Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Saniah lümmelte sich in der Krone ihres Lieblingsbaumes. Die alte Eiche stand direkt am R’hion, gegenüber der Tempelinsel. Von hier oben hatte sie die Schweine gut im Auge, die mit lautem Grunzen nach Eicheln schnoberten, welche jetzt im Herbst in rauhen Mengen am Waldrand zu finden waren. Vor allem aber konnte sie über die Mauer in den Tempelhof sehen.
Der Tempel des Aharon erhob sich auf der Insel in der Mitte des Flusses. Eine schmale Brücke führte hinüber, nicht mehr als ein Steg. Keineswegs besonders eindrucksvoll, und doch würde niemand wagen, ihn ohne Einladung und guten Grund zu überschreiten, denn auf der anderen Seite erwartete K’chra alle Besucher – ein grosser, roter Drache. Wie meist um diese Zeit, wenn die Sonne sich dem Zenith näherte, sonnte K’chra sich auf dem weissen Felsen, der wie eine Nase aus der Uferböschung wuchs und einen guten Rundumblick garantierte. Hin und wieder schien eines der goldfarbenen Augen zu Saniah hinüber zu blinzeln, aber Saniah wusste, dass sie sicher war, so lange sie nicht versuchte, die Brücke zu überqueren.
Im Tempelhof beendeten die Priester gerade ihre morgendlichen Übungen. Jeden Tag wurden sie im Schwertkampf und im Reiten unterwiesen. Die Priester des Aharon versahen ein zu wichtiges Amt, als dass sie sich allein auf die Macht ihrer Worte hätten verlassen können.
Während T’hebai sein Schwert dem Waffenmeister aushändigte, äugte er unaufällig zu der alten Eiche am anderen Flußufer hinüber. Er war sich beinahe sicher, ihren Schatten dort in der Krone erkennen zu können. Wieder einmal nahm er sich vor mit K’chra zu sprechen. Es ging nicht an, dass eine Schweinehirtin aus dem Dorf sich die geheimen Rituale des Schwertkampfes aneignete. Diese Bewegungen waren heilig, sie durften nur von den geweihten Priestern des Aharon ausgeführt werden. K’chra hatte dafür zu sorgen, dass im Tempel geheim blieb, was geheim bleiben musste. Vielleicht sollte er gleich zu Pro’ost Har gehen, dem Oberpriester. Der würde wissen, was in einem solchen Fall zu unternehmen war. Dann wieder wurde er unsicher. Er wusste, der Oberpriester verstand keinen Spaß, wenn es um die Einhaltung der Ordensregeln ging, und die Geheimhaltung aller Rituale stand ganz oben in der Regelliste.
Saniah wartete, bis alle Priester durch das innere Portal verschwunden waren, dann rutschte sie den Baumstamm hinab und pfiff ihren Hund Harun herbei. Die beiden tollten auf der Wiese umher, als Harun unvermittelt die Nackenhaare hoch stellte und tief in der Kehle zu knurren begann. Saniah ließ sich nichts anmerken, aber innerlich versteifte sie sich in Alarmbereitschaft. Sie beugte sich nieder, um seinen Rücken zu kraulen, und sah zwei beschuhte Füsse, die keine drei Spannen weit entfernt standen. Sie gehörten zu einem noch jungen Mönch in der glänzenden, silbernen Rüstung seines Ordens. Seine behandschuhten Finger spielten mit dem Knauf eines grossen Dolches. Er liess Harun keine Sekunde aus den Augen, kam aber auch nicht näher. Ein leichter Windstoss liess den roten Umhang der Sekte flattern. Saniah fasste Harun im Nackenfell. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, das ihr Hund einen der Mönche angriff. Sie lächelte den Fremden an.
„Hallo“, sagte sie unsicher.
Er blickte sie nur schweigend an. Harun entspannte sich und legte sich nieder, aber bevor sie sich um ihn kümmern konnte, spürte sie, wie der Mönch in ihren Geist eindrang. Ihr stockte der Atem. Das war verboten, das war Magie. Dennoch wehrte sie sich nicht. Ein Priester, der das Verbot gegen die Telepathie überschritt, war eine Sache. Eine Schweinehirtin, die das Selbe tat, eine ganz andere – meist eine Tote. Erst letzten Monat wieder hatte es im Nachbardorf eine Verbrennung gegeben. Diesmal hatte es die Heilerin des Dorfes erwischt. Ihr wurde vorgeworfen den Bürgermeister verhext zu haben. Dieser war über Nacht in Verwirrung gefallen. Seitdem murmelte er seltsame Dinge vor sich her, Prophezeihungen über das Ende der Gefangenschaft der Götter, über das Ende der Welt gar. Vorher hatte er einen von der Heilerin bereiteten Kräutertee getrunken. Denselben, den er seit Jahren gegen seine Schlaflosigkeit einnahm, hatte die Heilerin geschworen. Es hatte ihr nichts genutzt. Der Mönch lächelte.
„Wer hat dir das beigebracht?“
“Was?“
„Die Technik, wie man sich einer Geistbefragung entzieht.“ Sein Tonfall war leicht, fast spielerisch, doch Saniah wusste, sie bewegte sich auf hochgefährlichem Gebiet.
„Ich - ich weiss nicht, wovon ihr redet, Herr.“ Sie sah zu Boden, konnte dem Blick der stahlblauen Augen nicht länger stand halten.
„Sieh mich an.“
Unwillig fixierte sie sich wieder auf sein Gesicht.
„Gut so. Komm näher.“
Ohne es zu wollen ging sie einen Schritt auf ihn zu.
„Noch näher.“
Sie ging noch einen Schritt, und noch einen, und noch einen, bis sie schließlich so dicht vor ihm stand, dass sie seinen Geruch nach Leder und etwas Unbekanntem kaum noch ertragen konnte. Bis ihre Brust gegen seinen Harnisch stieß.
„Und nun hör mir genau zu. Ich weiß, dass du von dem Baum da vorne unsere Schwertübungen beobachtest.“
Saniah wurde schwarz vor Augen. Das war ihr Todesurteil. Er ergriff ihren Arm.
„Ich werde dich nicht verraten, aber du musst mir versprechen, damit aufzuhören. Verstehst du? Mach das nie, nie wieder.“ Schmerzhaft schnitten ihr seine Finger ins Fleisch. Sie konnte nicht sprechen, aber sie schüttelte heftig den Kopf. Er sah ihr noch einmal tief in die Augen, dann drehte er sich abrupt um und schritt davon. Sie sank zu Boden, umarmte Harun und suchte Schutz in seinem dichten Fell, das ihre Tränen schluckte als seien sie Regentropfen.
Als T’hebai sich aufmachte zur Versammlung, dachte er noch immer an dieses Mädchen. Ihre hellen Augen, wie sonnendurchschienenes Wasser, die sommersprossige Haut, ihr Formen ... er seufzte. Keine der Tempelhuren konnte seine Gelüste befriedigen, ihre Geister waren so leer, dass er nachher immer einen schalen Geschmack zurückbehielt. Aber sie hatte Kräfte. Er war nicht in der Lage gewesen, in ihren Geist einzudringen. Nur kurz hatte er ein Bild erhascht, von einem jungen Mann, der ihr sehr ähnlich sah, wie er in einem Klosterhof die heiligen Schritte einstudierte. Wohl ihr Bruder. Ob sie deshalb die Mönche beobachtete, weil sie ihren Bruder vermisste und sich ihm so näher fühlte?
In der großen Halle suchte er sich einen Sitzplatz weit hinten, damit er nach der Versammlung schnell raus kam. Er hatte noch etwas vor heute Abend.
„Brüder!“, schallte die Stimme des Obersten Wächters durch den Raum. „Ich habe euch zusammen gerufen, um euch für die drohende Gefahr zu wappnen. Auch hier, in unserem so friedlich scheinenden Dorf, sind die Mächte des Bösen am Werk. Auch hier, an unserem Busen, nährt sich die Schlange. Heute haben wir eine Frau verhaftet, die der Magieausübung bezichtigt wird. Sie heißt Lilith und kommt aus Laondhar, unserem unheiligen Nachbarland. Im Moment ist sie in den Kellergewölben und wird verhört. Noch leugnet sie die Anwendung der dunklen Mächte, aber wir haben in ihrem Haus eindeutige Anzeichen gefunden: eine schwarze Katze, einen schwarzen Hahn, und ein Buch in einer uns unbekannten Sprache.
Brüder, ich rufe euch auf zu nie nachlassender Wachsamkeit. Denkt immer daran: das Böse lauert überall, und es versteckt sich hinter tausenderlei Gesichtern. Zögert nicht, mir oder meinen Mitwächtern jedes auch noch so kleine Vergehen, jeden noch so unbegründet scheinenden Verdacht zu melden. Kein Zeichen ist zu gering für das geübte Auge. Aber maßt euch nicht an, das Böse allein erkennen oder gar bekämpfen zu können. Wendet euch vertrauensvoll an erfahrenere Brüder.
Der Segen des Heiligen ist mit euch, Brüder. Lasst nie nach in eurem Eifer, nicht einmal in der Ruhe der Nacht. Betet für die arme Seele der Frau, denn sie wird eure Gebete brauchen.
Wohlan, Brüder, im Namen des Heiligen, der den Schutz des Gottes Aharon verkörpert, geht nun zur Ruhe.“
Seine Stimme hallte noch nach in dem großen Raum, da sprang T’hebai schon auf. Das war zuviel. Bisher hatten die hiesigen Wächter sich zurückgehalten bei der Verfolgung sogenannter Magieverstösse; es war erst einige Monate her, seit der Heilige offiziell die Anwendung von Magie geächtet hatte, und Pro’ost Har vertrat die Meinung, man müsse dem Volk Zeit geben, sich mit den neuen Gesetzen vertraut zu machen. Aber nun, so schien es, hatten die Wächter sich selbständig gemacht.
Während er durch die Nacht lief, verfolgte ihn ständig das Bild der Frau im Kerker. Wahrscheinlich wurde sie schon der peinlichen Befragung unterzogen. Ihn widerte das an. Er konnte auch nicht verstehen, warum es Mönchen gestattet sein sollte, Magie zu nutzen, aber nicht den einfachen Bürgern des Landes. Die offizielle Begründung lautete, die ungebildeten Menschen sähen nicht die Gefahren, die von der Magie ausgingen. Das Böse könne sich jederzeit manifestieren, und wo Magie benutzt wurde, dahin ging das Böse. Nur die Mönche mit ihrer Spezialausbildung könnten mit den so angelockten Dämonen fertig werden. T’hebai hielt das für ausgemachten Unsinn. Es war ein Mittel mehr, das Volk in seiner Unmündigkeit festzuhalten, ebenso wie das Verbot gegen Bücher. Seit einigen Monaten war es Privatleuten untersagt, Bücher zu besitzen. Sie durften nur noch in den Klosterbibliotheken aufbewahrt werden. Zugang erhielten nur bestimmte Mönche. T’hebai spuckte aus. Er wollte nicht zum Werkzeug einer Diktatur werden.
Vor ihm tauchten die Tore in die Katakomben auf, bewacht von zweien seiner Brüder. Er salutierte.
„Friede, Brüder. Ich komme von Pro’ost Har und muss zur Gefangenen.“
Saniah lag auf dem Bett und weinte unaufhörlich. Hätte sie doch nie den Baum bestiegen. Sicher waren die Wächter so auf ihre Familie aufmerksam geworden. Was sollte sie nur tun? Sie musste doch ihrer Mutter helfen, aber wie? Jeder wusste, dass einmal angeklagt so gut wie tot war. Harun lag neben dem Bett und hatte den Kopf auf seine Pfoten gebettet. Aus großen, dunklen Augen blickte er zu ihr hoch. Hin und wieder winselte er leise.
Plötzlich klopfte es an die Tür. Ihr Vater, der, den Kopf in den Händen vergraben, am Tisch gesessen hatte, rappelte sich mühsam hoch und öffnete. Draussen stand ein Mönch, derselbe, der sie heute auf der Weide angesprochen hatte. Kam er um auch sie zu holen? Na gut, sollte er sie doch mitnehmen! Dann wäre sie wenigstens bei ihrer Mutter. Trotzig wischte sie die Tränen aus dem Gesicht. Harun hatte den Kopf gehoben und wedelte leicht mit dem Schwanz. Saniah stupfte ihn mit dem Fuß an, hör auf, dachte sie, der will mir böses. Harun reagierte nicht und wedelte weiter. Saniah fühlte sich verraten. Sogar ihr bester Freund hatte sich gegen sie gewandt.
„Was wollt ihr, Herr?“, hörte sie ihren Vater fragen. „Habt ihr noch nicht genug? Wollt ihr meine ganze Familie zerstören? Nun, denn nehmt doch mich auch gleich mit.“ Er schlug sich mit der Faust auf die Brust.
Ruhig wartete der Mönch, bis der Ausbruch vorbei war. Erst dann sprach er.
„Ich bin gekommen, weil ich mit eurer Tochter sprechen muss. Ist sie daheim?“
Mit einem Wink des Kopfes wies ihr Vater auf die Ecke, in der sich ihr Bett befand. Der Mönch kam auf sie zu. Kurz vor dem Bett hielt er an und beugte sich nieder, um Harun über den Kopf zu streichen. Harun leckte ihm die Hand.
„Ich muss mit dir sprechen, Mädchen. Hast du einen Namen?“
Trotzig starrte Saniah ihm entgegen. Sie schwieg.
„Nun, ich kann verstehen, dass du schockiert und wütend bist. Mir geht es genauso, deswegen bin ich hier. Nicht alle Auserwählten sind mit den neuen Gesetzen einverstanden, oder mit den Methoden ihrer Durchsetzung. Ich weiß, dass du Magie besitzt. Du musst fliehen. Sofort. Ich werde dir helfen.“
„Ich gehe nicht weg. Nicht, solange meine Mutter im Gefängnis sitzt.“
„Willst du sie unbedingt auf den Scheiterhaufen begleiten? Ihr kann niemand mehr helfen.“
„Ich gehe nicht ohne meine Mutter. Morgen werde ich bei eurem Oberpriester vorsprechen. Er muss mich anhören. Meine Mutter hat nie, niemals Magie benutzt. Sie hasste die Zauberei. Ihr Vater war ein mächtiger Magier, er ist durch einen Unfall beim Sprechen einer Beschwörung getötet worden. Sie hat niemals Magie angewandt. Nie.“
Saniah brach in haltloses Schluchzen aus. Der Fremde setzte sich neben sie auf das Bett und nahm sie in die Arme. Er wartete geduldig bis ihre Schluchzer abklangen, dann drückte er sie von sich weg und sah sie eindringlich an.
„Du musst fliehen. Sofort. Pack ein paar Sachen. Ich weiss, wo du fürs Erste sicher sein wirst.“
Der Vater war ans Bett getreten und blickte Saniah tiefernst in die Augen.
„Er hat Recht, Kind. Du musst hier weg. Wenn die Wächter einmal anfangen ...“
„Aber, Vater, ich -“
Doch S’haktom schüttelte nur den Kopf. Saniah fühlte sich, als ginge die Welt unter, in genau diesem Moment. Die Mutter im Folterkeller, überliess der Vater sie diesem Fremden. Woher konnte er denn wissen, dass er sie nicht auch in den Keller schleppen würde?
„Wenn die Wächter mich gesandt hätten, wäre ich nicht allein gekommen. Sie haben keine Notwendigkeit für Geheimhaltung, im Gegenteil. Hast du irgendwelche Sachen, die du mitnehmen möchtest? Ein kleines Bündel kannst du packen, aber schnell.“
Saniah sah nur noch Schemen um sich herum. Mitnehmen? Sie hatte ja nichts als die Kleider, die sie am Leibe trug, und Harun.
„Nein, ich brauche nichts, ich habe sowieso schon alles verloren. Harun, komm, wir gehen.“
„Der Hund bleibt hier.“
„Was?!“
„Der Hund bleibt hier.“
Saniah hatte nicht mehr die Kraft zu kämpfen. Wortlos wandte sie sich zur Tür. Hinter ihr schluckte der Vater, ging auf sie zu: „Kind, ich – es tut mir leid, aber es ist zu deinem Besten.“ Sie ging weiter, hinaus in die schwarze Nacht. T’hebai führte sie in den Wald. Auf einer Lichtung hielt er an und pfiff leise. Drei große Schatten kamen vom Waldrand her auf sie zu – Pferde, von denen eines ein Packpferd zu sein schien, denn quer über seinen Rücken hing ein Sack.
„Steig auf, wir haben es eilig.“
Widerspruchslos gehorchte Saniah. Sie ritten die ganze Nacht hindurch, und im Morgengrauen hatten sie die Grenze erreicht. Saniah war müde, kalt und hungrig. Aber all das merkte sie nicht, denn innerlich war sie wie tot. Ihr war alles genommen worden.
„Siehst du das Kloster dort drüben?“
Sie starrte aus roten Augen in den Morgennebel. Am anderen Ufer des S’harrom erhob sich eine graue Anlage, viel grösser als das Kloster des Aharon in ihrem Heimatdorf, dem Dorf, das nie mehr ihre Heimat sein konnte.
„Und?“
„Das ist das Kloster der Schwestern des Himmels, eine Schwesternschaft, die sich der Pflege und des Unterrichts in der Magie verschworen hat. Dort wirst du Aufnahme finden, und sie werden dich unterrichten. Ich kann nicht mit dir über die Grenze, aber ich werde dich wiedersehen, eines Tages. Bis dahin, pass auf dich auf.“
Damit drückte er ihr die Zügel für das Packpferd in die Hand. Saniah ritt ohne ein Wort des Abschieds los, über die Brücke und weiter, auf das grosse Tor zu. Als sie davor angekommen war, glitt sie vom Pferd, dann drehte sie sich doch noch einmal um, aber er war verschwunden. Hier stand sie also nun, allein, von aller Welt verlassen, und sollte in eine Kloster gehen, sie, eine einfache Schweinhirtin. Sie seufzte und erhob die Hand, um an die Tür zu klopfen. Plötzlich fiel der Sack von dem Packpferd. Sie drehte sich um und musterte ihn gleichgültig. Dann bemerkte sie einen Zipfel roten Stoffes, der am oberen Ende herausragte – ihre Mutter hatte ein Kleid aus einem ganz ähnlichen Stoff getragen, gestern, bevor die Mönchssoldaten sie entführt hatten. Saniah schossen wieder die Tränen in die Augen. Durch den Schleier meinte sie zu sehen, wie der Sack sich bewegte. Sie stieß ihn mit dem Fuß an und hörte ein Stöhnen. Als sie auf die Knie ging, um den Sack zu öffenen, bemerkte sie nicht einmal die Verletzungen, die sie sich dabei zufügte. Mit zittrigen Fingern löste sie den Knoten, der das Lederband hielt, und zog es aus der Tunnelnaht. Langes, schwarzes Haar quoll ihr entgegen. Sie zerrte an dem Sack, und schließlich gelang es ihr, die Gestalt daraus zu befreien. Es war ihre Mutter, schwer verletzt, aber lebendig. Eben wollte Saniah aufspringen, um an die Klostertür zu klopfen, aber da schwang schon der schwere Türflügel beiseite, und vor ihr stand eine Frau in einem bodenlangen, weissen Gewand, die sie anlächelte.
„Du musst Saniah sein, wir haben dich schon erwartet. Komm rein. Wir werden euch helfen.“
Die Frau nahm Saniah in die Arme, und während hinter ihr Nonnen ihre Mutter auf eine Bahre legten, begann sie zu glauben, dass eines fernen Tages alles wieder gut werden würde.
(c) Katja-Nathalie Obring
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