'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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März 2002
Die graue Höhle
von Benedikt Köhler



Feuper fiel gegen den Stamm einer mächtigen Eiche, dass vertrocknetes Laub von oben auf seine breiten Schultern herabrieselte. Er schnaufte schwer und schüttelte sich seine braunen, verfilzten Locken aus dem Gesicht. Haethorn, der ihm diesen Schubs gegeben hatte, zog auf einmal sein Schwert aus der ledernen Scheide. Dann holte der hagere Junge mit einer eleganten Bewegung aus und ließ seine Waffe dem zitternden Feuper entgegenschnellen. Kurz vor dem Hals bremste er die Bewegung jedoch ab und berührte mit der Spitze des Schwertes sanft den wild auf und ab hüpfenden Adamsapfel des stämmigen Gegners.
"Tja, Feuper, es sieht ganz so aus, als wärst du dran! Nun kann dir auch dein Vater Tolper nicht mehr helfen." Haethorn streckte sich und versuchte dadurch wie ein Edelmann zu wirken: "Wenn du eine letzte Bitte hast, so ist nun der Augenblick, sie zu äußern." Er grinste, dass sich die schmale Narbe auf seiner rechten Wange sichelförmig verzog und fügte nach einer kurzen, bedeutungsvollen Pause hinzu: "Aber leider werde ich deinen Wunsch sowieso nicht mehr berücksichtigen!"
Seinen Gegner mit den Augen fixierend, antwortete Feuper leise aber bestimmt: "Warte! Einen Wunsch habe ich. Den wirst du mir wohl nicht verweigern können."
Haethorn beugte sich herab und blickte den Wirtssohn erstaunt an: "Welchen Wunsch? Was meinst du damit?"
Feuper zählte lautlos bis zehn. Dann ergriff er mit einer plötzlichen Handbewegung das stumpfe Schwert, riss es nach unten und stieß aus: "Dass du jetzt gleich im Dreck landest, du elender Sohn eines Diebes!" Dabei schleuderte er Haethorn mit aller Wucht von sich und der Grüngekleidete fiel wie vorhergesagt mit einem dumpfen Geräusch auf den feuchten Waldboden.
Durch die ungestüme und kraftvolle Bewegung verlor jedoch auch Feuper sein Gleichgewicht und stürzte ebenfalls zu Boden. Die beiden Jungen fassten sich im Nu an ihren Leinenumhängen und balgten sich wilde Flüche ausstoßend.
"Unnütze Kinderschwerter geben sie uns mit! Stumpf wie die Messer in der verfluchten Goldenen Taraskone!", rief Haethorn immer noch voller Überraschung und Empörung über das unerwartete Manöver seines Gegners.
"Ha! Du sag besser nichts über die Taraskone! Wenn mein Vater sie schließen würde, wüsste deine Mutter nicht, wo sie sich jeden Abend besinnungslos saufen sollte ohne dafür zu zahlen! Dann würde sie dich noch häufiger verprügeln", entgegnete Feuper und warf sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf Haethorn.
Mit seinen fleischigen Armen presste Feuper den anderen Jungen am Hals gegen die Erde und rief freudig aus: "Würgegriff, Würgegriff!"
Haethorn war die Bedrängnis anzusehen. Er bekam kaum noch Luft und musste gleichzeitig den üblen, ausgehungerten Atem dieses Bären aus allernächster Nähe ertragen. Nach einer Weile Zappeln und Winden schien sein Widerstand schließlich gebrochen. Haethorn löste alle Anspannung und röchelte schwach: "Aufhören ..."
Kaum war das Wort ausgesprochen, riss Feuper seine Arme nach oben und schrie laut in den Wald: "Gewonnen! Ich habe Haethorn besiegt. Ich bekomme gewiss als erster mein Männerschwert!" Er warf seine braunen Locken zurück und blickte über sich zu dem kleinen blauen Ausschnitt des Himmels, der durch die dichten Wipfel zu sehen war.
In diesem Moment aber stieß Haethorn seinen Überwinder von sich und beendete seinen Satz: "Aufhören ... dürfen wir jetzt noch nicht!" Die wilde Balgerei der beiden Jugendlichen begann wieder von vorn. Die Jungen waren jedoch im Verlauf ihres langen, blinden Kampfes unbemerkt an einem Abhang angekommen und purzelten nun beide laut lachend und kreischend den Berg hinunter.
Unten angekommen blieben Haethorn und Feuper einige tiefe Atemzüge lang regungslos liegen und versuchten festzustellen, welche Körperteile bei der heftigen Abfahrt am meisten gelitten hatten. Dann aber erhoben sie sich langsam. Sie schüttelten Zweige und Blätter von ihren lädierten Umhängen und bewegten vorsichtig ihre Arme und Beine. Als sie festgestellt hatten, dass außer ein paar Schürfwunden und blauen Flecken der Sturz keine ernsteren Folgen hatte, gingen sie aufeinander zu und streckten sich beinahe gleichzeitig die Rechte entgegen: "Frieden!"
Haethorn schlug Feuper freundschaftlich auf die Schulter: "Das langt für heute. Wir müssen schließlich noch sechs weitere Tage üben, bis wir wieder nach Totwasser zurückkehren dürfen. Mann, zum Glück muss man so eine Aventiure nur ein Mal im Leben mitmachen."
Feuper nickte zustimmend. "Gut. Aber wo sind wir eigentlich gelandet?" ­ Die beiden sahen sich um. Der Wald schien an dieser Stelle nicht mehr so dicht zu sein. Die mächtigen, verdrehten Korkeichen waren hier kaum mehr anzutreffen. Es dominierten dürre, nur wenige Jahre alte Gehölze, die sich nur recht und schlecht von dem aschgrauen Boden zu ernähren schienen. Die Herbstsonne stand mittlerweile schon tief und hob sich nur noch schwach von dem zunehmend dunstigen Himmel ab.
"Sieht so aus, als hätte es hier einmal gebrannt." Haethorn deutete auf einige verkohlte Baumstümpfe, die früher wohl einmal eine imposante Baumgruppe dargestellt hatten.
Feuper runzelte die Stirn, "Ich kann mich aber an kein Feuer in der Nähe von Totwasser erinnern. Wir müssen uns ganz schön weit von Dorf und Küste entfernt haben."
Er bückte sich etwas schwerfällig und hob einen kleinen glitzernden Gegenstand von dem staubigen Grund auf. "Schau, Haethorn, was ich gefunden habe. Ein kleines Amulett. Vielleicht liegt in der Nähe ein Dorf? Mit einem Wirtshaus und sauberen Betten und ..."
Haethorn unterbrach seinen Gefährten: "Nein, wir sollen doch auf unserer Wanderung keinen anderen Menschen begegnen. So hat es doch der weise Gribold gesagt." Er blickte in die Ferne, als wolle er eine geeignete Richtung für ihre weitere Reise suchen. Als er sich dabei umdrehte, sah er, dass direkt neben dem steilen Abhang, den sie vor wenigen Minuten noch hinuntergerollt waren, eine weite Öffnung in den Berg hineinführte.
"Eine Höhle. Sieh doch, Feuper!" Haethorn ging aufgeregt zu dem Eingang, der so hoch war, dass er aufrecht darin stehen konnte. "Komm, Feuper, sieh dir das an. Sie ist wirklich riesig." Auch Feuper war mittlerweile angelaufen gekommen und blickte an Haethorn vorbei in das schwarze Loch. Zuerst erkannte er jedoch überhaupt nichts. Auch als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten sah er nur die leeren, tiefschwarzen Wände der Höhle.
Haethorn zog sein stumpfes Schwert aus seinem Gurt und hielt es sich entschlossen vor die Brust. "Nun denn. So lass uns diese Höhle erforschen!" Er blickte kurz zu seinem Gefährten und ging dann langsam einige Schritte in das düstere Loch hinein. Schließlich war er in dem Dunkel verschwunden.
Feuper zögerte: "Warte, Haethorn, wir haben doch gar kein Licht dabei und bald wird es dunkel. Dann finden wir vielleicht gar nicht mehr heraus." Als er aber keine Antwort bekam, tastete auch er sich vorsichtig in die Höhle. "Haethorn, wo steckst du?"
Haethorn stand an einer Biegung und kratzte mit seinen Fingernägeln an der Wand der Höhle. Der weitere Verlauf des Ganges war von dieser Stelle aus nicht erkennbar. Die Kraft der schwachen Abendsonne reichte nicht aus, den hinteren Teil der Höhle auszuleuchten. Ohne sich zu Feuper umzudrehen, streckte Haethorn ihm auf einmal seinen Daumen ins Gesicht und flüsterte: "Riech mal."
Feuper atmete einen beißenden Geruch ein und fragte: "Was ist das? Schwefel? Riecht auf jeden Fall verbrannt."
Haethorn zischte seinen Gefährten an: "Psst. Die ganzen Wände sind voll davon. Hier drinnen scheint es ein gewaltiges Feuer gegeben zu haben."
Auch Feuper flüsterte nun: "Sieht ganz so aus. Aber was hat hier gebrannt?"
Plötzlich spürte beide einen trockenen Lufthauch auf ihren Gesichtern ­ einen Hauch, der nicht vom Höhlenausgang kam, sondern ihnen mitten aus den tiefsten Eingeweiden des Berges entgegen zu wehen schien.
"Das warst du, Haethorn, oder? Du hast mich doch gerade angeatmet, nicht?" Obwohl es ihm aus der Höhle hinter der Biegung immer wärmer entgegenstrahlte, zitterte Feuper am ganzen Körper. "Haethorn, verdammt! Was ist das für ein Geräusch?"
Ein tiefes, sonores Brummen ertönte aus dem Berg. Ein Geräusch, das so klang, als ob ein ganzes Heer von Riesen gleichzeitig in ihre Kriegsluren stießen. Die Luft um sie herum schien zu vibrieren und der heiße Wind, der ihnen dabei aus der Höhle entgegenwehte, elektrisierte ihre Haare und brannte auf den Wangen.
Dann war es auf einmal wieder ganz still. Den beiden Jungen tränten die Augen und ein beißender Gestank nahm ihnen den Atem. Als Haethorn in der Ferne, weit hinter der Biegung ein feuriges Flackern sah, das immer heller wurde, erwachte er aus seiner Lähmung. Er riss Feuper, der mit weit aufgerissenen Augen in die Höhle starrte, an der Schulter herum und seine Stimme überschlug sich: "Renn Feuper! Ein Drache!"
Die Jungen stürzten und stolperten aus der Höhle. Blitzschnell wählte Haethorn einen Weg mitten durch die vertrockneten Gewächse. Die beiden schlugen sich wild durch die Büsche.
Sie rannten eine Ewigkeit so schnell sie konnten ohne nach links, rechts oder gar hinter sich zu blicken. Schließlich brachen sie erschöpft auf einer Wiese zusammen.
Es war kühl geworden. Dichte schwarze Wolken hatten sich vor die rotglühende Abendsonne geschoben. Schon fielen die ersten großen Regentropfen platschend neben den beiden auf die Erde.
Haethorn hob langsam den Kopf. Er sah eine Pferdekoppel mit zwei weißen Pferden und einen rot angestrichenen Werkzeugschuppen. Er blickte zu den bleichen Jungen der neben ihm am Boden lag und versuchte, ein müdes Grinsen hervorzubringen: "Vielleicht ist hier wirklich ein Dorf in der Nähe. Mit einem Wirtshaus und sauberen Betten und ..."



(C) Benedikt Köhler, 2002

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