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Januar 2002
Der Pflaumenbaum
von Dirk Becker

Der Pflaumenbaum

Hausmann wohnte am Ende der Strasse. In einer kleinen windschiefen Kate, die den Sturm der Weltkriege zwar unbeschadet überstanden hatte, mit ihren Rissen in der Fassade aber dem kontinuierlichen Gepoltere des Schwerkraftverkehrs auf der nahen Landstrasse ihren Tribut zollte.

Ein winziger Gemüsegarten gehörte mit zum Haus. Als Hausmanns Frau noch lebte, hatte sie hier Kohl, Wurzeln, Kartoffeln, Bohnen und verschiedene Kräuter angebaut. Nun war sie schon seit Jahren tot und der Gemüsegarten ein Paradies für Wildkräuter. Hausmann störte das nicht. Es hatte ihn nicht gestört, dass seine Frau sein Leben mit ihm teilte und es störte ihn auch nicht, dass sie es jetzt nicht mehr tat. Er war mit sich zufrieden.

Nur die hintere Ecke des Gartens, da wo das Feld der Nachbargemeinde angrenzte, war etwas gepflegter. Hier stand ein verkrüppelter Pflaumenbaum. Nicht hoch, aber so, dass Hausmann die saftigen Zwetschgen im Sommer bequem erreichen konnte. Pflaumen waren sein Lieblingsobst. Schon seit seiner Kindheit, wenn er vom Spielen heim kam und seine Mutter ihn am Sonntagnachmittag mit ihrem selbst gebackenen Zwetschgenkuchen überraschte.

Seine Frau, als sie noch lebte,– Gott sei ihrer Seele gnädig – mochte keine Pflaumen. Ihr Männer mögt die doch nur, weil sie Euch an was ganz bestimmtes bei Frauen erinnern, sagte sie. Hausmann konnte sich nie einen Reim darauf machen, denn woran sollte ihn eine Pflaume bei Frauen erinnern? Es ist eine erotische, fleischeslüsterne Frucht, ereiferte sich seine Frau gerne. Ihr nehmt sie in die Hand und denkt, es sei Eure Traumfrau, die Ihr da berührt und streichelt. Hausmann streichelte keine Pflaumen. Er wollte sie nur essen, wegen ihres fruchtig saftigen Obstfleisches. Ich weiß, dass Du denkst, ich wäre nicht mehr so knackig zwischen den Beinen wie diese Teufelsfrucht. Seine Frau konnte manchmal sehr wirr reden. Hausmann verstand dann nie, was sie genau meinte. Aber es war ihm egal, wenn er zufrieden war. Er hatte noch nie eine Pflaume zwischen den Schenkeln seiner Frau gesehen. Das wäre ihm aufgefallen. Hundertprozentig! Außerdem – was hätte es für einen Sinn gehabt, wenn dort eine Pflaume gewachsen wäre? Er hätte dann nie mit seiner Frau die anderen schönen Dinge machen können, die sie getan hatten, als sie beide noch ganz jung gewesen waren. Hinterher ging es nicht mehr. Seit der Totgeburt ihres ersten und einzigen Kindes konnte seine Frau es nicht mehr ertragen, wenn er sie zwischen den Beinen oder an den Brüsten berührte. Sie mochte gar keine Berührungen mehr, trug nur noch Schwarz und schlief allein in ihrer Kammer. Hausmann hätte sich bestimmt erinnert, auch nach so langer Zeit noch, wenn da eine Pflaume zwischen den Beinen seiner Frau ihm den Weg in ihr Spielkämmerchen versperchen versperrt hätte.

Es war sein 75ter Geburtstag gewesen. Hausmann und seine Frau saßen gerade beim Mittagessen, als eine Abordnung der Gemeinde an der Haustür erschien und ihm das mit einer großen roten Schleife geschmückte vierjährige Stämmchen überreichte. Hausmann war den Tränen nahe gewesen. Sein eigener kleiner Pflaumenbaum. Er konnte es nicht fassen. Es ist üblich hier im Dorf, sagte der Bürgermeister, dass Jubilare von uns mit einem wachsenden Geschenk geehrt werden. Hausmann schämte sich seiner Gefühle nicht. Es war zu schön! Beim Abendessen sagte seine Frau zu ihm, dass dieses Stück pflanzlicher Erotik nicht auf dem Grundstück bleiben könne. Wenn er sich unbedingt aufgeilen wolle, solle er in die Stadt fahren und die Spätvorstellung im Lichtblick besuchen. Aber dieser Baum – nein! Der komme ihr nicht in den Garten. Nur über ihre Leiche! - Hausmann hatte seiner Frau bisher noch nie widersprochen. Er würde es auch jetzt nicht tun. Das nicht!

Einmal in der Woche, nach dem Wässern, blieb Hausmann andächtig vor dem Pflaumenbaum stehen. Etwas über fünf Jahre wuchs dieser Baum jetzt hier. Genau so lange war seine Frau bereits tot. Jeden Sommer, wenn er in die reifen Früchte biss und ihm ein wohliger Schauer über den Rücken rann, fragte sich Hausmann, was wohl gewesen wäre, wenn seine Frau eine andere Einstellung zu Pflaumenbäumen und tatsächlich eine dieser saftigen Früchte zwischen ihren Schenkeln gehabt hätte. Vielleicht wäre ihre Einstellung zu Pflaumenbäumen und seine Einstellung zu ihr eine andere gewesen. Vielleicht wäre sie jetzt noch bei ihm und würde die Abendsonne genießen können, ein Stück Pflaumenkuchen auf dem Teller, Arm in Arm mit ihm. Nun ruhte sie verlassen und kalt in ihrem hölzernen Kämmerchen unter der Erde. Ungefähr dort, wo sein Pflaumenbaum jetzt wuchs und seine krüppeligen Äste in den Himmel reckte.

Dirk Becker, 2001




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