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Februar 2002
Spaziergang mit Gala
von Susanne Tank

Spaziergang mit Gala

(Hommage an Salvador Dali)

Peter Mattmüller taxierte zum zehnten Mal in fünf Minuten seine Armbanduhr. Es war kurz nach halb zwei. In einer halben Stunde sollte die Sitzung des Aufsichtsrates beginnen. Außerdem erwartete er voll Ungeduld einen Anruf aus London. Ein Superding, hatte Wolfgang Graf, sein Geschäftspartner, behauptet. Sie mußten nur schneller sein als die anderen. Sicher mußte er am Wochenende nach London fliegen. Karin würde wieder enttäuscht sein. Er seufzte und schälte sich aus seinem Ledersessel.
Seit letzter Woche hing an der Wand gegenüber von seinem Schreibtisch eine Wanduhr. Sie war ein Geschenk von Wolfgang und entsprach ganz dessen schrägen Geschmack. Weder rund noch oval, sondern irgendwo dazwischen, vollkommen asymmetrisch und an zwei Stellen eingedellt. Im silbrig weißen Zifferblatt entdeckte Peter den schwer leserlichen Namenszug irgendeines Designers, darunter stand in wackeligen Großbuchstaben: GALA.
Peters Hand berührte behutsam die Oberfläche. Auch sie war unregelmäßig, Seine Finger tasteten sich über Hügel und Täler aus glattem, kühlen Glas. Auf einmal sackten ihm die Beine weg, und ihm wurde schwarz vor Augen. Seine Hand krallte sich mit letzter Kraft in die Wolle des Teppichbodens.
Der Boden war warm, Sand rieselte ihm durch die Hand. Er öffnete die Augen. Sonnenlicht blendete ihn, und es dauerte ein paar Minuten, bis er etwas erkennen konnte.
Er saß mitten in einer menschenleeren Landschaft. Kein Laut war zu hören, nicht einmal ein leichter Wind wehte. Ein riesiger Strand dehnte sich nach allen Richtungen aus. Irgendwo weit in der Ferne, lagen das blaßblaue Band des Meeres und die bizarren Zacken einer Felsküste. Obwohl er jedes Detail wahrnahm-das Spiel von Licht und Schatten im zerklüfteten Gestein, das sanfte Leuchten der unbewegten Wasserfläche- schien ihm dies alles unerreichbar fern. Er stand auf und versuchte, in Richtung des Meeres zu laufen, immer schneller, bis er atemlos feststellte, daß er nicht von der Stelle kam.
“Spar dir die Rennerei”, spottete eine Stimme, “hier bestimme ich das Tempo.”
Peter bremste, fuhr herum und wäre beinahe erneut zu Boden gegangen. Wolfgangs Geschenk schwebte auf ihn zu, bewegte sich vollkommen schwerelos auf und ab.
“Du weißt ja schon, ich heiße Gala”, fuhr die Uhr etwas freundlicher fort, “Wie die Frau von Salvador Dali.”
“Dali!” japste Peter und faßte sich an den Kopf “Diese Landschaft...das ist doch...”
“The Persistance of Memory.Das Bild mit den zerfließenden Uhren.Du bist mittendrin.Und jetzt machen wir beide einen Spaziergang.”
“Oh nein!” stöhnte Peter , als er auf Galas Zifferngesicht die Zeiger unaufhaltsam vorrücken sah.“Ich habe um zwei einen wichtigen Termin. Später vielleicht.”
“Nichts da!” rasselte Gala, daß es Peter fast die Ohren zerfetzte.”Du bist hier im Land jenseits der Zeit, und ich bestimmte, wie schnell sie vergeht.” Die drei Zeiger begannen, bedrohlich vorwärts zu rasen.
“Ogott! Nein, bloß nicht! Ich tu ja alles, was du sagst.”
“Brav, mein Junge”, surrte Gala versöhnlich, “also gehen wir.”
Er lief weiter und immer weiter, durch unermeßlich weite Ebenen, während die Uhr an seiner Seite blieb. Mal huschte die Landschaft unscharf an ihm vorbei, dann wieder schienen sie sich im Zeitlupentempo zu bewegen, unendlich langsam. Manchmal begegneten ihnen andere Uhren. Eine Gruppe knallbunter Swatchs tickte aufdringlich laut durcheinander. Glitzernd und funkelnd zog eine hochnäsige Cartier vorbei. Eine fette, häßliche Rolex rollte am Boden entlang. Einmal kamen sie an einem Baum vorbei, an dessen kahlen Ästen mehrere Uhren schlaff und eingeknickt herabhingen.
“Schau Dir diese Penner an!” schrillte Gala.“Hängen nur rum, gehen alle nach oder sind stehengeblieben. Kein Wunder, daß sie keiner einstellt.”
Schließlich erreichten sie eine hohe Mauer, die sich durch die Unendlichkeit schlängelte.
“Das ist die Große Zeitmauer. Sie trennt mein Land von deinem. Wenn du durchschaust, siehst du, was gerade drüben passiert.”
Erst jetzt bemerkte Peter, daß sie kleine Löcher hatte, wie Schießscharten. Er zögerte, doch dann siegte die Neugier.
Vor seinen Augen lag sein Haus friedlich in der Mittagssonne. Karin saĂź im Garten, neben ihr der neue Nachbar von gegenĂĽber. Sie plauderten und lachten wie alte Freunde.
“Sie müssen unbedingt mal zu mir rüberkommen.” hörte Peter den Mann säuseln.“Ich brauche dringend jemanden, der mich ein bißchen beim Einrichten berät. Wissen Sie, als Single..”
Das reichte.
“Den Schnösel werd’ ich lehren, meine Frau anzubaggern!Bring mich sofort in meine Zeit zurück!”
“Erst schaust du noch ins nächste Loch.”
“Nein!” brüllte Peter.“Ich hab jetzt genug von diesen Verrücktheiten hier! Ich will nach Hause!”
Ein Höllengerassel war die Antwort. Er preßte die Hände auf die Ohren und hielt es für besser, Galas Befehl zu folgen.
Diesmal sah er Oliver, inmitten einer Bande halbwĂĽchsiger Jungs. Einer davon reichte kleine, weiĂźe Pillen herum. Peter kochte vor Wut.
“Dem Bengel zieh’ ich die Ohren lang! Ich schufte mich ab und er...”
“Wie wär’s, wenn du mal wieder mit ihm Fußball spielen gehst? Und mit deiner Frau ins Kino?”
“Du tickst ja nicht richtig. Für sowas hab ich keine Zeit!”
“ZEIT; ZEIT,ZEIT,ZEIT!!” höhnte das Echo. Dann wurde es still. Die Uhr war verschwunden. Dafür fand er nun eine Tür in der Mauer. Erleichtert öffnete er sie und trat hindurch. Endlich hatte der Spuk ein Ende.
Wieder fühlte er den Flaum des Teppichs in seiner Hand. Schwankend richtete er sich auf. Nur ein kleiner Schwächeanfall.Wahrscheinlich Schlafmangel.
Das Telefon klingelte. Er stürzte zum Schreibtisch. Die vertraute Stimme seiner Sekretärin beruhigte ihn auf der Stelle.
“Herr Direktor, die Sitzung wurde kurzfristig verschoben. Außerdem stelle ich Ihnen ein Gespräch aus London durch.”
Peter packte den Hörer fester. “Wolfgang?” Sein Blick wanderte zur Wanduhr. Sie zeigte immer noch kurz nach halb zwei. War es Einbildung, oder drehte sich der Sekundenzeiger auf einmal schneller?
Die Worte des Kollegen rauschten durch die Leitung: Riesenobjekt, Versteigerung, Zugreifen.
Nun hüpfte auch der Minutenzeiger aus der Reihe, und selbst der träge Stundenzeiger kam in Fahrt. Immer schneller rotierten sie, bis er sie nicht mehr sehen konnte.
“Nein, ich werde nicht nach London fliegen.” sagte Peter bestimmt und legte auf.
Er wählte Karins Nummer. Es dauerte, bis sie ranging. Saß sie etwa immer noch mit diesem Hanswurst zusammen?
“Hast Du Lust, am Wochenende ein Picknick am See zu machen? Außerdem könnten wir alle drei in den ”Herrn der Ringe” gehen.”
Die Zeiger bewegten sich, jeder in seinem Tempo, wie immer.
(c) Susanne Tank



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