Bitte lächeln!
Bitte lächeln!
Unter der Herausgeberschaft von Sabine Ludwigs und Eva Markert präsentieren wir Ihnen 23 humorvolle Geschichten.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » G. K. Nobelmann IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Mrz 2002
Der Entzauberer
von G. K. Nobelmann


Die Trolle nervten ihn am meisten. Jeden Abend, kurz, nachdem die Sonne untergegangen war, kamen sie aus dem Wald gekrochen, näherten sich grunzend und schnaufend dem Haus, und jeden Abend hatte er das Gefühl, daß sie sich ein Stück dichter heranschoben. Er sprach mit Werda darüber, aber sie zuckte nur die Achseln und erklärte, daß er sich einfach schwertat mit der Umstellung. Das Leben auf dem Land war nun einmal anders als in der Großstadt. Aber er würde sich schon daran gewöhnen, und irgendwann würden sie es gar nicht mehr anders haben wollen.
Sie lächelte, aber seine Niedergeschlagenheit nahm dadurch höchstens zu. Es waren nicht nur die Trolle. Sie gingen ihm auf den Geist, sicher; sie raubten ihm die Konzentration mit ihrem Geschnüffel und dem Höllenlärm, den sie veranstalteten, wenn sie wieder einmal durch seinen Müll gingen. Aber damit konnte er leben; selbst der Gedanke an eins ihrer dummen, haarigen Gesichter an der Terrassentür erschien ihm banal, wenn Werda wieder einmal spät von der Abendschule kam und eins oder zwei der Viecher sehr beiläufig mit einem kurzen Schwenk des Handgelenks und ein paar Worten in Stein verwandelte. Sie hatten bereits wieder fünf oder sechs unförmige Findlinge auf dem Rasen. Am Anfang hatte Hergard sich noch damit vergnügt, an einer Maschine zu arbeiten, die das Entfernen der Blöcke so leicht machen würde wie das Ausgraben eines Maulwurfshügels. Dann war Geromar vorbeigekommen, hatte kurz mit Werda über den Zaun hinweg gescherzt, und im nächsten Moment waren die Findlinge Vergangenheit. Staub im Gras. Hergard war in seinen Tüftlerkeller gestiegen und hatte den Prototyp des Steinlifters zertrümmert, ohne ein Wort.
Jeden Tag, wenn er vom Einkaufen kam, verhöhnte ihn das Schild an seiner Tür; >Hergard Borrenbring, Erfinder<. Er selbst hätte es längst abgenommen, aber es war ein Geschenk von Werda gewesen. Mittlerweile wußte er nicht mehr, ob er dieses Relikt als Erinnerung an den Stolz alter Tage oder als Ermahnung sich selbst gegenüber über der Türglocke hängen ließ. Stolz hatte ihn und Werda hierher verschlagen, in ein altes Häuschen am Rand eines bedeutungslosen, trollinfizierten Waldes, zehn Minuten Fußweg von einem gleichfalls bedeutungslosen Dorf voller Leute, die nichts als Mitleid für ihn empfanden; davon war er überzeugt. Allerdings nicht halb so viel wie für Werda. Zum Beispiel Geromar. Ein netter Kerl, wenn man gutaussehende, alleinstehende Ungeziefer- und Kroppzeugmagier mochte. Hergard haßte ihn, umso mehr, als ein U&K in diesen Breiten hochangesehen war und, wenn er es darauf anlegte, Geld wie Heu scheffeln konnte. Geromar legte es nicht darauf an, und das machte ihn den Dorfleuten noch sympathischer. Den Dorfleuten, zu denen vielleicht (und vielleicht auch nicht) Werda Borrenbring gehören mochte, ihres Zeichens Mittelstufenlehrerin, dazu verdammt, begriffsstutziger Dorfjugend am Abend das einzutrichtern, was die Bälger tagsüber nicht kapiert hatten. Eine Hilfslehrerin, genaugenommen. Werda tat, als fände sie ihre neue Stelle erfrischend, aber Hergard wußte, daß es ein herber Abstieg für sie war. Gestern noch auf den oberen Stufen der Karriereleiter, mit der Aussicht, eine der wenigen Frauen im Allgemeinen Kolloquium zu werden. Heute wenig mehr als eine Kasperlezauberin. Wegen ihm.
Von oben hörte er das Scharren von Trollkrallen auf Metall; versuchten sie also wieder, den Deckel von der Mülltonne zu pulen. Hergard wollte die Kellertür zuziehen, aber etwas, Eitelkeit vermutlich, ließ ihn mit angehaltenem Atem lauschen – die Biester würden sich wundern, gegen seinen Spezialriegel kamen auch die geschicktesten Pranken nicht an. Natürlich hätte ein Öffne-dich-nicht-Spruch denselben Erfolg gehabt. Seine Brauen senkten sich, und er schlug die Tür ins Schloß. Über ihm flackerte die Öllampe, die niemand sonst brauchte, niemand im Haus, niemand im Dorf, niemand, so schien es, auf der ganzen verdammten Welt, außer ihm. Er kniff die Augen zusammen und begann, Schrauben zu ordnen, Handvoll um Handvoll kleiner und größerer Schrauben, die er am Morgen in einem Wutanfall durch den Raum geschleudert hatte. Mittags hatte er begonnen, sie zusammenzusammeln; den Nachmittag über hatte er sie grob in Häufchen eingeteilt. Was war ein Erfinder ohne Ordnung, dachte er. Was war ein Erfinder ohne Schrauben?
Er warf einen Blick auf die Uhr, die er selbst gebaut hatte. Kurz nach neun. Von Werda keine Spur. Die Schule lag neben der Dorfkneipe, einer verrauchten Spelunke mit dem Namen “Einhorn und Sattel”; manchmal trank Werda mit den beiden anderen Lehrern nach dem Unterricht noch ein Bier. Was ihn nicht weiter störte, nur, daß das “Einhorn” der Tummelplatz dessen war, was das Dorf an attraktiven Junggesellen aufzuweisen hatte. Geromar zum Beispiel... Aber was dachte er schon wieder an Geromar; der Kerl konnte ihm gestohlen bleiben, ein Provinzheld, der auf Grashalmen kaute. Niemand, für den eine Klassefrau wie Werda...
Oben schepperte hohles Metall auf Stein, und Hergards Finger ließen die Schraube in das falsche Fach fallen. Er wollte fluchen, aber es reichte nur zu einem hoffnungslosen Seufzen. Einen Moment lang saß er nur da, die Beine untergeschlagen, und lauschte auf das Geknurre und wütende Geschmatze vor dem Haus.
Es war nicht so, daß Werda ihn absichtlich ausschloß. Oft genug hatte sie ihn eingeladen, sie nach der Arbeit im “Einhorn” zu treffen. Die Wahrheit war, er hatte Angst. Der Weg ins Dorf führte durch den Wald, und er fürchtete sich vor den Geräuschen im Unterholz, dem Leuchten der Trollaugen in der Dunkelheit. Er hatte keine Möglichkeit, sich die Trolle vom Leib zu halten, und sie schienen es zu wissen; egal, wie bedrohlich er die Untierpeitsche schwang, die Trolle rückten stumm und unaufhaltsam näher. Als witterten sie, daß die Peitsche in seiner Hand keine Macht besaß. Wenn Werda ihn begleitete, ließen sie sich nicht blicken. “Siehst du”, sagte Werda dann, “im Endeffekt sind sie auch nur große Ratten”, und sie betrachtete ihn aus Augen, in denen sich eine Liebe spiegelte, die ihm allerhöchstens mütterlich vorkam.
Er klappte den Schraubenkasten zu. Die Öllampe zischelte. Sie hing an einem Haken, abnehmbar, damit Hergard sie mit sich von Zimmer zu Zimmer tragen konnte. Ein antikes Stück; er hätte zehn davon für einen Frilling kaufen können, aber auch Hergard hatte seinen Stolz. Er mochte nicht in der Lage sein, Glimmlicht zu entzünden, aber irgendwann würde er eine Lampe bauen, die jedes Glimmlicht in den Schatten stellte. Irgendwann. Nicht gerade jetzt, vielleicht. Sein Gesicht verfinsterte sich. Nein. Ganz bestimmt nicht jetzt.
Er fragte sich, was Werda mit ihren Kollegen besprechen mochte, wenn sie über ihren Gläsern saßen; ob die beiden sie ebenfalls bedauerten, oder ob von ihnen vielleicht sogar eine Art Verachtung kam. Eigentlich war Werda überqualifiziert für die Stelle; sie war ausgebildet, begabte Schüler in die Feinheiten der Wolkendeutung einzuführen, nicht, den Dorfdeppen beizubringen, wie sie Schutzkreise um Getreidespeicher zogen und Kühe gesundsprachen. Daß sie mit einem Mann verheiratet war, der nichts davon beherrschte, dem Dinge schwerfielen, die einem Kleinkind keinerlei Probleme bereitet hätten, machte Werdas Position schwierig. Warum, hieß es, stellte man eine Lehrerin ein, die nicht mal ihrem eigenen Mann die Grundzüge der Magie beibringen konnte? Was für eine Lehrerin >war< sie?
Werda lachte seine Befürchtungen vom Tisch, nannte sie dummes Geplapper, aber irgendwo tief in ihr mußte es nagen. Deshalb machte ihm Geromars Aufmerksamkeit Sorgen. Werda war hübsch. Nicht schön, aber hübsch. Und erfolgreich. Für Geromar stellte sie das Ticket in die Stadt dar, den Aufstieg in Gute Gesellschaft. Keine Entflohungen mehr; keine Bannsprüche gegen Regendrachen oder Nixen oder tollwütige Flatterbären.
Hergard stellte den Schraubenkasten ins Regal zurück. Die Trolle hatten sich beruhigt; die Paarungssaison stand bevor, da hatten sie anderes im Kopf als traurige Figuren wie ihn. Er kratzte sich den Scheitel, die Augen auf den Mappen, in denen sich Pläne türmten. Pläne für Flugmaschinen und Brotröster, für Dosen, die Speisen länger frisch hielten, Eimer mit eingebauter Seife, Geräte, die einem das Gehen abnahmen, Hüte, die vor Regen und Hitze gleichermaßen schützten. Allesamt Pläne, die er umgesetzt hatte, um jedesmal an irgendeinem Punkt festzustellen, daß es in dieser Welt keinen Bedarf für seine Erfindung gab. Die Menschen kamen prima ohne ihn zurecht, wenn nicht besser. Sie flogen auf Besen. Sie reinigten ihre Böden mit einem guten Dutzend Wörter. Sie umgaben sich mit einer unsichtbaren Haut, die ihnen Wasser und Wind vom Leib hielt. Nur Hergard wurde naß; nur Hergard mußte laufen.
Er ließ sich schwer auf seinen Drehstuhl sinken, die Platte des Arbeitstisches vor der Brust. Auf dem Tisch eine halbfertige Skizze. Hergard griff nach dem Bleistift, zog ein paar Linien, runzelte die Stirn und radierte die Hälfte wieder aus. Er hatte nichts anderes zu tun. Das Erfinden unnötiger Gegenstände war das einzige, was ihm blieb. Sie hatten nicht einmal Kinder. Werda war dagegen. Sie schob es auf ihr niedriges Gehalt, aber Hergard ahnte, daß er der Grund war. Sie hatte Angst, noch jemanden in die Welt zu setzen, der so war wie er. Am Ende breiteten seine Nicht-Fähigkeiten sich aus wie eine Seuche, mit jeder Generation befiel sie mehr. Hergard stellte fest, daß er nichts dagegen gehabt hätte. Sollten sie doch aussterben, die Hexen und Zauberer, für die Magie so selbstverständlich war, daß sie nicht einmal darüber nachdachten. Sollten sie doch.
Die Spitze des Bleistifts brach ab und hinterließ einen krummen Strich auf dem Papier. Hergard radierte wieder. Vielleicht, dachte er, wäre ihm der Untergang der Welt nicht ganz so verlockend vorgekommen, wenn er sich ein kleines bißchen weniger einsam gefühlt hätte. Aber er konnte die Welt nicht untergehen lassen, nicht einmal ein ganz kleines bißchen. Jedenfalls... Er ließ den Stift sinken.
Jedenfalls nicht die ganze.


“Du arbeitest nicht wieder an deiner glimmlosen Lampe, oder?”
Werda warf ihre Tasche aufs Sofa und ließ mit einer kurzen Geste das Deckenlicht aufflammen. Ihre Stimme klang beiläufig, aber sie sah ihn nicht an. Hergard roch Rauch und Alkohol an ihr. Geromar hatte sie nach Hause gebracht; er hatte ihre Stimmen in der Sommerluft gehört, bevor Werdas Absätze auf den Steinen klapperten.
“Ich kümmere mich gleich um den Dreck draußen”, sagte er. Seine Hände kneteten den Saum seines Hemdes. “Ich wollte es vorhin schon, aber...”
“Hergard.” Sie musterte ihn, einen Arm in der Seite. Dann seufzte sie. “Deine Lampe. Ja oder nein?”
“Nein!” Er schüttelte hastig den Kopf. “Ganz bestimmt nicht. Ich, äh... ich brauche keine Lampe.”
Ihr Gesicht wurde weicher. “Wenn du dir nur ein bißchen Mühe geben würdest”, meinte sie fast sanft. “Jeder kann es lernen, weißt du. Manche leichter, manche brauchen länger. Aber du könntest es.”
Hergard senkte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, etwas zu sagen, wenn sie in dieser Stimmung war. Sie hätte versucht, einem Blinden das Sehen beizubringen. Er kannte die Gesten, die Sprüche, die Intonierungen. Trotzdem funktionierten sie bei ihm nicht. In seinen Händen wurde das zauberkräftigste Instrument zu Tand. Er dachte an den zusammengerollten Plan auf seinem Arbeitstisch; ein Lächeln wagte sich auf sein Gesicht.
“Ach, was rede ich.” Werda wandte sich ab. In dem Moment, in dem sie den Kopf drehte, meinte Hergard, etwas an ihrem Hals zu sehen, dort, wo die weiße Haut ihres Nackens im Kragen der Bluse verschwand. Das Lächeln erstarb. “Tu mir nur den einen Gefallen. Verbrenn die Pläne für die Lampe, bevor ich es tue. Das hier”, sie schenkte ihm einen scharfen Blick, “ist unsere letzte Chance. Für jemanden mit meiner Qualifikation geht es nicht weiter nach unten, das weißt du. Es kann nur besser werden. Und es >wird< besser werden. Solange du nicht wieder...”
Er packte den Schrubber, mit dem er den Unrat vor der Haustür hatte zusammenfegen wollen, und schleuderte ihn durch das Zimmer. “Es war ein Unfall, in Dreiteufelsnamen! Ich wollte es nicht, hörst du? Ich konnte nicht ahnen, daß dein verdammtes Hexenglas so leicht schmelzen würde! Meinst du, ich >wollte<, daß die Wohnung abbrennt? Glaubst du das wirklich?”
“Ich wollte nur sagen, daß wir uns einen weiteren Unfall nicht leisten können.” Sehr selbstverständlich stieg Werda über den Schrubberstiel, als sie aus dem Zimmer ging. “Und den Trolldreck übernehme ich. Mach dir nicht die Finger dreckig.”
Wütend griff Hergard Schrubber und Handschuhe und trat in die grillenzirpende Nacht.


Es dauerte mehrere Tage, bis er seine Chance bekam. In der Zwischenzeit war die Zahl der versteinerten Trolle auf neun angestiegen; die Lust machte sie unvorsichtig. Geromar, eine Schürze umgebunden, kam durch den Morgen spaziert, voll von sonntäglichem Tatendrang. An der Hüfte trug er seinen Trolldolch. Die wenigsten Menschen waren bereit, einen Troll dicht genug an sich heranzulassen, um ihn mit dem Dolch zur Strecke zu bringen; eher beließ man es dabei, ihn mit der Peitsche zu vertreiben. Aber die Biestpeitsche war nicht gut genug für einen U&K von Geromars Statur. Hergard beobachtete ihn, die Unterarme auf der Kante des Zauns. Geromar ging mit breitbeinigem Selbstbewußtsein, als gehöre ihm jeder Zoll des Bodens unter seinen Füßen. Er grüßte Werda, grinste breit, und grinste noch etwas breiter, als er Hergards mürrisches Gesicht über dem Gartenzaun sah.
“Heda, Nachbar! Bekommt man Euch auch mal zu sehen?”
Hergard winkte lustlos und wandte sich ab. Hinter sich hörte er Werda leise mit Geromar reden. Er begann zu schwitzen, obwohl seine Finger kalt waren. Geromar sagte etwas, und Werda lachte, fing sich und kicherte in die hohle Hand. Hergard sah wieder ihren Nacken vor sich, die himbeerhafte Rötung, wo Geromars Lippen auf ihrer Haut gelegen hatten. Er setzte sich auf die Stufen vor der Haustür, die Hände im Schoß.
Geromar ging den Zaun entlang zum Tor und trat auf das Grundstück. Auf seiner lächerlichen Schürze war ein Drachenpaar eingestickt, feuerspeiend, darunter der Slogan:
>Ist einmal der Drache da, hilft dir nur ein U&K!
Verband der eingetragenen & lizenzgeprüften Kreaturmagier Nord, begrenzte Haftung.<
In der Mitte der Schürze befand sich eine Tasche, aus der ein Kochlöffel ragte. Offenbar beschränkten sich Geromars Fähigkeiten nicht auf Ungezieferbekämpfung; bestimmt war er auch ein Held in der Küche. Hergard konnte fühlen, wie sich eine Wolke über ihn schob. Werda lachte wieder über etwas, das Geromar gesagt hatte, und gab ihm rechts und links ein artiges Küßchen auf die Wange, wobei sie eine Bemerkung über den Kochlöffelstiel an seinem Körper fallen ließ.
“So”, sagte Geromar und zwinkerte Hergard zu, “dann wollen wir mal.”


“Toll”, meinte Hergard, als alles vorbei war. “Muß Spaß machen, der Job.”
Geromar grinste gutmütig und hob die Achseln. “Geht so.” Er sah in die Richtung, in die Werda verschwunden war. “Muß Spaß machen, verheiratet zu sein.”
Hergard verzog keine Miene. “Geht so”, sagte er, und als Geromar anfing zu lachen, stimmte er nicht ein. Geromar schob eine Hand in die Schürzentasche und wackelte mit seinem Kochlöffel herum.
“Wenn es Euch wirklich interessiert”, sagte er, “ich meine, einen Assistenten könnte ich immer gebrauchen.” Er räusperte sich. Werda war noch immer nicht zurück. “Ich dachte nur... Im Dorf sagt man, Ihr hättet Angst. Vor Trollen, meine ich.”
Hergard, den Blick in die Ferne gerichtet, zog sich die Hemdärmel über die Handgelenke. “Geht so”, sagte er. Geromar versuchte sich an einem weiteren Lachen, im selben Moment, in dem Werda an sie herantrat, ein Tablett in den Händen.
“Hier, zur Stärkung.” Sie reichte ihnen Kuchen. Geromar machte das unvermeidliche Kompliment. Hergard nutzte die Gelegenheit, den Trolldolch aus seiner Scheide zu ziehen und eingehend zu betrachten. Die Klinge glänzte silbrig; Hergard konnte fein zieselierte Buchstaben darauf erkennen, in einer Schrift, die ihm nichts sagte. Geromar, den Mund voller Kuchen, ließ ihn gewähren, mit dem Gebaren eines wohlwollenden älteren Onkels.
“Schön sieht das aus. Endlich kann man das Gras wieder sehen.” Werda nickte zufrieden.
“Ach”, Geromar wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. “Keine Ursache.” Hergard verfolgte, wie sie sich in die Augen sahen, tiefer, als es hätte sein müssen. Er wartete, bis Werda das Tablett ins Haus zurücktrug, bevor er Geromar den Dolch reichte. Den zuckerwürfelgroßen Metallkubus in seiner Hand hatte niemand gesehen. Auch das leise Surren, mit dem der Würfel an der Klinge entlanggeglitten war, hatte nur Hergards Ohr erreicht.
“Danke”, sagte Hergard.


Natürlich nahm Werda es nicht gut auf. Hergard war darauf gefaßt gewesen; trotzdem gab es ihm einen Stich, sie so zu sehen. Er wurde die Frage nicht los, wie sie reagiert hätte, wäre >er< es gewesen.
“Liebling...” Hilflos streichelte er ihren Nacken. Werda hob das Gesicht nicht aus den Händen. “Es ist furchtbar, ich weiß. Eine schreckliche Sache. Aber manchmal kann man eben nicht–”
“Wie konnte das passieren?” Endlich sah sie ihn an, die Augen verquollen und rot. “Wie konnte das >passieren “Schatz...” Er holte Luft, zögerte, und seufzte schließlich. “Magie ist eben nicht unfehlbar. Es wird Zeit, daß du das einsiehst.”
Sie weinte, während er sie hielt. Der Schock, sicherlich. Es war für das ganze Dorf ein Schock gewesen. Geromar Erfling, der beste Ungeziefermagier der Gegend, das Opfer von... Trollen. Nicht von Greifen zerrissen oder während eines Bannversuchs unter einer Kolonie Sturmfalter erstickt. Kein Heldentod. Stattdessen war er auf dem Heimweg vom “Einhorn” einem frustrierten Troll in die Pranken gelaufen. Jeder wußte, daß männliche Trolle zur Paarungszeit aggressive Burschen waren; meist brauchte es drei oder mehr Hiebe mit der Biestpeitsche, um sie loszuwerden. Geromar verließ sich nicht auf die Biestpeitsche. Geromar hatte seinen Trolldolch. Nur, daß die Waffe ihr Opfer diesmal nicht mit einem Stich tötete. Diesmal war es, als hätte Geromar sich mit einem Kindermesser zur Wehr gesetzt. Die Leiche des Trolls hatte acht Stichwunden aufgewiesen; ein Troll konnte eine Menge wegstecken, und bis er die Verletzungen überhaupt bemerkt und sich zum Sterben weggeschleppt hatte, war von Geromar nicht mehr viel übriggewesen.
Werda schluchzte laut; er strich ihr über das Haar, den Rücken, und versuchte sie zu trösten, so gut es ging. Irgendwo tat ihm Geromar sogar leid, aber das Gefühl war so schwach und flackernd wie das Licht der Öllampe in seinem Tüftlerkeller. Hergard dachte an den metallenen Würfel auf seinem Tisch. Vor ihm erstreckte sich eine Zukunft, wie er sie nie zu träumen gewagt hätte. Vielleicht konnte er nichts Neues erfinden. Aber das brauchte er auch gar nicht. Es reichte schon, das, was es gab, zu ent-finden. Die Geromars der Welt hatten sich vorzusehen. Er konnte nicht werden wie sie, aber er, Hergard Borrenbring, Erfinder, hatte einen Weg gefunden, sie so zu machen wie ihn.
“Bestimmt war es ein Unfall”, sagte Hergard.


© G.K. Nobelmann

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthlt 19489 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.