Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Mrz 2002
Ein Fall von Verleumdung
von Jörg Hofmann



Wieder einmal war es kurz vor Mitternacht, als König Gunther sein Tagwerk endlich beendete, und sich in seine Gemächer begab. Arnulf, sein Kammerdiener, ging mit einem Kerzenleuchter voran. Gunther fröstelte während sie die enge Wendeltreppe hinaufstiegen, denn obwohl die Märzsonne tagsüber schon angenehm wärmte, die Nächte waren immer noch empfindlich kalt. Doch seine Gemächer waren durch den offenen Kamn angenehm durchwärmt. Arnulf zündete die Kerzen an, und legte etwas Holz nach. Dann wollte er König Gunther beim Auskleiden helfen. "Laß nur, Arnulf. Ich setze mich noch ein wenig an den Kamin. Geh du ruhig schlafen."
"Wie ihr wünscht.", entgegnete Arnulf, "Gute Nacht, mein König."
"Gute Nacht."
Gunther nahm den schweren, pelzbesetzten Mantel ab, und warf ihn achtlos über einen Stuhl. Dann löste den Gurt mit dem Schwert, und stellte es neben den Kamin. Heute war Gerichtstag, da war es unabdingbar, daß er sein volles Ornat trug. Auf dem Tisch standen ein Krug Wein und ein Becher. Gunther goß sich den Becher voll, zog sich einen Stuhl an den Kamin und setzte sich. Wie wohl das tat. Vom Feuer her zog die Wärme die Beine hinauf und der Wein wärmte von innen. Die Anspannung des Tages fiel langsam von ihm ab.
Während er in die Flammen blickte, dachte er wieder an die Verhandlung von heute zurück. Vor allem der letzte Fall ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die Witwe Reikja hatte behaptet, Frank der Spielmann würde sie in einem seiner Lieder verspotten und als Hure bezeichnen. Frank mußte das Lied vortragen. Ein Lied über eine römische Dirne, der es trotz aller Kabale nicht gelingt, ein liebendes Paar zu entzweien. Völlig harmlos, dachte Gunther. Jeder Bänkelsänger kannte etliche solcher Lieder. Die Hauptperson des Liedes hieß Salome, und Reikja behauptete, Frank hätte ihr über lange Zeit den Hof gemacht, und sie dabei "seine Salome" genannt. Doch sie hätte kein Interesse an ihm gehabt. Deshalb hätte Frank dieses Lied geschrieben, und sie zum Gespött von Worms gemacht. Sie hatte sogar einen Zeugen benannt, der gehört hätte, wie sich die Leute über sie amüsierten, und der bereit sei, dies auch zu beschwören. Theoderich, ein reicher, angesehener Kaufmann aus Nürnberg, wurde übermorgen in Worms erwartet.
So wie es aussah, war alles klar. Wenn dieser Theoderich so schwören würde, mußte Frank mit einem Tag Pranger rechnen. Und doch, etwas an Reikjas Gehabe wollte Gunther nicht gefallen. Dieser eiskalte Blick, mit dem sie Frank bedachte. So voller Haß und Vernichtungswillen.
"Da steckt mehr dahinter.", dachte er, "Was hat diese Frau nur vor?"
Doch so sehr er auch grübelte, es fiel ihm keine plausible Erklärung ein. Schließlich schalt er sich selbst einen hirnlosen Toren.
"Im Norden Burgunds lauern die Dänen auf die kleinste Schwäche von dir, und du grübelst darüber nach, wie du einem kleinen Spielmannden Pranger ersparen kannst."
Gunther stand auf und wollte sich gerade ausziehen, da hörte er hinter sich ein helles Kichern. Erschrocken griff er nach seinem Schwert.
"Wer ist da?", rief er in die dunkle Zimmerecke. Die Antwort war ein noch heftigeres Kichern.
"Hihihi, der große König Gunther sorgt sich um einen kleinen Fiedler, den er heute Morgen noch nicht mal gekannt hat. Hihihihi!"
"Komm heraus, wer immer du bist! Zwing mich nicht, dich zu holen!"
"Ohhhhhh - jetzt geht er aufs Ganze.", hörte Gunther die unbekannte Stimme sagen, "Aber ich komme lieber raus, ihr könntet mich ohnehin nicht holen. Hihihihi!"
Aus dem Dunklen löste sich langsam eine kleine Gestalt. Sie reichte Gunther nicht mal bis zur Hüfte. Gunther dachte zuerst, es wäre ein Kind, doch die Gestalt hatte das Gesicht eines erwachsenen Mannes. Das wundersame Wesen trug Lederwams, Kettenhemd, Helm und Brustpanzer wie ein echter Ritter, doch alles war viel kleiner gearbeitet. Den Rundschild, den die Gestalt auf dem Rücken trug, hätte der Koch als Deckel für einen Suppentopf nehmen können, und das Schwert an seiner war nur wenig größer als Gunthers Dolch.
"Wer zum Henker bist du?", fragte Gunther.
"Nanu, jetzt bemüht er schon den Henker. Und wo bleibt eure Höflichkeit, König Gunther? Ist es in Worms üblich, einen Ritter wie einen einfachen Bauern mit du anzureden? Ich bin sehr enttäuscht."
"Laß den Unfug, wer bist du? Und warum hätte ich dich nicht aus deiner Ecke holen sollen?"
Statt einer Antwort pfiff das kleine Schwert in einer pfeilschnellen Bewegung durch die Luft, und traf Gunthers Klinge mit solcher Wucht, daß ihm die Waffe aus der Hand geprellt wurde.
"Hihihi, der König der Burgunder steht waffenlos vor einem Zwerg. Was sagt ihr jetzt?"
"Wer bist - wer seid ihr?", fragte Gunther fassungslos.
"So geziehmt es sich unter Rittern. Ich bin Gorm, ein Ritter König Laurins." "König Laurin, dem König der Zwerge?"
"Genau. Doch bitte, hebt euer Schwert auf, ich bin nicht hier um mich mit euch zu schlagen."
Gunther, noch immer etwas benommen, hob das Schwert auf und legte es auf den Tisch. Dann setzte er sich auf den Stuhl, der Zwerg kletterte mit erstaunlicher Gewandheit auf den Tisch und setzte sich auf die Tischkante. Nun saßen sie sich Auge in Auge gegenüber.
"Wie seit ihr unbemerkt in die Burg gekommen?", wollte Gunther wissen.
"Wenn mir das nicht gelingen würde, wäre ich kein Zwerg. Mit meiner Tarnkappe war es ein Kinderspiel."
"Und was wollt ihr von mir?"
"Ich bin ein wenig in Eurer Burg herumgegangen, und habe bemerkt, daß ihr ein kleines Problem mit der Gerechtigkeit habt."
Gunther sprang auf und griff sein Schwert.
"Gorm! Und wenn ihr zehn Tarnkappen und Zauberschwerter hättet, meine Ehre lasse ich mir auch von euch nicht beschmutzen. Wehrt euch!"
"Beruhigt euch, König Gunther. Ihr habt mich falsch verstanden, eure Sprache hat wohl Feinheiten, die ich nicht beherrsche. Was ich meinte, ihr quält euch, für den Spielmann ein gerechtes Urteil zu fällen."
"Was wißt ihr davon?"
"Alles, ich stand während der ganzen Zeit hinter eurem Thron. Doch sagt, ist Burgund plötzlich ungastlich geworden? Dort hinten steht ein Krug Wein, eure Becher sind mir eh zu groß, wenn ihr also erlaubt, werde ich meinen eigenen benutzen."
Mit diesen Worten griff er in den kleinen Stoffbeutel, der an seinem Gürtel hing, und holte einen winzigen Goldbecher heraus, so fein gehämmert, daß er fast durchsichtig war.
"Verzeiht, es kommt eben nicht alle Tage vor, daß ich einen Ritter König Laurins in meinem Schlafgemach empfange."
Wenig später saßen sie bei einem Becher Wein zusammen.
"Nun Ritter Gorm, was führt euch zu mir?" fragte Gunther den Zwerg. "Vielleicht kann ich euch helfen, über den Fiedler ein gerechtes Urteil zu sprechen, König Gunther"
"Wie soll das geschehen?"
Gunther wußte immer noch nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte.
"Zunächst will ich euch eine Geschichte erzählen.", sagte Gorm. "Ein junger Mann verliebte sich in eine Witwe. Die wollte aber nichts von ihm wissen, und wies ihn zurück.
Eines Tages stellte sie ihn einer ihrer Freundinnen vor. Der junge Mann verliebte sich in die Freundin, diese verliebte sich in ihn. Sie wurden ein glückliches Paar.
Die Witwe empfand dies als Zurückweisung, was sie nicht ertragen konnte. Da sie zu beiden ein vertrauliches Verhältnis hatte, erzählte sie dem jungen Mann, daß Freundin schon mehrere Männer in ihr Zimmer gelassen hatte, und der Freundin sagte sie, daß der junge Mann ein armer Schlucker sei und zudem gelegentlich Tobsuchtsanfälle bekäme.
Doch die Liebe der Beiden war stärker, und als die Witwe sah, daß all ihre Intrigen nichts fruchteten, steigerte sie sich in einen verzehrenden Haß. Ihr ganzes Streben richtet sich nun darauf, den jungen Mann zu vernichten."
"Sollte das die Geschichte von Reikja und Frank sein?", fragte Gunther.
"Wenn ihr Recht habt, Gorm, dann hätte Frank zwar allen Grund Reikja zu grollen. Aber er kann sie doch trotzdem nicht als Hure bezeichnen."
"Mein König, Frank ist ein Christ, wenn er eine Frau liebt, würde er sie niemals Salome nennen."
"Warum nicht? Salome ist doch eine schöne Frau aus der Bibel."
"Muß ich, der heidnische Zwerg, euch als getauften Christen wirklich über Salome aufklären? Salome war ein verkommenes Luder, die für den Tod eines Mannes ihren Körper verkaufte."
"Und wie kommt dann dieser Nürnberger Kaufmann dazu, dies zu beschwören."
"Das herauszufinden, wird eure Aufgabe sein, König Gunther. Ihr werdet zu Reikja gehen, sie fragen ,und sie wird euch alles erzählen."
"Fangt ihr schon wieder an, mich zu verspotten. Warum sollte mir Reikja, wenn ich zu ihr gehe, etwas anderes erzählen als vor Gericht?" "Bevor ihr weiter fragt, steckt einmal diesen Ring an, und schaut in den Spiegel."
Kopfschüttelnd nahm Gunther den Ring, steckte ihn an den Finger, und drehte sich nach dem Spiegel. Er sah das Bild eines großen, gutaussehenden Mannes. Dichte braune Locken umrahmten ein Paar strahlend blauer Augen, darunter ein fein gezogener Mund mit blendend weißen Zähnen. Hemd und Hose waren aus feinstem Samt. Darüber eine Jacke aus kräftigem Leder, deren Kragen und Ärmel mit kostbaren Pelzen besetzt waren. Eine schwere Kette aus purem Gold hing vor der Brust. Erschrocken riß sich Gunther den Ring vom Finger.
"Das ist Zauberei!"
"Natürlich ist es das, dafür sind wir Zwerge doch bekannt. Ich versichere euch, wenn Reikja euch so sieht, wird sie alles daran setzen, euch mit zu ihr zu nehmen. Und noch zwei Dinge muß ich euch sagen. Solange ihr diesen Ring tragt, wird der Wein euch wie Wasser schmecken, aber er wird auch nur so wirken. Und der Beutel an eurem Gürtel wird ständig voller Goldstücke sein, die aber nach Tagesanbruch wieder zu dem werden, was sie eigentlich sind, zu Kieselsteinen. Und nun wünsche ich euch einen schöne Nacht mit der Witwe Reikja."
Damit wandte sich Gorm zum gehen.
"Wartet einen Moment", rief Gunther, "Was nützt es mir, wenn Reikja die Wahrheit einem fremden Kaufmann erzählt, und der Nürnberger trotzdem seinen Eid schwört? Es kann doch nicht sein, daß der König von Burgund Recht mit Hilfe von Zaubereispricht."
"Ein kleiner Mann wird all eure Probleme lösen.", meinte Gorm, griff in seinen Gürtel, und holte ein feines, silbrig glänzendes Netz hervor. Als er sich über den Kopf warf, war er plötzlich verschwunden. Gunther sah noch wie sich die Tür bewegte, dann war er alleine.
Der nächste Tag verging wie im Nebel. Gunther fieberte dem Abend entgegen, damit er endlich den Zauberring ausprobieren konnte. Drei Stunden vor Mitternacht verließ er die Burg durch eine geheime Seitenpforte. Hinter der nächsten Hausecke steckte er sich den Ring an, und ging nach dem Wirtshaus in dem die reichen Kaufleute verkehrten. Schon von weitem hörte er Musik und lautes Lachen. Als er den Saal betrat, traf ihn eine Woge aus Hitze und verbrauchter Luft wie ein Keulenschlag. Dutzende von Kerzen und Fackeln erhellten und erhitzten den Saal. Auf der Bühne standen drei Spielleute, und die langen Tische waren bis auf den letzten Platz besetzt. Unmittelbar vor der Bühne hatte man drei Tische auf die Seite gerückt. Dort tanzte Reikja zu der Musik der Spielleute. Gunther stockte der Atem. Das war nicht die graue Kirchenmaus, die vor seinem Thron gekniet hatte. Ihr Kleid bestand aus roten Seidenbahnen, die nur an Schultern und Hüften zusammengenäht waren, und so bei jeder Bewegung tiefe Einblicke gewährten. Um ihre nackten Schultern hatte sie ein, ebenfalls rotes, Tuch gelegt, mit dem sie die umstehenden Männer mal wie mit einer Schlinge einfing, und dann wieder wie mit einer Peitsche vertrieb. Die Haare hatte sie auf Fingerstärke abgeschnitten und mit Henna gefärbt, ein ungewohnter und doch faszinierender Anblick. Ihre grünen Augen strahlten unter schwarzem Lidstrich und ebenfalls grünem Make-up, der Mund leuchtete kirschrot. Ihre Feseln waren mit tätowierten Blumenornamenten geschmückt. Die Musik setzte aus und Reikja ließ sich in die Arme eines großen, leicht angegrauten Mannes fallen, der schon durch seinen Schmuck zeigte, daß sehr reich sein mußte. Er mußte schon reichlich Wein getrunken haben, er schwankte als er Reikja auffing. Seine Hand suchte sich einen Weg durch die Stoffbahnen. Reikja ließ ihn gewähren, bis er sein Ziel erreicht hatte, dann schob sie seine Hand wieder zurück. Lachend gab sie ihm einen Schubs, so daß er rückwärts auf einen Stuhl fiel. Gerade wollte sie sich auf seinen Schoß setzen, da traf ihr Blick auf Gunther. War es Zufall, daß dies gerade in dem Moment gesschah, als Gunther seinen Krug Wein mit einem Goldstück bezahlte? Mit einem Ruck machte sie sich von ihrem Verehrer los, und ging mit wiegenden Schritten auf Gunther zu.
"Hast du hier noch Platz für eine erschöpfte Tänzerin?", gurrte sie.
Mit einer kurzen Handbewegung forderte Gunther sie auf, sich zu setzen. Er winkte dem Wirt, damit der einen weiteren Becher brachte, und schenkte ihr Wein ein. Wie sie so direkt vor ihm saß, erkannte Gunther, daß sie doch deutlich älter war, als sie sich den Anschein geben wollte. Um Augen und Mund saßen tiefe Falten, und auf den Händen zeigten sich die ersten braunen Flecken.
"Bist du zum ersten Mal hier?", wollte sie von ihm wissen, "Ich habe dich hier noch nie gesehen."
"Ich bin Reinhold aus Bechlarn, und heute das erste Mal in Worms.", erwiderte Gunther.
"Willst Du hier Geschäfte machen?"
"Wenn die Burgunder meine Preise bezahlen können ..."
"Dann laß mich dir aus der Hand lesen, wie es dir hier ergehen läßt."
Sie nahm seine Hand und strich mit ihren langen Fingernägeln auf seiner Handfläche entlang.
"Ich sehe, daß du in nächster Zeit sehr erfolgreiche Tage haben wirst, aber dann steht dir eine lange gefahrvolle Reise bevor."
"Da du weißt, daß ich aus Bechlarn bin, ist die letzte Prophezeiung wohl nicht sehr schwer.", sagte Gunther, hielt ihre Hand fest und sah ihr tief in die Augen.
Sie lachte laut und ordinär.
"Du hast einen scharfen Verstand, Reinhold. Ich bin Reikja, und wenn du willst, kann ich dir alles zeigen, was hier in Worms wichtig ist."
Gunther fühlte ihren Fuß, der sich zwischen seine Beine zwängte.
"Davon bin ich überzeugt", sagte er, "sag mir zum Beispiel, was der Wirt hier gutes zu essen hat."
"Da muß ich dich enttäuschen, hier wurde schon vor einer Stunde das Feuer unter dem Herd gelöscht. Aber wenn du mit einer einfachen Suppe vorlieb nimmst, bei mir ist noch Glut im Herd."
"Und du willst mich, einen fremden Kaufmann, einfach zur Suppe einladen?"
"Ach weißt du, ich bin eine arme Näherin, und bekomme auf dem Markt auch nichts geschenkt. Aber wenn du mir drei Goldstücke gibst, wirst du diese Suppe bestimmt nicht vergessen."
"Dann laß uns gehen."
Reikja holte sich aus einer Ecke an der Bühne ihre Schuhe und einen weiten schwarzen Umhang. Als sie zur Tür gingen, rief eine Stimme aus der Menge: "Möge König Gunther dir gewogen sein, edle Reikja!"
Verdutzt drehte Reikja sich um, doch sie konnte den Rufer in der Menge nicht erkennen. Nur Gunther erkannte für einen kurzen Moment Gorms Gesicht, der ihm vielsagend zunickte.
In Reikjas Haus angekommen, blieb sie zunächst im Flur stehen.
"Laß uns zuerst das geschäftliche erledigen.", sagte sie kalt. Gunther zählte ihr drei Goldstücke in die ausgestreckte Hand. Ein viertes hauchte er kurz an und drückte es zwischen ihre Brüste. Reikja lächelte: "Mit euch Bechlarnern läßt sich Handel treiben. Warte hier bis ich dich rufe."
Mit einem vielversprechenden Lächeln verschwand sie hinter einer Tür.
Etwa fünf Minuten später rief ihn Reikja in das Zimmer. In der hinteren Ecke stand ein steinerner Herd, der in dem gesamten Raum eine wohlige Wärme verbreitete. Den größten Teil des Raumes aber nahm ein gewaltiges Bett ein. Rote Laken, über und über mit Kissen bedeckt, ein Kännchen Öl stand griffbereit auf einem kleinen Tischchen. Ein Lager geschaffen nur für die Liebe. Reikja hatte ihr rotes Kleid gegen einen weißen, fast durchsichtigen Umhang vertauscht, der nur am Hals von einer feinen Schnur gehalten wurde.
"Willst du dich nicht ausziehen, es ist doch sehr warm hier?" Mit diesen Worten trat sie auf ihn zu, ihre Hand fuhr unter sein Wams und in die Hose hinein.
"Ah, wie ich merke, rührt sich hier schon ein kleiner Bechlarner.", grinste sie ihn an. Gunther beeilte sich, aus seinen Kleidern zu fahren. Dann öffnete er die kleine Schleife an Reikjas Umhang, und ließ ihn achtlos auf den Boden fallen. Eng umschlungen fielen sie auf das Bett. Als der erste heftige Sturm vorüber war, löste sich Gunther aus ihrer Umarmung: "Sag mal, wer hat dir denn vorhin 'viel Glück' gewünscht?", fragte er, "Du verkehrst an Gunthers Hof? Solche Kontakte können sehr wichtig für einen Kaufmann sein."
"Ach, das war bestimmt wegen meiner Klage vor Gunthers Gericht."
"Du hast geklagt? Das mußt du erzählen."
Und während er mit Zunge und Lippen jeden Zentimeter ihres Körpers erforschte, bekam er noch einmal die Geschichte von Frank und Catharina erzählt, natürlich aus Reikjas ganz eigener Perspektive. Dieser Frank, der die Stirn hatte, ihr eine häßliche Magd vorzuziehen, nur weil sie seinem Drängen nicht sofort nachgegeben hatte.
"Hast du ihm denn gesagt, er solle noch etwas warten?"
"Wo denkst du hin, damals wollte mich Bruno, ein Gewürzhändler aus Braunschweig, mit auf eine Reise in den Orient nehmen. Fünf Jahre hätte ich leben können wie eine Königin. Da konnte ich einem armen Spielmann doch keine Hoffnungen machen.
So etwas spricht sich doch herum."
"Und warum bist du nicht mit Bruno gegangen?"
"Bruno war zwar ein reicher, aber auch ein alter Mann, und zu sehr dem Wein zugetan. Er war nicht mehr fähig, einer Frau zu geben, wonach sie verlangt." "Und du bist eine Frau, die sehr viel verlangt. Ich hoffe, du bist mit mir etwas zufriedener." "Wenn du jetzt nicht aufhören willst, war es ein guter Anfang."
"Aber was nützt dir eine Klage, wenn Frank in seinem Lied ganz andere Namen benutzt? Niemand wird erkennen, daß du gemeint bist."
"In wenigen Tagen kommt ein Freund von mir nach Worms, der wird bezeugen daß Frank mich 'seine Salome' nannte. Und so heißt auch die Hure in dem Lied."
"Und Frank hat dich wirklich so genannt? Nachdem was du mir erzählt hast, hätte ich ihn für klüger gehalten."
"Frank hat mich nie 'Salome' genannt, so würde er keine Frau nennen, die er liebt. Laß dir von deinem Priester erklären, wer Salome war. Aber das alles wird Theoderich nicht daran hindern, es trotzdem zu beschwören."
"Was bringt einen Mann nur dazu, einen Meineid für dich zu schwören?"
Reikja richtet sich auf und drückte Gunther sanft zurück auf as Bett.
"Das wirst du gleich erfahren.", sagte sie, und lächelte verheißungsvoll. Auf dem Ofen stand ein kleiner Kessel mit Eicheltrank. Reikja goß sich einen Becher ein, und kam damit zurück ans Bett. Sie nahm einen großen Schluck in den Mund und ging mit dem Kopf zu seinem Schoß. Gunther spürte die warme Flüssigkeit, ihre Lippen, ihre Zunge, Gefühle die er so noch nie erlebt hatte. Wie ein Aal wand er sich hin und her in dem Bemühen solange wie möglich festzuhalten und zu genießen. Doch das ging bals nicht mehr. Mit heftigem, langezogenem Stöhen bog er den Rücken durch und ließ sich völlig entspannt wieder zurückfallen. Reikja sah ihm lächelnd in Gesicht, schluckte kräftig und sagte: "Dafür, mein lieber Bechlarner, dafür schwört Theoderich alles."
"So ist das also.", dachte Gunther.
"Bis jetzt ist alles so gekommen, wie Gorm es gesagt hatte. Aber welcher kleine Mann soll mir jetzt helfen? Noch ein Zwerg?"
Er genoß noch eine weitere Stunde die Dienste Reikjas, dann verabschiedete er sich mit dem Hinweis, er müsse wenigstens noch ein wenig Schlaf haben. Reikja brachte ihn noch bis zur Tür: "Wenn du wieder in Worms bist, besuch mich. Du bist jederzeit willkommen."
"Vor allem meine Goldstücke."
"Die auch.", lächelte sie. "Gute Nacht."
Gunther machte sich auf den Weg zur Burg. Doch schon hinter der nächsten Ecke verstellte ihm ein kleine Gestalt den Weg. Schon wieder ein Zwerg, vermutete Gunther, doch an der Stimmer erkannte er dann, daß es ein Knabe war.
"Sagt, ihr kommt doch gerade aus dem Haus der Witwe Reikja?" fragte er Gunther.
"Und wenn, was geht es dich an? Laß mich vorbei!"
Doch der Kleine verstellte ihm weiter den Weg.
"Ich glaube, das Letzte was ihr jetzt wollt, ist Lärm. Außerdem gibt es bestimmt Leute, die besser nicht wissen sollten, wo ihr eure Nächte verbringt. Gerade die reichsten Kaufleute hier sind jeden Sonntag im Dom."
"Was willst du dann."
"Herr, ihr seid ein reicher Mann, der Reikja vier Goldstücke geben kann, da sollten doch auch ein paar Münzen für einen armen Jungen abfallen."
"Woher weißt du von den vier Goldstücken?"
"Jeder hat seine Geheimnisse, mein Herr. Und ihr wollt doch sicher, daß ich eure Geheimnisse bewahre. Was findet ihr nur alle an diesem Heißwassertrick?"
"Schon gut, schon gut.", Gunther griff in seinen eigenen Geldbeutel, und zählte dem Jungen sechs Kupfermünzen in die Hand. Plötzlich wußte er auch welchen kleinen Mann Gorm gemeint hatte.
"Hier, die sechs Münzen sind für dein Schweigen. Aber du scheinst ein tüchtiger Bursche zu sein. Willst du dir noch sechs Münzen verdienen."
"Was muß ich dafür tun?"
"Du gehst morgen zur Burg und fragst nach Runold, dem Küchenmeister. Dem bestellst du, der Weinhändler aus Bechlarn würde erst einen Tag später kommen."
"Verstehe, müßt euch erst mal erholen.", grinste der Bengel und hielt die Hand auf. Gunther zählte ihm weitere sechs Münzen ab.
"So, hier hast du. Und nun verschwinde!"
Am nächsten Morgen schickte Gunther Arnulf als erstes zu seinem Küchenmeister.
"Sage Runold, heute wird ihm ein Junge eine Botschaft von einem Weinhändler aus Bechlarn überbringen. Dieser Junge soll sofort festgehalten, und in das kleine Zimmer hinter dem Thronsaal gebracht werden."
Gunther freute sich diebisch auf den heutigen Tag. Eine wohlige Leere in den Lenden erinnerte ihn an die letzte Nacht. Gorms Ring hatte er in der Nacht in seine Schatulle gelegt. Jetzt nahm er ihn, und legte ihn zusammen mit einem Siegelring, den das Wappen Burgunds zierte, auf den Tisch.
"Habt Dank, mein Freund.", sagte er vor sich hin. Er warf den pelzbesetzten Mantel über die Schulter, nahm das Schwert in die Hand, und begab sich nach unten.
Ín dem kleinen Zimmer hinter dem Thronsaal warteten bereits Ortwin von Metz und Hagen von Tronje auf ihn.
"Guten Morgen, ihr Herren.", grüßte Gunther in bester Laune. "Ortwin, konntet ihr den Nürnberger erreiche?"
"Jawohl mein König, er wird sich in einer Stunde hier einfinden."
"Sehr gut, bis dahin wird mein Zeuge wohl auch hier sein."
"Euer Zeuge?", fragte Ortwin erstaunt.
"Ja, ich habe gestern erfahren, daß es noch jemanden gibt, der in diesem Fall ein Aussage machen kann. Doch laßt uns zunächst die anderen Punkte besprechen. Freund Hagen, habt ihr neue Informationen von unseren Grenzen?"
Hagen berichtete, was er in den letzten Tagen von den reisenden Kaufleuten erfahren hatte. Anschließend gab Ortwin noch einen Bericht über den Stand der Vorbereitungen zu den Osterfeierlichkeiten. Schließlich stand König Gunther auf, gürtete sich sein Schwert um und ließ sich von einem Diener den Mantel umhängen.
"Ans Werk, meine Herren. Ortwin, schickt als erstes die Witwe Reikja und Frank den Spielmann herein. Theoderich mag sich noch ein wenig gedulden."
Damit begaben sie sich in den Thronsaal. Gunther nahm auf dem großen, eichenen Thron Platz. Reikja betrat als erste den Thronsaal. Gunther staunte über ihre enorme Verstellungskunst. Aus der verruchten Hure von letzter Nacht war wieder die brave Näherin geworden. Ihr graues KLeid war bodenlang und hochgeschlossen. Es verbarg jede Körperform unter Massen von Stoff. Die hennaroten Haare hatte sie unter einer weißen Haube versteckt. Und natürlich war sie völlig ungeschminkt. In bescheidener Haltung, mit gesenktem Blick, trippelte sie bis vor den Thron und beugte ihr Knie zu einem tiefen Knicks.
Ihr folgte Frank der Spielmann. Man sah ihm deutlich an, daß er die letzten Nächte vor Sorge kaum geschlafen hatte. Unsicher blickte er im Saal umher, während er langsam nach vorne ging.
Nachdem Gunther auch Franks Huldigung entgegengenommen hatte, wandte er sich an die Witwe Reikja.
"Reikja, du als Klägerin hast jederzeit die Möglichkeit deine Klage zurückzunehmen. Dies ist immer ein Zeichen von Großmut, du kannst es also tun ohne deine Ehre zu verlieren. So frage ich dich jetzt, möchtest du die Klage zurückziehen? Schließlich geht es hier nur um ein Lied, das vielleicht nur aus Übermut geschrieben und gesungen wurde."
Doch sofort verhärtete sich Reikjas Blick.
"Mein König, ich bin eine ehrbare Frau, die verleumdet und als Hure bezeichnet wurde. Und dafür soll dieser elende Herumtreiber büßen."
"Halt ein!", wieß Gunther sie zurecht. "Was immer Frank auch getan haben soll, hier in Burgund ist jeder solange unschuldig, wie seine Schuld nicht bewiesen ist.
Bringt Theoderich aus Nürnberg herein!"
Doch bevor der Posten an der Tür nach Theoderich rufen konnte, hörten sie aus dem Nebenzimmer Getrappel, das Poltern eines umfallenden Stuhles, und eine helle Stimme rief: "Und wenn du zehnmal ein Diener des Königs bist, ich habe nur getan, was dieses Weinfaß mir aufgetragen hat! Also laß mich endlich gehen!"
Gunther lächelte: "Ah, mein Gast ist gekommen. Ortwin, sagt ihm doch bitte, es
wird ihm nichts geschehen. Er möge sich noch ein wenig gedulden, der König werde ihn bald rufen lassen."
Ortwin ging mit in das Nebenzimmer. Als er wieder zurück kam, sah er seinen König ganz verwundert an, sagte aber nichts.
"Ich lasse Theoderich bitten!", rief Gunther.
Kurz darauf betrat der Kaufmann den Saal. Er mußte ein sehr reicher Mann sein. Sein Wams und seine Hose waren aus allerbestem dunkelrotem Samt, Kragen und Ärmel mit schwarzen Zobelpelzen besetzt. Den handbreite, schwarze Ledergürtel war mit Silberfäden durchwirkt, und wurde von einer Schnalle aus massivem Gold zusammengehalten. Doch das herausragendste Merkmal war zweifellos sein gewaltiger Bauch, den zwei Männer nur mit Mühe umfassen konnten. Als Theoderich vor dem Thron angekommen war, keuchte er schon vor Anstrengung. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Mit einer gewaltigen Anstrengung gelang es ihm, sich aus der Verbeugung aufzurichten. Seine Finger erinnerten Gunther an die Fleischwürste, die der Metzger auf dem Markt feilbot, nur das diese nicht über und über mit goldenen Ringen besetzt waren. Hagen von Tronje zog sich das schwarze Tuch zurecht, das die Narbe über seinem fehlenden Auge verbarg. Gunther wußte, daß Hagen nur den Ärger in seinem Gesicht verbergen wollte. Weiber, Pfaffen und Pfeffersäcke waren für Hagen die Wurzel allen Übels, und dieser feiste Kaufmann war zweifellos das Fleisch gewordene Bild all seiner Vorurteile.
"Seid gegrüßt, Theoderich aus Nürnberg.", sagte Gunther. "Ich danke euch, daß ihr euch so schnell die Zeit genommen habt, hier zu erscheinen. Ihr seid zweifellos ein vielbeschäftigter Mann."
"Ich grüße den großen König der Burgunder, dessen Taten die Sänger selbst bei uns in Nürnberg über alle Maßen rühmen. Edler Gunther, auch wenn ich kein Ritter, und nicht von so edlem Blut bin wie ihr, für die Ehre einer schönen Frau bin ich bereit jedes Opfer zu bringen."
"Elender Heuchler", dachte Gunther. Laut sprach er: "Dann erzählt uns doch mal, woher ihr die Witwe Reikja kennt, und was ihr über dieses Lied wißt, das Reikja angeblich so verunglimpft."
"Edler König, in diesem Lied wird Reikja eine Dirne genannt. So etwas tut kein Mann einer Frau an. Ich ..."
"Ich bitte euch", unterbrach Gunther den Kaufmann, "fangt mit eurer Geschichte nicht am Ende an."
"Verzeiht König Gunther. Ich bin ein ehrbarer Kaufmann, und komme seit Jahren regelmäßig nach Worms. Woher ich die Witwe Reikja kenne? Kennen ist zuviel gesagt, wir sind beide Freunde der Musik, und bei solchen Gelegenheiten haben wir uns schon öfter gesehen.
Vor etwa fünf Jahren hörte ich hier zum ersten Mal von diesem Fiedler Frank. Seine Musik war nur mittelmäßig, aber er versuchte Reikja den Hof zu machen. Und obwohl Reikja deutlich sagte, sie wünsche dies nicht, saß er immer wieder an ihrem Tisch. Immer wieder erklärte er ihr, sie sei seine Salome. Dabei hob er die Stimme so sehr, daß ich es noch am Nebentisch hörte. Ich bin auch sicher, daß ich nicht der Einzige bin, der dies gehört hatte."
Als ich dann vor etwa einem halben Jahr wieder hier in Worms war, sah ich an seiner Seite eine Andere, ein billiges Flittchen, wenn ihr mich fragt. Dann wird er Reikja jetzt wohl in Ruhe lassen, dachte ich noch für mich. Doch dann ging er auf die Bühne und kündigte sein neues Lied an. Er sang von Salome, der Dirne von Rom. Mein König, jeder im Saal wußte, daß er bis vor kurzem noch Reikja als seine Salome bezeichnet hat. Alle waren peinlich berührt, und Reikja standen vor Scham und Schmach die Tränen in den Augen. Deshalb ging ich zu ihr und gab ihr den Rat, Frank vor eurem Gericht zu verklagen. Denn nicht nur euer Mut und eure Ritterlichkeit, auch eure Gerechtigkeit wird weithin gerühmt."
"Und ihr habt Reikja sonst nie gesehen? Seid ihr mal in ihrem Haus gewesen?"
"Mein König, wo denkt ihr hin! Das ist völlig ausgeschlossen. Reikja ist eine ehrenwerte Witwe und ich bin seid fast dreißig Jahren glücklich verheiratet, habe drei Söhne, zwei Töchter und sieben Enkelkinder."
"Nun, wir werden sehen. Zunächst danke ich euch, Theoderich. Ortwin, holt bitte meinen Gast herein."
Ortwin ging wieder zur Tür und kam gleich darauf mit dem Knaben zurück, dem Gunther letzte Nacht begegnet war. Dem war sichtlich nicht wohl in seiner Haut. Doch neugierig blickten die Augen überall herum, so als wolle er diese Gelegenheit, einmal im Thronsaal zu sein, bis zum Ende auskosten. Selbst der finstere Blick Hagens konnte ihn nicht davon abhalten, den Tronjer von Kopf bis Fuß zu mustern. Dann stand er vor dem Thron, verbeugte sich kurz, und sah Gunther fragend an.
"Nun junger Herr", sagte der, "sage uns zunächst, wer du bist."
"Ich bin Wieland, der Sohn des Besenbinders. Was wollt ihr von mir, Herr?"
"Das wirst du gleich erfahren. - Wieland heißt du? Wie alt bist du, Wieland?"
"Jawohl Herr, mein Vater hat mich nach dem berühmten Schmied genannt. Ich bin zwölf Jahre."
"Dann sage mir doch bitte, was du in deinem Alter mitten in der Nacht vor dem Haus einer braven Witwe suchst."
Wieland erbleichte: "Der Bechlarner hat euch alles erzählt?"
"Alles", nickte Gunther, "du solltest also bei der Wahrheit bleiben."
"Nun gut. Ihr könnt euch sicher denken, mein König, daß mein Vater als Besenbinder keine Reichtümer verdient. Wir sind sechs Kinder, ich bin der älteste, und meine Mutter ist vor zwei Jahren bei der Geburt meiner kleinen Schwester gestorben. Eines Morgens, kurz vor Sonnenaufgang sah ich einen sehr vornehm gekleideten Fremden das Haus der Witwe Reikja verlassen. Ich war natürlich neugierig, was ein so feiner Herr um diese Zeit bei ihr wollte. Durch ein paar lose Ziegel gelangte ich auf den Dachboden. Dort löste ich ein Brett aus dem Boden und so konnte ich genau beobachten, was die vielen Herren dort wollten."
"Bist du sicher, daß du das so genau weißt?, fragte Gunther. "Schließlich bist du noch sehr jung."
"König Gunther, wenn man arm ist, fängt man sehr früh an zu lernen, auch was eine Dirne ist. Oder warum sollte sie sich sonst vor den Männern hinknien."
"Nun, man kniet auch in der Kirche. Zum Gebet, oder um von dem Priester den Segen zu empfangen."
"Mein König, ich habe auch einige Priester bei Reikja gesehen. Und auch vor denen kniete sie sich hin. Aber ich weiß nicht, ob ein Priester zum Segnen die Beinkleider ablegt."
Hagens Gesicht gefror zu einer Maske. Tränen liefen die Wange herunter und sein Zwerchfell zuckte auf und nieder. Nur mit Mühe konnte er verhindern, daß er laut loslachte.
"Der Bengel ist ein unverschämter Lügner!", kreischte Reikja, "Man sollte ihm sein Fell grün und blau gerben!"
"Das könnte dir so passen!", entgegnete Wieland, "Dann sag mir doch mal, warum die Herren immer so bereitwillig gezahlt haben."
"Sei still, Reikja!", fuhr König Gunther dazwischen, "Ich habe noch einige Fragen an Wieland. Du hast also beobachtet, was sich in Reikjas Haus abgespielt hat, und hast die Herren danach erpreßt. Stimmt das?"
"Mein König, wir sind arm, und die Herren konnten Reikja immer sehr viel zahlen. Warum sollten da nicht auch ein paar Münzen für uns abfallen?"
"Das ist verständlich, aber trotzdem nicht richtig. Und ab jetzt muß damit Schluß sein. Doch sage mir, kennst du diesen Mann dort drüben?"
Mit diesen Worten deutete Gunther auf Theoderich, der reichlich nervös und noch stärker schwitzend auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
"Den kenne ich sehr wohl.", meinte Wieland, "Der ist schon Stammgast bei ihr. Wenn er in Worms ist, empfängt Reikja keine anderen Gäste. Und auch zu mir ist er immer sehr großzügig."
"Das kann nicht sein!", Theoderichs Stimme zitterte. "Der Junge muß sich irren, ich bin niemals bei Reikja gewesen."
"Ich irre mich nicht. Ihr habt euch natürlich verkleidet, seid immer in einer Mönchskutte gekommen."
"In einer Mönchskutte, sagst du?"
Gunther überlegte kurz.
"Theoderich, ich gebe dir jetzt noch eine Gelegenheit, deine Aussage zu überdenken. Dann schicke ich meine Wachen zu deinem Lager. Und sollten sie mir eine Mönchskutte bringen, geht dein gesamtes Hab und Gut hier in Burgund in meinen Besitz über. Also überlege dir gut, was du tust."
"Das geht viel leichter, mein König!", rief Wieland. "Der Kerl hat ein talergroßes Muttermal auf der linken --- Arschbacke."
Gunther winkte die beiden Posten an der Saaltür zu sich. Doch bevor diese den halben Saal durchquert hatten, viel Theoderich auf die Knie.
"Gnade, mein König! Vergebt einem alten, einsamen Mann, seine Verfehlung. Als reisender Kaufmann bin ich sehr alleine, aber trotzdem ein Mann. Seit über fünf Jahren bin ich, wenn ich hier in Worms bin, regelmäßig bei Reikja."
"Das soll hier nicht verurteilt werden.", sagte Gunther. "Doch sage uns jetzt die Wahrheit über Frank."
"Frank hatte Reikja wirklich den Hof gemacht. Doch er war ihr zu arm, also lehnte sie seinen Antrag ab. Kurz darauf lernte Frank Reikjas Freundin Catharina kennen und lieben. Ich weiß nicht warum, aber seit dieser Zeit wollte sie Frank vernichten. Als er dann dieses neue Lied sang, bat sie mich diesen Eid zu schwören. Als Dank wollte sie mir Dinge zeigen, die ich so noch nie erlebt hätte. Vergebt mir, mein König!"
"Höre was ich dir sage, Theoderich. Du hast dich wie ein Lump benommen. Für deine Gelüste warst du bereit, das Leben eines unbescholtenen Paares und die Ehre eines Mannes zu zerstören. Und beinahe hättest du hier noch einen Meneid geschworen. Du hast heute noch Zeit, deine Abreise vorzubereiten. Solltest du dich Morgen, zwei Stunden nach Sonnenaufgang noch innerhalb der Mauern von Worms aufhalten, ist dir der Pranger sicher. Verschwinde aus meinem Blickfeld, und laß dich hier in Worms nie mehr blicken."
"Danke, mein König. Eure Gnade übertrifft noch euren Mut und eure Gerechtigkeit."
"Du elender Speichellecker!", Reikja war außer sich. "Ich dachte, ich könnte mich auf dich verlassen. Welch ein Glück, daß ich dich nicht mehr sehen muß. Deine Frau tut mir leid. Ich frage mich, womit du ihr fünf Kinder gezeugt haben willst."
Sie hätte sicher noch weiter getobt, doch Gunther fuhr sie an: "Wirst du endlich still sein, alte Giftspritze. Eigentlich sollte ich dich an den Pranger stellen lassen, doch ich will mir nicht an dir die Finger schmutzig machen. Verschwinde, und geh mir in Zukunft aus dem Weg! Raus jetzt!"
Als der Posten die Tür hinter Reikja geschlossen hatte, wandte sich Gunther wieder an Wieland.
"Nun zu dir, mein Junge. Ich danke dir, das du hier so wahr gesprochen hast. Damit hast du mich davor bewahrt, ein falsches Urteil zu sprechen. Hier ist meine Hand darauf, es ist die Hand des Königs."
Er stand auf und hielt Wieland die Hand hin. Doch der zögerte und blickte Gunther traurig ins Gesicht.
"Verzeiht mein König, wenn ich mich nicht freuen kann. Bis gestern wußte ich, daß mein Vater, meine Geschwister und ich genug zu essen haben werden. Das ist jetzt vorbei. Euer Dank ehrt mich, aber er macht mich nicht satt."
"Wie redest du mit deinem König!", donnerte Hagen. "Ein Mann sollte sich immer bemühen, auch ein Ehrenmann zu sein."
Dabei sah er Wieland mit finsterer Miene an. Doch der ließ sich auch von Hagen nicht einschüchtern.
"Hagen von Tronje, um ein Ehrenmann zu sein, muß ich vor allem ein Mann sein. Und wie soll das gehen, wenn ich verhungert bin. Ihr seid der Herr von Tronje und dazu König Gunthers Waffenmeister. Ihr müßt euch nicht fragen, woher ihr das nächste Stück Brot bekommt."
Hagens Gesicht hellte sich zusehends auf, sein Auge ruhte voller Wohlwollen auf Wieland.
"Mein König, es ist schon sehr, sehr lange her, daß hier in Worms jemand so zu mir gesprochen hat. Der junge Mann hat Mut, das schätze ich sehr. Hör zu Wieland, möchtest du Schmied werden, wie dein berühmter Namensvetter? Der Sohn meines Schmiedes in Tronje ist an Schwindsucht gestorben, jetzt sucht er einen guten Lehrjungen. Schlag ein, und ich nehme dich mit nach Tronje."
Doch wieder zögerte Wieland.
"Hagen von Tronje, ich hätte wirklich keine Ehre im Leib, wenn ich jetzt mit euch ginge, und meine Familie hier ihrem Schicksal überlassen würde. So muß ich leider ablehen."
"Wie ich sehe, habe ich mich nicht in dir getäuscht. Also höre zu, du bekommst nur die Hälfte deines Lehrgeldes, die andere Hälfte wird hier in Worms an deine Familie ausgezahlt. Für das erste Jahr biete ich dir, sagen wir zwei Taler die Woche."
"Zwei Taler, Herr da müßt ihr euch irren, soviel bekommt mein Vater in einem Monat."
"Es ist mein voller Ernst. Schlag ein, bevor ich es mir überlege."
Diesmal zögerte Wieland keinen Augenblick mehr. In seinen Augen standen Freudentränen. Verstohlen wischte er sie mit seinem Ärmel weg.
"Nun Wieland, bist du jetzt zufrieden?", fragte Gunther lächelnd.
"Voll und ganz, mein König. Und nun bin ich auch stolz darauf, daß mir der König von Burgund seine Hand bietet."
Mit diesen Worten hielt er dem verdutzten Gunther seine Hand hin. Der schlug wie von selbst ein, dann mußte er lächeln und schließlich fiel er in das dröhnende Lachen des Tronjers mit ein.
Und wieder war es kurz vor Mitternacht, als König Gunther sein Tagwerk beendete, und sich in seine Gemächer begab. Arnulf half ihm beim Auskleiden und richtete das Bett. Als er zuletzt die Kerzen löschen wollte, sagte Gunther: "Nein Arnulf, laß sie noch ein wenig brennen. Gute Nacht!"
"Gute Nacht, mein König." Arnulf schloß leise die Tür.
Gunther wartete, es war ihm aufgefallen, daß die beiden Ringe noch genauso auf dem Tisch lagen, wie er sie dorthin gelegt hatte. Und richtig, kaum war Arnulf gegangen, da bewegte sich der Vorhang am Fenster, Gunther sah einen silbrigen Glanz, dann stand Gorm wieder vor ihm.
"Seid gegrüßt, Gorm. Offen gesag, ich hatte nicht damit gerechnet, euch nochmal zu sehen. Was ist der Grund für euren Besuch?"
"König Gunther, seid Jahren verkehre ich nun bei den Menschen, und bisher dachte ich, ich kenne sie auch. Doch ihr habt mich heute wirklich verblüfft. Ich hatte erwartet, daß ihr Reikja nach dieser Lüge die Zunge rausschneiden laßt, oder sie zumindest in Schimpf und Schande aus Worms verjagt. Doch nichts von alledem. Was hat euch so milde gestimmt."
"Oh Freund Gorm, ihr müßt noch viel über uns Menschen lernen. Glaubt mir, so milde war ich nicht. Reikja ist eine von ihrer Geltungssucht zerfressene Person. Mit Sicherheit hat sie überall erzählt, daß sie Frank an Gunthers Gericht verklagt hat, dieses Lied nicht mehr zu singen. Glaubt mir, daß sie jetzt miterleben muß, daß Frank sein Lied weitersingt, ist für sie schlimmer als vier Tage Pranger."
"Freund Gunther, ihr habt mir eine Lektion erteilt. Ich werde euren Ring in Ehren tragen. Er soll mich immer daran erinnern, daß auch ein Zwerg nicht alles weiß."
Mit diesen Worten nahm er die beiden Ringe und steckte sie in seinen Beutel.
"Verzeiht mir, aber euren Ring müssen mir unsere Schmiede erst enger machen. Und nun lebt wohl, dies war unser letztes Treffen."
"Lebt wohl, Gorm!"
Gunther sah wieder das silbrige Netz, die Tür öffnete sich, ein heftiger Zug löschte die Kerze und warf die Tür ins Schloß. Er war alleine.

(c) Jörg "Josh" Hofmann

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