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Dezember 2001
Die Entscheidung
von Brigitte Tholen

Eigentlich hat sie keine Eile. Und doch werden ihre Schritte schneller, als wolle sie ihrem Schicksal entrinnen.
Maren atmet schwer und die kälter werdende Luft dringt durch ihre Jeans und die Stoffjacke. Der aufgestellte Kragen berührt ihre Ohren als sie fröstelnd die Schultern hochzieht.
Vom Kirchturm schlägt die Uhr siebenmal. Zu dieser Zeit ist die Strasse menschenleer und nur durch die auf Kipp gestellten Fenster dringen hin und wieder Stimmen und das Geklapper von Geschirr.
Gern hätte sie jetzt bei Arnold gesessen, hätte geschwatzt und gelacht. So wie früher. Maren seufzt und wischt ihre Tränen mit dem Handrücken fort.
An der nächsten Kreuzung biegt sie nach links zum Pferdeweg ein. Hier wird es einsamer. Nur vereinzelt stehen Häuser weit von der Straße entfernt, von hohen Hecken und Sträuchern verdeckt, als würden sie sich und die Menschen darin schützen wollen.
Vor einem der Häuser bleibt sie stehen. Das Gittertor kreischt in den verrosteten Angeln und erinnert sie daran, dass es geölt werden muss.
Auf der Straße nähern sich langsam die Lichtkegel eines Fahrzeugs. Die Scheinwerfer erfassen sie und geblendet legt sie ihre Hand über die Augen, damit sie den Steinweg zum Haus sehen kann.
Im Arbeitszimmer sitzt Arnold wie immer um diese Zeit vor dem Computer und schreibt an seinem neuen Manuskript.
Ahnt nichts von dem Sturm ihrer Gedanken, der Hagelkörner der Hoffnungslosigkeit auf ihre Seele prasseln lässt.
Als sie die Eingangshalle betritt, wandelt sich ihr Gesichtsausdruck. Das Leid verbirgt sie hinter der Maske des unbeschwerten Heimchens. Sorgsam hängt Maren die Jacke auf einen Kleiderbügel, streicht automatisch darüber, als gelte es, den Straßenstaub abzustreifen.
In der Küche bereitet sie Tee und stellt alles auf ein Tablett.
Mit einem Lächeln betritt sie Arnolds Büro, platziert das Geschirr auf ein kleines Tischchen und betrachtet liebevoll sein konzentriertes Gesicht. Er schreibt Wort um Wort auf seiner Tastatur, auf der kaum noch die Buchstaben zu erkennen sind.
Leise verlässt sie den Raum. Er hat es nicht einmal bemerkt und sie respektiert seine Arbeit, wie sie es immer getan hat. Denkt nicht daran seinen Schreibfluss zu unterbrechen.
Im Wohnzimmer fällt für Sekunden ihr Körper zusammen. Dann strafft sich ihre Gestalt wieder.
Entschlossen steigt sie die wenigen Stufen hoch, geht ins Schlafzimmer. Dann ins Bad. An diesem Abend vergeht mehr Zeit als gewöhnlich bis sie mit dem Duschen fertig ist.
Lange steht sie vor dem Spiegel, betrachtet sich, benutzt Cremes und ihr Lieblingsparfüm. Aus der Kommode holt sie ihr schönstes Nachtkleid aus weißer Seide. Es fühlt sich sanft und kühl an, als sie es überstreift.
Vor dem Sekretär setzt sie sich auf den zerbrechlich wirkenden Stuhl, den sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Ohne weiter zu zögern, nimmt sie ein weißes Blatt Papier und schreibt mit ihrer Goldfeder Zeile um Zeile. Ihr Gesicht wird weich und strahlt all die Liebe aus, die sie für Ihren Mann empfindet.
Als sie den Brief beendet hat spürt sie wieder die rasenden Schmerzen, die typisch für ihre Krankheit sind.
Maren steht auf, geht noch einmal ins Bad, füllt Wasser in ein Glas, gießt eine hellbraune Flüssigkeit aus einer Phiole hinein und trinkt es in einem Zug leer.
Zufrieden löscht sie das Licht. Sie legt sich ins Bett und schließt die Augen in dem Bewusstsein, das Richtige getan zu haben. Mit einem Lächeln auf den Lippen schläft sie ein.
Als der Mond sich langsam durch die dicken Wolken gekämpft hat, fallen sein Strahlen auf das Blatt Papier. Er leuchtet so hell, dass die Worte zu lesen sind.
Mein Liebster,
sei nicht traurig, wenn ich heute das erste Mal alleine eine Entscheidung treffe, die uns beide angeht. Wenn du meine Zeilen liest, bin ich für diese Lebenszeit von dir gegangen. Es fällt mir nicht leicht, aber ich weiß, dass es das Beste für Dich ist.
In meinen Körper hat sich eine Krankheit geschlichen, die unheilbar ist. Ich möchte, dass Du mich so in Erinnerung behältst, wie Du mich kennst. Es wäre für Dich und mich eine Qual, wenn in den nächsten Monaten Tag für Tag ein Stückchen mehr von mir stirbt.
Meine Liebe zu Dir wird überleben und Dich stärken, bis zu dem Moment, wo wir uns wieder sehen.
In zärtlicher Umarmung
Deine Maren.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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