Ganz schön bissig ...
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März 2002
WERFE DEN LETZTEN STEIN
von Markus Benckert



So schnell er nur konnte, mit kurzen Schritten und trommelnden Füßen lief Ali mit seinem Hund. Er verlor jedes Rennen, aber wenn er den Stock weit in die falsche Richtung warf, glaubte er an seine Chance, doch einmal zu gewinnen. Später, wenn seine Beine lang wie die eines Erwachsenen wären, dann würde er wohl nicht mehr gewinnen wollen, jetzt überwog die Freude am Laufen, an der Sonne, an seinem besten Freund dem Hund alles.
Sein Wurf war besonders weit geraten. Dort hinten spielten andere Kinder, aber er hatte sie nicht treffen wollen, und es wohl auch nicht getan, selbst wenn der schreckliche Jim es mehr als verdient hätte. Werfen, sich umdrehen und losrasen, das war sein Spiel an diesem Nachmittag. Mit diesem Wurf könnte er ein Wettrennen gewinnen, da war er fast sicher.
Er begann schneller zu atmen und rhythmischer zu laufen. Jetzt sollte sein Hund ihn einholen, übermütig bellend, der Hund hatte ebensoviel Freude an diesem Spiel wie er selbst, aber der Wurf war weit. Das Gras unter ihm begann die Farbe zu wechseln, ein Zeichen dafür, daß er sich seinem Ziel näherte. Diesmal würde er es schaffen, ganz sicher, da spürte er einen Schlag gegen sein Knie, der ihn stolpern ließ und schließlich zu Boden warf. Niemand war in seiner Nähe, und so wußte Ali sofort, was geschehen sein mußte. Wut und Schmerz kochten hinter seiner Stirn, ein Gefühl, das durch seine Augen austreten wollte. Die gleichzeitig einsetzende Angst um seinen Hund verdrängte seinen Schmerz. Und wie zur Bestätigung hörte er ihn jaulen, fast ein Schrei, gefolgt vom höhnischen Gelächter Jims.
Auf drei Beinen humpelnd kam der Hund zu Ali, eine Pfote nachschleifend, jeder Schritt des Hundes schmerzte auch in Alis Knie. Still legten sie sich nebeneinander, jeder in seinem Schmerz dem anderen verbunden.
Seit mehr als einem Jahr dauerte diese Fehde nun, eigentlich schon seit Beginn seiner Erinnerung, seit einem Jahr eskalierte sie. Die Erzieherinnen wollten die beiden längst voneinander trennen, aber die allmächtig scheinende Leitung hatte dies untersagt. Und jeder Versöhnungsversuch der Älteren hielt nur kurze Zeit, es war als wollten die beiden sich gegen jedes erzieherische Mittel, gegen jedes sozialpädagogische Konzept bekriegen.
Jim war der ältere der beiden, stärker, und er hatte einen Vater, der ihm selten Pakete, häufig aber Geld schickte, womit sich Jim beliebt machte. Und in dieser Macht hatte Jim beschlossen, Ali das Leben schwer zu machen. Es begann harmlos. Weder Ali noch Jim konnten sich erinnern, daß Ali an einem Spiel teilnehmen wollte, was Jim verhindert hatte. Ali hatte sich gewehrt, durfte schließlich doch mitspielen, worauf Jim das ganze Spiel zerstörte. Der Beginn einer langen Feindschaft.
Anfangs lachten die Erzieherinnen, glaubten an eine fixe Idee, eine vorübergehende Verwirrung, die sie mit erhobenem Zeigefinger würden unterbinden können. Später, vom Ausmaß der Rivalität doch überrascht, versuchten sie es mit schriftlichen Verweisen, Briefen an die Eltern, blieben aber hilflos. Die Attacken des einen auf den anderen nahmen an Intensität zu und wurden in ihren Auswirkungen unberechenbar. Niemals schlugen sich die beiden direkt, immer beschränkten sie sich auf das Eigentum des anderen, auf sein Umfeld, seine Freunde, und doch trafen sie sich direkt. Als Jim Alis Schulhefte verbrannte, alle Aufsätze und die Mathematikaufgaben, bekam Ali Kopfschmerzen, die ihn drei Tage ins Bett zwangen. Alis Rache, die Reifen von Jims neuem Fahrrad zu zerschneiden, erzeugte Blasen an dessen Füßen, daß er dem Sportunterricht zwei Wochen fernbleiben mußte.
Sein gebrochenes Knie schmerzte, daß im Tränen in den Augen standen. Mit dennoch unbewegtem Gesicht sah er hinter seinem verletzten Hund die verzerrte Fratze Jims, der sich bückte, um seinen Baseballschläger aufzuheben.
Wie in Trance erinnerte sich Ali an das ungeheuer befriedigende Gefühl, das er verspürt hatte, als er seine mit großen Steinen beschwerten Papierflieger auf Jims Modelleisenbahn geworfen hatte. Besonders als er die kleine Stadt getroffen hatte, deren elektrische Beleuchtung Jims ganzer Stolz war, fühlte er eine wilde Freude, die von Jims Schmerzensschreien nur noch angefacht wurde. Der nächste Stein, so schwur er sich, würde noch größer.

(c) Markus Benckert

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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