschehen. Seine Hand umschloss ihre kalten, immer noch feuchten Finger, versuchte Wärme zu geben. Die Gebrechlichkeit ihres Wesens schien in seinem Mantel gefangen. So begannen sie den zweiten Rundgang um den See, Hand in Hand.

Als sie an die Bank kamen, setzten sie sich. Ihre Finger hatten sich aus seiner Hand gelöst und hielten den Mantel eng zusammen. Ihr Blick war starr auf den See gerichtet. Große, ausdrucksvolle Augen, die traurig in die Welt blickten. Beschützend legte er einen Arm um sie. Ihr Zittern drang durch den Mantel. Wie Wellen, die regelmäßig an das Ufer schlagen.

Immer noch lag Nebel wie ein Leichentuch über dem Wasser. Zerfaserte Ausläufer krochen über den ufernahen Bereich, kamen auf ihn zu. Sie wallten knapp über dem Boden, bildeten Fesseln um die schlanken Füße seiner Gefährtin. Der Bodennebel glich jetzt einer brodelnden Suppe. Unschlüssig stand sie auf. Einen winzigen Moment nur ruhte ihr Blick wieder in seinen Augen. Die Bank, der See, alles um ihn herum verschwand, wurde locker, unfertig, Traum. Dann schritt sie aus, in Richtung Wasser. Das Wabern des Nebels um sie herum wurde stärker, stieg auf, umschlang sie, verwischte ihre Gestalt.

"Warte doch ...", wollte er ihr noch hinterher rufen. Da war sie schon verschwunden. Eingetaucht in den Nebel, aufgesogen vom See, Teil der Wellen, die immer noch unaufhörlich an das Ufer schlugen. Nichts, was an ihre Anwesenheit erinnerte. An das Gefühl des geborgten Seins, das er in ihrer Nähe gefühlt hatte. Nach langer Zeit den Weg wieder in Gesellschaft gegangen zu sein - das war mehr, als er jemals in Worte fassen konnte.

Aus dem Nebelbereich trieb etwas Dunkles auf ihn zu. Sein Mantel. Der See gab ihm seinen Teil wieder zurück. Es war aber auch ein Teil von ihr. Sie hatte ihn getragen. Er zog den Mantel aus dem Wasser. Klamm und tropfnass schlug er ihn sich um die Schultern und spürte ihre Anwesenheit darin. Ein wenig von dieser Geborgenheit, mit der sie ihn während des Spaziergangs wortlos glücklich gemacht hatte. Mit ‚ihrem' Mantel auf seinen Schultern setzte er zögerlich erst einen Fuß vor den anderen. Dann schritt er aus und begann erneut mit der Umrundung des Sees. Zufrieden, sie bei sich zu wissen, nicht mehr allein zu sein.

Die Sonne war untergegangen. Mond tauchte den See in milchiges Licht. Er saß immer noch da, unbeweglich, in einen verschlissenen Mantel gehüllt, auf den Weiher hinaus starrend. Ohne äußeren Anlass stand er auf, zog den Mantel fest um seinen Körper und begann, den Weg am Ufer des Sees entlang zu gehen. Vorsichtig zuerst, dann entschlossener ausschreitend.

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