Der große und weise Zauberer Olgaculix drehte sich mit einem Ruck auf seinem Lager herum und fluchte laut. Sein langer, weißer Bart hatte sich in der Gürtelschnalle seines Gewandes verfangen und zog seinen Kopf nach unten. Dort fiel sein Blick als erstes auf den kleinen grünen Kobold.
Kobold Coboldchen hatte sein unschuldigstes Gesicht aufgesetzt, um
seinen Herrn und Meister nicht noch mehr zu erzürnen. Innerlich lachte er, als er dessen bösen Blick sah und die Unordnung seines schönen, langen, weißen Bartes bemerkte.
Die leuchtend hellblauen Augen senkte er sofort wieder auf sein im Dunkeln giftgrün schimmerndes Strickzeug und seufzte. Aus allerfeinstem Fadenwerk sollte er einen Pullover für die im Winter so jämmerlich frierenden Elfen stricken! Dies war die Strafe für seinen im fröhlichen Übermut immer wieder an diesen feinen Wesen begangenen Schabernack! Kobold Coboldchen seufzte erneut. Wie waren die Elfen nur immer so empfindlich! verstanden gar keinen Spaß!
Der große und weise Zauberer Olgaculix sah, dass Kobold Coboldchen brav an seinem Pullover strickte, befreite seinen langen, weißen Bart aus der Gürtelschnalle und hob seinen Blick in die Höhe.
Alles war ruhig. Ruhig und dunkel. Dann sah er das leichte Flimmern in der rechten Ecke seiner Zauberhöhle. Ein Flimmern, das sich ab und an zu einem hellen Flackern auswuchs. Kobold Coboldchen hatte es schon längst bemerkt und seine leuchtend hellblauen Augen neugierig darauf gerichtet.
Die Kristallmuschel flackerte und flimmerte und signalisierte Gefahr! Der Wald von Meimur war in heller Aufregung. Was war geschehen?
Olgaculix erinnerte sich nur schwach an Erzählungen seines Großvaters, der von dem Leuchten der Kristallmuschel berichtet hatte. Aus Pietät hatte Olgaculix die Muschel aufbewahrt und in einer dunklen Ecke seiner Höhle dem Gesteins-Staub preisgegeben. Aufgeregt stand er nun da.
>Darf ich auch schauen, Meister?<, fragte Kobold Coboldchen leise.
Der große Zauberer wollte ihn unwirsch zurückweisen, überlegte es sich dann aber doch anders.
>Ja, schauen wir beide, was geschehen ist!<
Als Olgaculix die handgroße Kristallmuschel vom Staub befreite, leuchtete sie um einiges stärker, flackerte und flimmerte unregelmäßig und bot den beiden Zuschauern nach einer Weile ein Bild des Eingangs zum Wald von Meimur.
Ein schmaler Weg nur führte hinein in den Wald. Die Stämme und Äste standen dicht und berührten sich in den Baumkronen. Gebüsch und Unterholz waren darunter wild gewachsen, ließen kaum Raum für einen Blick.
Einst verbannte der Herr der Welten das Geschlecht der Zauberer in die Dunkelheit des Waldes. Hier sollten sie mit ihren schwarzen Künsten in der Düsternis der Zauberhöhlen ihr karges Dasein fristen. Keine Macht mehr haben über die Helligkeit der Welt.
Von Generation zu Generation wurde der Wald dichter. Dunkler. Umschloss immer enger die Höhlen der Zauberer. Schließlich stand das Unterholz so dicht, dass keiner dieses Geschlechtes mehr seine Höhle verlassen konnte. Isoliert wurden sie von einander durch Waldgewächs. Anbauen konnten sie Pflanzen und Kräuter nur noch vor ihren Höhlen-Eingängen. Wasser fanden sie in tiefliegenden Höhlen-Gewässern. Einsam sollten sie sterben! Jeder für sich. In der Dunkelheit ihrer dunklen Künste!
Olgaculix erstaunte, als er im Kristall die Gestalt einer jungen Frau erblickte! Sie war gekleidet in ein langes Gewand, hatte auf der Flucht ihre Röcke gerafft und lief mit angstverzerrtem Gesicht um ihr Leben.
Hinter ihr war in der Ferne ein großer Drache zu sehen. Seine Augen leuchteten feuerrot, aus seinem Maul züngelten hellgelbe Flammen!
>OI HOI TOI!< brüllte er aus Leibeskräften, so dass die Erde im weiten Umkreis erbebte!
Kobold Coboldchen wurde ganz blass. Und auch der große und weise Zauberer erschrak.
Die junge Frau lief schnurstracks auf den schmalen Weg zu, der in den Wald von Meimur führte. Suchte im dichten Unterholz Schutz. Bald würde sie die ersten Bäume am Rand erreicht haben. Der Wald selbst streckte seine Äste nach ihr aus. Er war bereit, sie bei sich aufzunehmen.
Der Zauberer erkannte im Kristall: die junge Frau war Olga, der Drache Cu und das Leuchten Lix. Er selbst würde der Auserwählte sein, auf den Generationen von Zauberern gewartet hatten. Er würde befreit werden, um die Welt zu befreien.
Seinen Blick fest auf die Kristallmuschel gerichtet, sah er, wie Olga den Weg zum Wald erreicht hatte - nun aus nächster Nähe verfolgt vom Drachen Cu, dessen hellgelbe Flammenzungen die ersten Bäume und Äste versengten, eine Schneise schlugen in das Dickicht, und es lichteten, so dass die junge Frau einen freien Weg fand, der direkt auf die Höhle des Zauberers hin führte!
Kobold Coboldchen verschlug es den Atem, als er dies erkannte! Der Drache würde hierher kommen und alles mit seinem feurigen Atem versengen! Innerhalb von Sekunden würde er sterben! sein fröhliches Kobold-Leben wäre vorbei!
Doch er hatte nicht viel Zeit, um zu trauern, denn die junge Frau hatte fast die Zauberhöhle erreicht, über deren Eingang die beiden Zuschauer im Kristall plötzlich Buchstaben in hellem Rot leuchten sahen:
>OI HOI WUOI< stand dort zu lesen.
Mit einem letzten, großen Feuerschwall und einem gewaltig lauten
>OI HOI TOI<
brachte der Drache Cu die Zauberhöhle zum Einsturz und verbrannte sämtliche Bäume und Büsche im näheren Umkreis, um sich danach ruhig und friedlich auf die nachsprießende, hellgrüne Rasenfläche zu legen.
>OI HOI TOI... ICH LIEBE DICH!< , sagte Cu leise, seine rotleuchtenden Augen auf die vor Angst zitternde junge Frau gerichtet.
Olgaculix verstand und lächelte:
>OI HOI WUOI... ICH LIEBE DIE WELT!< antwortete er ebenso leise und nickte dem Drachen freundlich zu.
Kaum hatte der Zauberer die Formel gesprochen, verwandelte sich der Wald. Er breitete sich aus über die Erde.... wurde licht und hell und grün.... an den Ästen und Büschen wuchsen Knospen... auf dem Rasen blühten plötzlich Blumen... ein Wasserfall rauschte in der Ferne ....
.... und Kobold Coboldchen sah, wie die Elfen im Sonnenlicht tanzten und warf in hohem Bogen seinen giftgrünen Pullover fort....