'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Januar 2002
Abgeschoben ?
von Peter Harnau

Abgeschoben ?

Der verführerische Duft von ofenfrischen Brötchen und Kaffee vermittelte eine angenehme Behaglichkeit. An diesem Morgen konnte Paul sich daran nicht im Geringsten erfreuen. Übermüdet saß er am Küchentisch seiner Pension. Die linke
Hand stützte den bleischweren Kopf, mit der rechten Hand rührte er gedankenverloren seinen Morgenkaffee um. Die kleinen geröteten Augen streiften über die Schlagzeilen der "Westfalenpost",

Afghanistan-Friedenskonferenz in Bonn ** DFB-Pokal in Erfurt ** Cross-air Absturz in der Schweiz

Sein Blick wurde von den ersten erleuchteten Fenstern des Nachbarhauses angezogen. Paul kannte seine Frühaufsteher. Unten links, das ewige "Fräulein" Gerber. Immer alles picobello, immer alleine. Ihre blonde Löwenmähne war schon wieder perfekt gestylt.
Zwei Etagen höher rechts, bei den Kochs, strahlte kaltes Neonlicht durch das Küchenfenster. Herr Koch im Doppelrippunterhemd war nicht so der Blickfang.
In der Scheibe des Küchenfensters sah Paul sein Spiegelbild. Ein grauhaariger Mann, mit einer modischen Bürstenfrisur; nur der Dreitagebart wies noch wenige dunkle Haare auf.
"Nee, was bin ich alt geworden", sagte er betrübt zu dem Gesicht,
"die 50 glaubt mir kein Mensch mehr!"
***
Vor vier Jahren war es mit der Altersdemenz seiner Schwiegermutter so schlimm geworden, dass sie sich nicht mehr selbst versorgen konnte. Was hatte es damals
für heftige Auseinandersetzungen deswegen gegeben.
"Ist sie im Heim nicht besser aufgehoben?" versuchten die anderen Kinder sich der Verantwortung zu entledigen.
"Nein!", wehrte Paul energisch ab, "dafür hat sie doch nicht fünf Kinder großgezogen, um jetzt auf dem Abstellgleis zu enden! Wir sollten sie bei uns aufnehmen".
Vera, Pauls Frau, runzelte die Stirn. "Und wer soll sie pflegen?", fragte sie. "Willst du sie etwa dauernd füttern, waschen und zur Toilette bringen?"
Paul seufzte.
"Aber ist es nicht die moralische Pflicht der Kinder, für die alten Eltern zu sorgen? Außerdem können wir ja einen Pflegedienst dazu nehmen."
"Und das alles soll doch wohl nicht bei uns in der Wohnung stattfinden?", blockte Vera missbilligend ab. Paul hatte schon eine Lösung parat.
"Das Appartement unter uns ist ideal, ein paar Umbauten im Bad, fertig!"
Das war vor vier Jahren gewesen und seitdem wohnte die "Oma" bei Vera und Paul.

***
Vera betrat die Küche, murmelte "Morgen" und holte sich einen Kaffee. "Morgen" erwiderte Paul und schaute sich um. Sie liebte es, seinen großen Morgenmantel zu tragen, die Ärmel waren dreimal hochgekrempelt, die kleinen Fellpantoffel lugten unter dem Saum hervor. Er schob die Zeitung beiseite. Ihm war nicht nach Lesen zumute.
"Na, was war denn diese Nacht unten wieder los?" Gähnend setzte Vera sich zu ihm an den Tisch.
"Diesmal waren es 'Schwarze Nonnen' unter dem Bett und mit Farbe verschmierte Wände", erklärte er ihr die Angstgebilde ihrer Mutter. "Hat bis zwei Uhr gedauert, dann wirkten die Tabletten endlich und ich konnte sie beruhigen. Nur mich hat das so belastet, dass ich dann nicht einschlafen konnte."
"Du machst dich noch total kaputt damit. Mich hat es schon geschafft. Schau mich doch an, sehe ich aus wie 45? Mich macht das krank. Ich will endlich mal wieder mit dir ausgehen, ohne auf die Uhr schauen zu müssen. Ich will nicht mehr bei jedem Geräusch unten aufschrecken müssen! Ich möchte mich nicht mehr mit dir streiten, früher waren wir nicht so aggressiv miteinander. -ICH BIN MIT MEINER KRAFT AM ENDE!"
'Ach, jetzt geht das wieder los', dachte Paul und ihm fiel nichts besseres ein als:
"Aber es ist doch DEINE Mutter, und außerdem habe ich ihr versprochen, dass sie nicht ins Heim muss, kannst du das nicht verstehen?" Insgeheim bereute er seinen Entschluss inzwischen, aber das würde er niemals zugeben. Und er konnte und wollte sein Versprechen nicht brechen.
Vera wusste, dass sie hier gegen eine Wand redet, und zog sich mit ihrem Kaffee in das Bad zurück. Durch die Tür hörte Paul ihr leises Weinen.

***
Rumms, die Haustür fiel heftig ins Schloss und holte Paul aus seinen Gedanken zurück. Das vertraute Geräusch bedeutete, es war sieben Uhr. Vor dem Haus konnte Paul den quittengelben Kleinwagen des Pflegedienstes parken sehen. "Der goldene Ring" prangte in roter Schrift auf der Wagentür. Pflegemappen lagen auf dem Beifahrersitz gestapelt.
Es war Dienstag, Badetag!
Modul G18 (große Grundpflege) laut Pflegevertrag DM 47,58 plus G15 Dokumentation DM 3,00. Zeitbedarf, eine dreiviertel Stunde.
'Gut, dass wir DAS wenigstens nicht mehr machen müssen.', dachte er und schüttete den kaltgewordenen Kaffee in den Ausguss.
Nach dieser Horrornacht verspürte er das Bedürfnis, sich noch etwas auf die Couch zu legen. Wenigstens ein halbes Stündchen.
***
Das grässlich Piepen des Telefon riss ihn unsanft aus dem Tiefschlaf.

Paul reckte sich zum Telefon.
"Herrmann!"

"HSB-Baumstrasse, mein Name ist Huster, spreche ich mit Paul Herrmann?", fragte eine angenehme Frauenstimme.

'Oh Gott!", dachte Paul, "nicht am frühen Morgen schon so eine Telefonistin, die dir die Vorzüge irgendeiner privaten Krankenversicherung erklären will.'

"Ja, worum geht es denn?"

"Herr Herrmann, Sie haben doch die Frau Witt im letzten Jahr bei uns zur Kurzzeitpflege gehabt und Interesse an einem Heimplatz geäußert.", half Frau Huster seinem Gedächtnis nach.

"Ach ja, hatte ich ganz vergessen!", entschuldigte sich Paul. Er war jetzt hellwach.

"Nun, Sie haben großes Glück, wir können Frau Witt kurzfristig aufnehmen."

"Ja.....äh.....hmmm....ich bin ja ganz überrascht, ich hatte das eigentlich rein prophylaktisch geäußert, hmm, wie schnell muss ich, äh, müssen wir uns denn entscheiden?" Paul war total verwirrt. Damit hatte er nicht gerechnet.
"Ich gebe Ihnen meine Durchwahlnummer und Sie sagen mir bis morgen Bescheid, in Ordnung?" schlug Frau Huster vor und sagte ihre Rufnummer an.
Paul notierte die Nummer und verabschiedete sich, höflich dankend.

Wohlgelaunt machte er sich auf den Weg zu seiner Frau.
Im Vorbeigehen sah er draußen gerade Schwester Marianne in ihr quittengelbes Auto steigen.
"So long, Marianne!", summte er vergnügt.

Paul drückte seiner Frau einen Kuss auf die Wange und sagte:
"Wer „A“ sagt, muss nicht „B“ sagen. Er kann auch erkennen, dass „A“ falsch war."
(Bertolt Brecht)




© Peter Harnau 2002










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