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Februar 2002
Momente
von Michael Jordan

Momente

Es war soweit. Eine Vielzahl von Dalis Bildern wurde in Berlin ausgestellt und ich befand mich nun hier, um sie mir anzuschauen.
Weit über eine Stunde hatte ich mich bereits umgesehen,- endlich stand ich vor meinem Lieblingsbild: The Persistance of Memory.
Meinen Füßen merkte ich jetzt eine gewisse Schwere an und die schlechte Luft hatte mich etwas müde gemacht. Die leere Bank vor seinem Werk lud mich zum verweilen ein. Ich setzte mich, versuchte mich zu entspannen und betrachtete Dalis “Erinnerungswerk”. Hin und wieder schloss ich meine Augen und versuchte mir vorzustellen, was ihn dazu bewegt haben mochte, dieses Bild zu malen.

*

Plötzlich befand ich mich in einem großen, fensterlosen Raum wieder, in dem die verschiedenartigsten Kerzen standen. Ganz schlanke, ohne jede Verschnörkelung, eckige in allen erdenklichen Farben, breite, mehrfarbige,...
Keine glich der anderen. Und doch war der Raum angefüllt mit ihnen. Ich stand einen Moment in diesem Kerzenmeer, bevor ich mich dazu entschloss, zwischen ihnen herumzugehen. Vorbei an ganz zierlichen, bunten Kerzen, so, wie man sie auf Geburtstagstorten findet, und an kleinen, runden,- Teelichtern ähnlich.
Die Flammen dieser kleinen Kerzen zuckten unruhig hin und her, so dass ich fürchten musste, selbst der Luftzug meines langsamen Vorbeigehens könnte ihr Scheinen beenden.
Mit weniger vorsichtigem Gefühl, konnte ich an den Kerzen vorbeigehen, die mich mitunter an Größe übertrafen und deren Umfang an uralte, mächtige Bäume erinnerte.
Sie beleuchteten einen weiten Raum um sich herum und ließen das Licht anderer Kerzen, die ihnen zu nahe waren, blass erscheinen.
So, wie viele der kleinen Kerzen nötig gewesen wären, einen größeren Bereich zu beleuchten, hätte es nur eines dieser Riesen bedurft, mit der Kraft seiner Flamme diese Weite zu füllen.
Mein Blick galt der Einzigartigkeit des Gesamtbildes. Ich konnte mich nicht auf eine einzelne Kerze konzentrieren oder für mich behaupten, dass ich eine für besonders schön gehalten hätte.
Ein wunderbares, warmes Gefühl durchströmte meinen Körper, unterbrochen von einer Stimme, die plötzlich in meinem Kopf war.
“Stelle dir vor, alle diese Kerzen wären Menschen, die dir auf deinem Lebensweg begegnen. Schau, wie unterschiedlich sie sind! Wie verschieden ihre Größen, ihre Farben, ihr Leuchten! Und wenn alle Menschen Kerzen gleich wären, müsstest du sie erst entzünden, bevor du sie in ihrer ganzen Pracht erkennen kannst. Doch du hast immer nur wenige Augenblicke, in denen es dir möglich ist. Denn in der Unendlichkeit dieses Raumes würdest du sie und dich verlieren. Also passe es gut ab! Den Moment, wenn sie dicht bei dir sind, ihr aneinander vorbeistreift. Denn sind sie einmal an dir vorübergegangen, kannst du sie vielleicht noch hören und sehen. Aber wie willst du etwas entfachen, was du zu erreichen nicht mehr in der Lage bist? Jeder, dem es gelingt, eine Kerze zu entzünden, wird von ihrem Licht berührt werden. Eine kleine Anstrengung, um die eigene Dunkelheit zu erhellen. Ein wenig Vertrauen, sich nicht zu verbrennen. Strecke deine Hand aus, bevor sie unerreichbar werden. Bevor es zu spät ist.”
Die Stimme in meinem Kopf verstummte. Doch noch immer hallten die letzten Worte in mir wider.

*

“...zu spät...”
“...zu spät...”
Ich fühlte eine leichte Berührung an der Schulter. Die Lichter entschwanden meinen Blicken und um mich herum wurde alles schwarz.
“Aufwachen! Es ist schon spät! Wir schließen gleich!”
Ich schlug die Augen auf und sah Dalis Bild vor mir. Und einen Sicherheitsmann, der mich gerade aus meinem Traum gerissen hatte.
Etwas zerknirscht und mich entschuldigend stand ich auf, ging zum Ausgang und nach Hause. Meine Gedanken beschäftigten sich noch immer mit meinem Traum, und ich war froh, ihn erlebt zu haben. Zur Ausstellung würde ich morgen noch einmal gehen. Und vielleicht würde ich mich dann vor einem anderen Bild ausruhen.

(c) Michael Jordan 02.2002



Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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