Schreib-Lust Print
Schreib-Lust Print
Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Annemarie Nikolaus IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
März 2002
Die Zauberin
von Annemarie Nikolaus


Laranna zwinkerte erschreckt: Eine Insel? - Was hatte sie nun wieder falsch gemacht, dass sie auf diesem winzigen Eiland gelandet war?
Ein paar verkrüppelte Sträucher, irgendeine Sorte Gras, Sand; mehr schien es hier nicht zu geben. Sie konnte schwören, sie hatte sich nichts dergleichen gewünscht, als sie ihren Zauberspruch gesagt hatte. Ihr Blick streifte in alle Richtungen über das Wasser: nirgendwo eine Spur von Land. Wo, beim Hute Tantors, war sie hier bloß?
Das hatte sie nun davon, dass sie spätabends noch geübt hatte. Bis zum Frühstück würde sie niemand vermissen. Hier war es nach dem Stand der Sonne fast Mittag. Auch ihr Magen schien dieser Ansicht zu sein und das üppige Abendessen von eben schon vergessen zu haben. Also auch noch eine Zeitverschiebung!
Wenigstens schien hier außer Hunger und Durst kein weiteres Unheil zu drohen. Aber eines Tages würde ihr unbezähmbarer Ehrgeiz sie wirklich ins Verderben stürzen. - Also; zuerst einmal das Mittagessen; dann würde sie sich darüber Gedanken machen, wie sie von hier fortkäme.
Laranna brauchte nicht lange nachzudenken, um sich ihre Mahlzeit zusammenzustellen, und rief dann ihren ersten Zauberspruch. Direkt vor ihr erhob sich eine gewaltige Woge, die sie völlig durchnässte. - "Puh!" Solche Wucht hatte sie nicht erwartet.
Als sich die Welle verzogen hatte, zappelte ein riesiger Fisch zu ihren Füßen und glubschte sie an. "Was willst du von mir?", rief er aus.
"Von dir? Nichts!" Laranna glotzte zurück. Sie hatte keinen Fisch bestellt - sie hasste Fisch.
Ihre Zauberkraft wirkte nur tausend Stiefellängen weit. In der Richtung, aus der sie sich das Essen gewünscht hatte, war offensichtlich auf die ganze Entfernung nichts als das Meer. Daher hatte ihre Magie selbständig nach einem Ersatz gesucht, der ihrem Wunsch nach einem ordentlichen Stück Fleisch am nächsten kam. Also ein neuer Versuch in der entgegengesetzten Richtung.
"Dann trag mich zurück ins Wasser!", rief der Fisch und schreckte sie aus ihren Überlegungen auf.
"Verflixt; du hast recht. Ich kann dich ja hier nicht zappeln lassen." Aber anfassen? Laranna schüttelte sich vor Ekel. Sie schloss die Augen und stellte sich eine leere Sandfläche vor. - Aha. Wenigstens das hatte funktioniert; der Fisch war weg.
Erneut widmete sie ihre Gedanken dem ersehnten Mittagessen. - "Määäh" - ein Zicklein hatte sich aus dem Nichts materialisiert. Es stakste heran und rieb sein Köpfchen an ihrer Hüfte.
Laranna blies ihre Backen auf und hielt die Luft an: Was sollte sie mit einer lebenden Ziege? Sie konnte das süße Tier, das sie so zutraulich anschaute, doch nicht umbringen!
Immerhin wusste sie jetzt, dass es Richtung Süden höchstens tausend Stiefellängen bis zum Festland sein konnten. Aber das machte sie auch nicht satt und es war unerreichbar weit. --
Halt! Das stimmte ja gar nicht. Wenn ihre Magie sie in die eine Richtung so weit transportiert hatte, musste sie genauso weit in die andere Richtung wirken. Laranna schöpfte Hoffnung, sie könnte sich aus eigener Kraft aus ihrer misslichen Lage befreien, und niemand würde etwas von ihrem unfreiwilligen Ausflug bemerken.
Frohgemut ließ sie die Ziege wieder verschwinden. Was sollte sie sich damit plagen, sich möglichst detailliert ihr Mittagessen vorzustellen, damit es in der richtigen Ausführung ankam. Nicht einmal tausend Längen entfernt gab es vielleicht einen Koch, der nur darauf wartete aufzutischen, was ihr Herz begehrte.
Aber wenn es gar nicht ihre eigene Magie gewesen wäre, die sie auf diese Insel befördert hatte? Wenn sich dabei eine fremde Macht eingemischt hätte? Dann würde sie mitten im Ozean ankommen und kläglich ertrinken.
Laranna wusste zwar nicht genau, was "ertrinken" bedeutete; aber sie vermutete, dass es etwas sehr Unangenehmes sein musste und begann zu zögern. Vielleicht ginge es, wenn sie ein Boot hätte? Sie hatte gehört, dass ein Boot auf dem Wasser führe wie eine Kutsche an Land, bloß ohne Pferde. Leider war sie noch nie einem Boot begegnet. Wie sollte sie eines herbeizaubern, wenn sie nicht wusste, wie es aussah? Ihr misslangen ja immer noch die Dinge, die sie kannte.
"Hab dich nicht so", schalt sie sich. "Du weißt, dass es ohne Pferde ist. Räder wird es keine brauchen, denn es soll ja auf dem Wasser fahren und nicht auf dem Meeresgrund. Und es hat den gleichen Zweck wie eine Kutsche. Also stell dir einfach eine Kutsche ohne Räder vor!"
Laranna machte die Augen ganz fest zu und stellte sich die schönste Kutsche vor, die sie kannte. In Gedanken umrundete sie das Gefährt mehrmals, um nur keine Einzelheit zu übersehen. Dann wünschte sie es herbei.
Sie hielt sich dabei die Hände vors Gesicht und riskierte einen Blick durch ihre Finger. Erleichtert atmete sie auf: Das war Vaters Kutsche ohne Räder! Also gab es im Süden nicht nur festes Land, sondern dort war sogar ihr Zuhause. - Sie hatte nur vergessen, die sechs Pferde ausdrücklich wegzudenken. Das erste Gespannpaar stand bis zum Bauch im Wasser und schnaubte unruhig. Die Insel war zu klein für alle - schnell fort mit ihnen.
Laranna stieg in die Kutsche. Um nichts falsch zu machen, wünschte sie sich und die Kutsche behutsam in 100-Längen-Etappen vorwärts. Nach sieben Zaubersprüchen hatte sie die Küste erreicht. Hier herrschte tiefe Nacht. Jetzt waren es nur noch zweihundert Stiefellängen bis zur heimatlichen Burg. Zufrieden rief sie den Zauberspruch zum achten Mal.
Platsch! Sie war mitsamt der Kutsche im Burggraben gelandet. Von dem Geräusch alarmiert, stand Pikko mit seiner Armbrust vor ihr, als sie aus der Kutsche kletterte. Sie sah ihn drohend an: "Wenn du meinen Eltern auch nur ein Wort sagst, verwandele ich dich in eine … eine Spinne!"
Der Wächter legte die Armbrust beiseite und setzte Laranna auf seine Schultern, um sie trockenen Fußes aus dem Graben zu tragen. "Warum? Hast du etwas falsch gemacht?"

© Annemarie Nikolaus

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 5895 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.