Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Einer meiner Spaziergänge hatte mich an den Stadtrand in ein kleines Wäldchen geführt. Auf dem Heimweg fiel mir eine besonders schöne Blume auf, die etwas abseits des Weges stand. Sie wuchs zwischen einigen Büschen aus einer rötlich schimmernden Erde heraus. Ich ging zu ihr und betrachtete staunend ihre Schönheit. Spontan entschloss ich mich, sie mitzunehmen. Meine Jacke benutzte ich dazu, die Blume und etwas Erde sicher nach Hause zu bringen.
ZurĂĽck in meiner Wohnung setzte ich die Blume vorsichtig in eine kleine Plastikschale, in der ich sonst Bonbons sammelte. Die Schale stellte ich auf das Fensterbrett im Wohnzimmer.
“Ich werde dich ‚Belle’ nennen!”, sagte ich zu ihr, weil mir dieser Name spontan einfiel und er sie ganz genau beschrieb.
Heute konnte ich für sie keinen Blumentopf mehr kaufen. Das wollte ich schnell nachholen. Mit diesem Gedanken im Kopf stand ich am nächsten Morgen auf.
In der Mittagspause nahm ich mir Zeit, in einen Blumenladen zu gehen und einen schönen Topf zu besorgen.
Spät kam ich nach Hause, wo sie mich sofort mit ihrem Anblick erfreute.
Ich topfte sie sorgsam um.
Wie begeisterte mich ihr Anblick! Als ob sie es spüren könnte, veränderte sich plötzlich die Farbe meiner Blume. Aus tiefem Rot wurde ein leuchtendes Gelb.
„Kann sie meine Stimmungen erahnen und ihre Farbe daran anpassen?“ überlegte ich. Aber ich war müde und wollte ins Bett. Warum sich über etwas den Kopf zerbrechen, worauf man sowieso keine Antwort bekommen würde …
So folgten weitere Tage, an denen ich sie goss, mich in einen Stuhl setzte und sie einfach nur ansah.
Irgendwann hörte ich nach dem Gießen eine Stimme.
“Gib mir von der roten Erde!”
Ich war erstaunt. Hatte Belle zu mir gesprochen? Oder war ich einfach nur ĂĽberarbeitet? Da mir fast schon die Augen zufielen, ging ich lieber ins Bett.
Am darauf folgenden Abend allerdings hörte ich wieder die Stimme.
“Gib mir von der roten Erde!”
Nein, ich hatte mich nicht getäuscht. Es war unglaublich, was für eine einmalige Pflanze ich mit nach Hause gebracht hatte.
In der Mittagspause des nächsten Tages eilte ich in ein Blumengeschäft und befragte den Verkäufer.
Er sagte, dass er diese rote Erde kenne. Sie sei hier selten und nicht besonders hochwertig. Im Gegenteil. Auf dieser Erde wäre ein gutes Gedeihen unmöglich.
Er gab mir einen Dünger und sagte, dass ich damit nichts falsch machen könne. Also kaufte ich ihn. Ich würde Belle damit etwas geben, was sie sonst niemals bekommen hätte.
Er sagte noch, dass ich die Blume das nächste Mal mitbringen solle, damit er mir einen besseren Tipp geben könne. Dann ging ich wieder.
Abends mischte ich den DĂĽnger zwischen Belles Erde.
Ich ertappte mich dabei, wie ich zu meiner Blume sprach.
“So, Belle, das wird dir gefallen!”
Sagte es, nahm mir eine Zeitung, setzte mich in einen Stuhl und las. Hin und wieder warf ich ihr einen Blick zu, um zu sehen, ob es ihr gut ging.
Am nächsten Abend hörte ich wieder ihre Stimme.
“Gib mir bitte etwas rote Erde!”
Wenn sie nur wüsste, dass diese Erde minderwertig war und ihr der Dünger viel besser bekommen würde …
Sicher erwartete sie Zuneigung von mir, Wasser, Dünger, Licht …
Ich gab ihr noch etwas mehr von dem Dünger, und tatsächlich war sie darauf still.
Aber ich musste leider feststellen, dass sie ihre Farben nur noch ganz langsam änderte.
Am gleichen Abend sprach sie wiederum zu mir.
“Gib mir bitte etwas rote Erde!”
Da fiel mir ein, dass ihr dieser Platz am Wohnzimmerfenster vielleicht nicht gefallen wĂĽrde, weil er direkt an der StraĂźe lag. Ich brachte sie in mein Schlafzimmer, wo sie es ruhiger und etwas weniger hell hatte.
Tags darauf beschloss ich, ihr einen größeren Blumentopf zu spendieren.
Den kaufte ich, sowie eine Tüte der besten Erde, eine weitere Packung Dünger und etwas Öl, um damit ihre Blätter abzureiben.
Ich topfte sie gleich nach der Arbeit um.
Aber so richtig wollten ihre Farben nicht mehr strahlen.
“Gib mir rote Erde!”, sagte sie. “Bitte!”
Aber es war schon spät und ich musste am nächsten Tag früh aufstehen.
Der folgende Tag verlief schleppend langsam. Unentwegt machte ich mir Sorgen um Belle. Ich beschloss, ihren Wunsch zu erfĂĽllen und ihr rote Erde zu holen.
An diesem Tag hatte ich noch später Feierabend als sonst.
MĂĽde fiel ich in mein Bett, verschob meine Exkursion auf das Wochenende. Mein letzter Blick galt Belle, die mich ermattet anzublicken schien.
Bis zum Wochenende schien die Zeit nicht zu vergehen.
Belle hatte ihre Farbe nicht mehr gewechselt und auch nicht mehr zu mir gesprochen.
Am Wochenende stand ich frĂĽh auf, hetzte zu der Stelle, an der ich meine Blume gefunden hatte und sammelte zwei TĂĽten von der roten Erde ein. Damit eilte ich wieder nach Hause.
Doch Belle leuchtete bereits nicht mehr.
So schnell es ging, wechselte ich die Erde aus.
Den Blumentopf stellte ich zurück auf das Fensterbrett und stellte dabei fest, dass meine Hände angefangen hatten zu zittern. Ich bereute zutiefst meine Blindheit und starrte sie unentwegt an.
Nach bangen Minuten des Wartens fing sie auf einmal an zu leuchten. Erst ganz schwach, bald dann wie am ersten Tag unserer Begegnung.
Die ganze Zeit über hatte ich ihre Worte in meinem Kopf gehört. Nur verstanden hatte ich sie nicht. Dabei war ihr Wunsch ganz einfach zu erfüllen gewesen.
Aber ich hatte geglaubt, besser zu wissen, was gut fĂĽr sie sei.
„Ich danke dir!“ hörte ich plötzlich.
Doch meine Hoffnung ebbte schnell wieder ab. Erstarb nach einem kurzen Augenblick ihres Leuchtens.
Die BlĂĽten verloren rasch ihre Pracht.
Niemals mehr wĂĽrde diese Belle ihre Farben fĂĽr mich wechseln, niemals mehr eine Bitte an mich richten.