Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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Februar 2002
Ein literarisches Rätsel
von Jörg Hoffmann

Ein literarisches Rätsel

Es war ein wunderschöner, sonniger erster Mai. Wie schon lange nicht mehr genoß Roman seine täglichen zehn Kilometer Jogging im Stadtpark. Es war einfach eine Lust nach den dunklen Wintermonaten und einem völlig verregneten April durch den frischen Frühlingsmorgen zu laufen. Wie von selbst gingen die Beine und seine Gedanken gingen ihre eigenen Wege. Wie hieß dieses Lied nur. Seitdem er aufgewacht war, ging ihm diese Melodie im Kopf herum. Ein ganz bekanntes Lied. Nur Text oder Titel wollten ihm nicht einfallen.
Morgens um neun war der Park wie ausgestorben. Nur am Schillerdenkmal stand eine blasse, unrasierte Gestalt auf einer Obstkiste.
"Kommt alle her, ihr Leute, wo immer ihr auch seid, ich habe euch wichtiges zu verkünden. Der alte Zarathustra hat mir gesagt, wir werden alle draufgehen wenn wir uns nicht ändern. Eine Sintflut wird kommen, wir werden naß bis auf die Knochen, und wer dann nicht schwimmen kann, der wird wie ein Stein absaufen!"
"Na, alles klar Nostradamus", rief Roman.
"Selbstverständlich, Herr Professor! Haben sie mal fünf Mark für mich, damit ich Opfergaben für Zarathustra kaufen kann?"
Roman mußte lachen.
"Leider habe ich mein Portemonnaie vergessen. Außerdem glaube ich nicht, daß Zarathustra so gerne Lambrusco trinkt."
"Ganz bestimmt trinkt er den. Schönen Feiertag, Herr Professor."
Roman lief weiter. Nostradamus hieß eigentlich Norbert Asmus, und redete jeden mit 'Herr Professor' an. Seit Roman sich erinnern konnte, gehörte Nostradamus genauso zum Park wie das Schillerdenkmal. Die Älteren erzählten, daß er früher Bankdirektor gewesen sei. Irgendwann soll er einem Freund einen Kredit genehmigt haben, der sich dann mit dem ganzen Geld nach Chile abgesetzt hat.
"Auf jeden Fall ein lustiger Vogel", dachte Roman, "wenn ich nur wüßte, wie dieses blöde Lied heißt."
Zu Hause ging er erst duschen, dann machte er sich eine Tasse Tee. Mit dem Frühstück wollte er warten bis seine Frau und seine Tochter wach waren. Im Lokalradio dozierte der Chefredakteur über die Aufgaben der Literatur:
"... Natürlich müssen Autoren und Kritiker Visionen haben. Sie müssen Propheten sein, und immer das Auge offen halten, damit sie keine Chance verpassen.
Doch Vorsicht, das Wort läßt sich nicht zurückholen und die Dinge sind im Fluß. Der Verlierer von heute kann der Gewinner von morgen sein. ..."
"Ein elender Schwafler", fand Roman, "könnte der mir nicht lieber sagen, wie das Lied heißt?"
Um zwölf waren dann auch seine zwei Frauen aus den Betten. Petra, seine sechzehnjährige Tochter, war gestern mit zwei Freundinnen auf einer Walpurgisnacht-Fete gewesen. Mit ihrem bleichen Gesicht und den schwarzen Ringen um die grünen Augen sah sie immer noch ein wenig wie eine Hexe aus. Als erfahrener Vater wußte Roman, daß er sie heute besser nicht ansprechen sollte.
"Gehst du heute mit zum Grillfest?", fragte Gisela, die zweitbeste Ehefrau von allen. (Der Titel 'beste Ehefrau von allen' war leider schon vergeben.)
"Ich komme später nach. Das heißt, falls mich der Bürgermeister bis dahin nicht vor das Standgericht gestellt hat, weil meine Frau in der SPD ist."
"Ach ja, ihr habt ja heute Klausursitzung wegen des Jugendzentrums."
"Der alte Sack von Bürgermeister hängt doch schon mit einem Bein im Grab", rief Petra dazwischen, "der hat doch keine Ahnung, was abgeht."
Roman mußte grinsen. Das Jugendzentrum war sein ganz spezielles Anliegen und heute sollte er seine Ideen der Fraktion vortragen. Der Bürgermeister hatte allerdings schon im Vorfeld signalisiert, daß er ein solches Projekt für überflüssig hielt. Das Angebot für die Jugend sei gut, meinte er, und er sähe nicht ein, ein Jugendzentrum zu unterstützen solange den Ortsvereinen der Nachwuchs fehlte. Dort sei der Platz der Jugend. Vor allem der Männergesangverein, dessen Vorsitzender er war, suchte dringend junge Menschen für seinen Knabenchor. Roman wurde wütend, wenn er die 'alte Garde' dort sitzen sah. Alte Männer, die an ihren Sesseln klebten, die nicht merkten, wie sich um sie herum alles veränderte, und die alle Neuerungen blockierten. Und dann ein Knabenchor. Ob die ihm vielleicht sagen könnten, wie das Lied heißt?
Gegen neun Uhr abends war Roman wieder zu Hause. Zum Grillfest hatte es natürlich nicht gereicht, seine Fraktionskollegen hatten mal wieder Sitzfleisch bewiesen. "BummBumm, BummBumm", aus Petras Zimmer kam ein ohrenbetäubender Lärm. Musik nannten die das. Roman holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und suchte nach einem Glas. Der Lärm in Petras Zimmer verstummte, doch zwei Sekunden später verkündete ein wildes Gepolter und Gegacker auf der Treppe, daß seine Tochter und ihre Freundinnen ein Attentat auf ihn vorhatten.
"Papaaaaaaaaaaaaaaaaaa, darf ich heute bei Geli übernachten? Der Freund ihrer Schwester legt heute im Bubbles auf, das wird ne Megaparty."
Roman sah sich seine Tochter an. Sein Einverständnis hatte sie bereits vorweggenommen und sich schick gemacht. Schuhe mit halsbrecherischen Plateausohlen, Hosen die sie nur mit diesen Schuhen tragen konnte, ein recht gut gefülltes T-Shirt, schwarze Lippen, seine Petra war schon lange nicht mehr sein kleines Mädchen.
"Und wer bringt euch nach Hause?"
"Gelis Mutter holt uns nachher ab. Darf ich?"
"Und diesen Krach wollt ihr euch wirklich antun."
"Ach Papa, du redest ja schon fast wie der Bürgermeister."
Volltreffer an seiner empfindlichsten Stelle, Roman mußte die Flagge streichen.
"Das war gemein von dir. Viel Spaß und hier - für ne Cola."
"Danke Papa, du bist echt voll krass."
Sie drückte ihm einen Kuß auf die Wange und verschwand. Roman nahm sein Bier, ging in sein Arbeitszimmer und legte sich eine CD ein.
"Ich verstehe nicht was die Kinder an diesem Krach gut finden können", dachte er.
"I know, it's only Rock'n Roll, but I like it", kam es aus den Boxen. Roman sah auf. Von dem Poster an der Wand grinste ihn Keith Richards an, so als wolle er sagen: "Was haben denn deine Eltern zu meiner Musik gesagt?"
Roman lächelte. Nein, verstehen konnte er die Kinder immer noch nicht, aber sollten sie doch feiern. Und plötzlich wußte er auch, welches Lied ihn den ganzen Tag verfolgt hatte. Weißt du es auch?

© Jörg Hofmann, 02/2002

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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