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Januar 2002
Ein friedlicher Januarmorgen
von Anne Zeisig

Ein friedlicher Januarmorgen


Fünf Uhr erst an diesem Januarmorgen, als Julia ihr warmes Bett verließ. Sie schlich sehr leise ins Bad, damit sie Roger nicht weckte. Vielleicht würde er in zwei Stunden wach werden, um nach ihr zu rufen? Das war jetzt ihre Zeit des Alleinseins in der kleinen Küche nach einer abermals durchwachten Nacht. Die junge Frau spürte eine lähmende, bleierne Müdigkeit. Denn endlos hatten sich die Wochen aneinandergereiht, wo sie mit Roger nächtelang quälende Dialoge führte. Unterbrochen von einsamen Monologen während der Dunkelheit, wo Julia mit sich selbst ins Reine kommen musste.

Heiß und dampfend erweckte das Duschwasser ihre Lebensgeister, aber die bösen Geister konnte es nicht verbannen. Sie musste ja gar nicht mehr nachdenken, denn ihre Entscheidung hatte Julia endgültig und ohne Widerruf gefällt. Schnell hüllte sie sich fröstelnd in das Badetuch ein, um sich zitternd abzurubbeln. Der beschlagene Spiegel zeigte nur diffus ihre Person, aber auf ein klares Spiegelbild konnte sie verzichten. Langsam zog Julia sich den viel zu weiten Jogginganzug an, der noch vor einem halben Jahr ihre fraulich attraktiven Konturen umkleidete.

Schwerfällig sank sie auf den Küchenstuhl, um sich aus der Isolierkanne eine Tasse starken Kaffees einzugießen.
Wut!! Wut auf Roger!! Mit ihren zartgliederigen Händen umklammerte Julia die Kaffeetasse derart fest, bis ihre Knöchel weiß und bohrend durch die Haut schmerzten. Fast schien es so, als müsse sie sich selbst spüren und Halt finden. Danach wanderte ihr Blick ruhig über die Wand zu den Fotos aus glücklich unbeschwerten Tagen. Das letzte Bild zeigte sie und Roger engumschlungen vor dem Geländer der Strandpromenade in De Panne. Sie erinnerte sich: Menschen drängten sich dicht an dicht vorbei, aber Roger fand niemanden, der sie doch fotografieren möge: „Versuch du es, Julia, dem Blick deiner blauen Augen wird bestimmt keiner widerstehen können.“ Und sie musste schallend lachen, weil er dabei die Kamera so ungelenk verlegen an der Lasche hin und her schwenkte. „Aber keiner wird mir meinen Wunsch von den Augen ablesen, Roger.“ Schnell hatte sie dann einen älteren Herrn überzeugen können, dass dieser Fotoapparat einfach zu handhaben sei.
Ach ja, glücklich und frisch lachten sie blinzelnd mit der Julisonne an der Belgischen Küste um die Wette. Das Weiß der Sommerkleidung bildete einen angenehmen Kontrast zu der Sonnenbräune ihrer Haut. Rogers Goldschopf war zerzaust vom Wind, während sie ihr kastanienbraunes Langhaar stets mit einem Haarband im Nacken festhielt.

Aber dann der Oktober!! Er brachte wirbelnd fallende Blätter im Herbstturm. Und einer Orkanböe gleich wurde die niederschmetternde Diagnose tosend hineingefegt in ihrer Beider Leben. Zunächst klammerten sie sich noch bis Dezember an eine dünne Hoffnung und ergriffen diesen Strohhalm wie Ertrinkende inmitten eines Unwetters. Aber längst lag die Natur starr unter klirrendem Eis begraben. Eine unsagbar quälende Phase, in der sich die Metastasen unbeirrt gierig und schonungslos blitzschnell durch Rogers Körper gefressen hatten.
Zeit!! Julia hätte gerne mehr Zeit gehabt, ihm gegenüber ihr Versprechen einzulösen.
Wut!! Sollte sie wütend sein auf Roger, weil er sich Derartiges von ihr wünschte? Sollte sie wütend sein auf sich selbst, weil sie seinem Ansinnen folgen wollte? Ihm versprach, dass sie es täte? Er vertraute ihrem Versprechen.

„Julia“, hörte sie seine dünne, brüchige Stimme aus dem Schlafzimmer heiser röcheln. Dann lauter, schriller, es folgten seine gellenden Schreie: „Julia!! Julia!! Diese Schmerzen!! Ich halte es nicht mehr aus!! Ich will nicht mehr!!“ Eine Pause des Keuchens. „Schnell!! Schnell!!“ Heute hatte die schmerzlindernde Wirkung der Spritze nicht bis um sieben Uhr angehalten. Trotz Höherdosierung brachte sie Roger schon lange nicht mehr den schmerzfreien Dämmerschlaf. „ Ich will nicht mehr. Du hast es mir versprochen,“ flüsterte der junge Mann erschöpft ihr ins Ohr, als sie auf seinem Bette sitzend sich zu ihm hinunterbeugte; sie diesen fauligen Geruch aus seinem Munde einatmete. „Du musst es jetzt tun, wie wir es besprochen haben,“ hauchte er kraftlos, „ich vertraue dir, Julia.“ Ein mattes Lächeln huschte über sein Gesicht, das nur noch aus Haut und Knochen bestand, gleich einem Totemschädel. Tief versunken in dunklen Höhlen seine Augen, den Blick nach innen gekehrt, schloss Roger seine Lider.
Endlich! Zeit der Ruhe.
Julia schwang sich hoch zu einem geraden Rücken, wie ein Soldat, der strammstehen musste, Härte demonstrieren musste aufgrund seiner Körperhaltung. Und sie setzte die Spritze zielsicher an mit der erlösenden Überdosis. Roger öffnete noch einmal kurz seine graugrünen Augen. Und für einen kurzen Augenblick leuchteten sie jung und frisch...wie auf dem Urlaubsbild im Juli...
Zeit des Friedens.
(c) Anne Zeisig, Januar 2002








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