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Januar 2002
Wer A sagt, muss mit B rechnen
von Roswitha Borrmann

Wer A sagt, muß mit B rechnen

Am Tag X wurde in MĂŒhlberg wie jeden Donnerstag gelebt. FrĂŒh am Morgen fuhren Schichtarbeiter durch den Ort. Dann kamen die Schulkinder, stiegen in Busse, die sie in die Kreisstadt brachten. Bei den BĂ€ckern herrschte Hochbetrieb. MĂŒtter brachten ihre Kinder in die KindergĂ€rten, gingen anschließend zu ihrer Arbeit oder machten Besorgungen. Am Kiosk in der Ortsmitte wurde ĂŒber die Schlagzeile der HELD-Zeitung diskutiert: ”Wird Benzin unbezahlbar?”

In den BĂŒros wurden die PCs hochgefahren. Die LĂ€den öffneten. Beim Zahnarzt gab es die erste Spritze. Im Wartezimmer des Kinderarztes saß der kleine Jan. Er wurde immer blasser, war appetitlos, stĂ€ndig mĂŒde. Seine Mutter wusste nicht mehr so recht, was sie noch tun konnte. Sie war darauf angewiesen, dass er keine Probleme machte - sie war berufstĂ€tig. Ihre Schwiegermutter, die ihn betreute, erholte sich nur sehr langsam von einer SchilddrĂŒsenoperation. Es gab auch keinen Kindergartenplatz fĂŒr ihn.

Gedankenverloren stand Jans Mutter am Fenster, trommelte gegen die Scheibe, wĂ€hrend sie hinaussah. GegenĂŒber im Park sollte demnĂ€chst ein Kindergarten gebaut werden. ‚Hoffentlich klappt es‘, dachte sie bei sich. Über den Baumwipfeln, am Horizont, bemerkte sie die Nebelfahnen der KraftwerkstĂŒrme. Die waren ungewohnt dĂŒnn. Bevor sie aber weiter darĂŒber nachdenken konnte, wurde Jan zum Arzt gerufen.

Nachdem sie ihren Sohn bei der Oma abgeliefert hatte, traf sie abgehetzt gegen 10 Uhr im Rathaus ein. Zum GlĂŒck war ihr Chef, der BĂŒrgermeister von MĂŒhlberg, ein großzĂŒgiger Arbeitgeber und ließ ihr viel Freiraum. Dennoch - die Haushaltsberatungen gingen nun in die letzte Runde. Da war ihre Anwesenheit fĂŒr das Protokoll erforderlich.

Die Sitzung war schon in vollem Gang. Hermann, ein Vertreter der örtlichen Presse, fasste fĂŒr sie den Stand der Dinge zusammen. Die Ausschussmitglieder hatten sich weitgehend darĂŒber geeinigt, dass MĂŒhlberg einen weiteren Kindergarten und ein Altersheim brauchte. Die Idee, beides nah zusammen zu bauen, war auch auf Gegenliebe gestoßen. Es war eine schöne Vorstellung, dass sich Jung und Alt im gemeinsamen Park begegnen wĂŒrden.

"Meine Damen und Herren, ich sehe keinen Grund zur Euphorie," schloss Werner Schnappinger, Vorsitzender der 'Greif-zu-Partei', sein PlĂ€doyer fĂŒr mehr Industrieansiedlung anstelle der sozialen Investitionen. "Die angestrebten Einrichtungen bringen nur eine sehr geringe Zahl an ArbeitsplĂ€tzen und absolut keine Gewerbesteuern. Sie kosten dafĂŒr aber viel Geld und belegen ein zentral gelegenes GrundstĂŒck. Wir sollten uns das reiflich ĂŒberlegen. Bitte denken Sie auch an die Folgekosten fĂŒr unseren ohnehin schmalen Etat. "

”Wir verbinden aber die Generationen” rief BĂ€rbel Frohwein triumphierend in die Runde. Sie gehörte der eher konservativen ‚Bleib-Partei‘ an. 'Die umliegenden Ortschaften könnten sich ein Beispiel an uns nehmen!'

"Oder wir an ihnen! " warf Holger Wiesentreu ein. "In Haberstroh gibt es jetzt ein RegenwasserrĂŒckhaltebecken, um in schwierigen Zeiten die Mulder zu entlasten. Das ist aktiver Umweltschutz."

"Oh Mann", stöhnte Evelyn Horny von der 'Voraus-Partei'. "Wir reden jetzt ĂŒber Kinder und Omas, nicht schon wieder ĂŒber Frösche und Fische! Außerdem ist Haberstroh viel reicher als wir. Die kriegen schließlich alle Steuern der Strom-Gesellschaft."

Evelyn hatte spĂ€ter noch eine Verabredung und fragte sich eh, was der Zinnober sollte. "Der BĂŒrgermeister wird schon wissen, was er tut”, flĂŒsterte sie Hermann zu, der neben ihr saß. ”Er hat grĂŒnes Licht gegeben und alles andere interessiert mich nicht. Schließlich will er wiedergewĂ€hlt werden.” Damit schloss sie den Aktendeckel, der vor ihr auf dem Tisch lag.

Schließlich wurde ĂŒber den Kindergarten und das Altenheim abgestimmt - fĂŒr den Bau. Dann ging es in der Tagesordnung weiter voran. Viel hatten sie noch nicht erledigt, als Hermanns Handy einen Anruf signalisierte.

Er ging vor die TĂŒr und erfuhr von Sven, einem jungen Kollegen, dass es einige Aufregung gab. Die Feuerwehr war im Einsatz. Offensichtlich war die Mulder ĂŒber die Ufer getreten. Es stand Wasser in den Wiesen beim Kraftwerk, hatte ein SpaziergĂ€nger berichtet. Niemand fand bisher eine ErklĂ€rung dafĂŒr - es war strahlend schönes Wetter.

”Ok, bleib dran. Informiere mich. Ich kann jetzt hier nicht weg”, entschied Hermann. Er blieb noch einen Moment stehen und blickte nachdenklich aus dem Fenster.

ZurĂŒck im Sitzungssaal erfuhr er , dass er nicht viel verpasst hatte. Es wurde heiß diskutiert, ob der Kreisverkehr am Ortseingang mit Blumen oder winterharten StrĂ€uchern bepflanzt werden sollte. DarĂŒber war nun schon soviel geredet worden, aber es gab offensichtlich keinen Ansatz fĂŒr eine Einigung.

Es wurde weiter beraten, beschlossen – dann gab es eine Pause. Hermann bekam wieder einen Anruf.

”Hi, ich bin jetzt vor Ort”, schallte es ihm von Sven entgegen. ”Sieht aus, als wĂ€re der Werkschutz ASG im Einsatz. Kein Dampf mehr aus den TĂŒrmen. Ganz schöner Betrieb hier.”

”Gibt es Nachrichten aus dem Amt oder Ministerium?”, Hermann war nun ziemlich beunruhigt.

”Als ich aus der Redaktion ging, war nichts da. Soll ich noch einmal nachfragen?”

”Ja klar!” zischte Hermann ”Ich gehe jetzt aber auch sofort hinĂŒber.” ‚Pfeif doch auf die Haushaltsberatung‘, dachte er bei sich. Sein Sensor fĂŒr wichtige Ereignisse schlug mittlerweile Alarm.

Er verabschiedete sich schnell von den anderen Sitzungsteilnehmern. Den BĂŒrgermeister konnte er nicht ĂŒber die Neuigkeiten informieren, der war nirgendwo zu sehen.

Auf dem Weg zum Auto klingelte sein Telefon erneut. Doch Hermann kam nicht mehr dazu, dieses GesprÀch anzunehmen.

Eine gewaltige Explosion riss MĂŒhlberg aus seinem geschĂ€ftigen Alltag. Machte es unbewohnbar.

Internationale Medien berichteten spĂ€ter, dass der Reaktor der ‚Allgemeinen Strom Gesellschaft‘ in Haberstroh nach einem Leck im KĂŒhlwasserbehĂ€lter nicht mehr kontrolliert heruntergefahren werden konnte. Wegen einer Kette unglĂŒcklicher ZufĂ€lle sei der Abfall des Wasserdrucks viel zu spĂ€t bemerkt worden.

Die Zahl der unmittelbaren Opfer war nicht genau bekannt. Die einsetzende Panik hatte in der gesamten Region eine Massenflucht zur Folge. Der Katastrophenschutz bewachte ein weitrÀumiges Sperrgebiet verseuchter Erde.

Die Zeit hatte sich dort in Nichts aufgelöst.



© Roswitha Borrmann Januar 2002



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